Gesundheit & Medizin

Asfotase alfa bei Hypophosphatasie im Kindes- und Jugendalter: Überlebensvorteil für Kleinkinder

Die Hypophosphatasie (HPP) ist eine seltene erbliche Stoffwechselerkrankung, die Häufigkeit der schweren Verlaufsformen wird auf 1:100.000 geschätzt: Ein Mangel des Enzyms Phosphatase führt zu einer ungenügenden Mineralisation von Knochen und damit zu schweren Skelettfehlbildungen. Der Krankheitsverlauf variiert stark – je früher der Krankheitsbeginn, desto schwerer sind Symptome und Beschwerden. Betroffene Kleinkinder mit einem Krankheitsbeginn vor dem 6. Lebensmonat sterben oft und sehr früh daran, während bei späterem Eintreten der Krankheit die Symptomatik teilweise schwächer ausgeprägt ist. 

Eine Langzeit-Enzymersatztherapie mit Asfotase alfa (Handelsname Strensiq) soll bei Patientinnen und Patienten mit HPP erstmals die Krankheitsursache, d. h. das Fehlen des Enzymes, behandeln. Zuvor war nur eine symptomatische Behandlung möglich. Als Arzneimittel zur Behandlung seltener Krankheiten (Orphan Drug) war der Wirkstoff zunächst vom wissenschaftlichen Nachweis eines Zusatznutzens ausgenommen. Mit Überschreiten von 50 Mio. Euro Jahresumsatz hat Asfotase alfa diesen Sonderstatus verloren und sein Zusatznutzen wurde mit einer frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln gemäß AMNOG durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) überprüft. Aus der Dossierbewertung ergibt sich für Kleinkinder mit Krankheitsbeginn vor dem 6. Lebensmonat ein Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen. Vor- und Nachteile für andere Patientengruppen bleiben mangels Daten unklar.

Der Hersteller berichtet in seinem Dossier von zwei einarmigen Studien zur Asfotase-Behandlung von Kleinkindern, die nur zwei Endpunkte (Gesamtüberleben und Atemfunktion) betrachten. Deren Ergebnisse vergleicht er mit Ergebnissen aus wenigen Krankenakten von Patientinnen und Patienten ohne Asfotase-Behandlung. Die beobachteten Unterschiede beim Gesamtüberleben zwischen den beiden Vergleichsgruppen sind so groß, dass sie sich nicht allein auf die vorhandenen Störfaktoren zurückführen lassen: Mit einer Asfotase-Behandlung überleben voraussichtlich mehr Kleinkinder als ohne eine solche Therapie .

„Kleinkinder mit einem Krankheitsbeginn bis zum 6. Lebensmonat profitieren voraussichtlich von einer Behandlung mit dem Medikament – bessere Behandlungsverläufe als bisher sind möglich. Angesichts der großen Krankheitslast insbesondere bei Kindern und Jugendlichen hätten die Betroffenen aber eine bessere Studienlage und eine sorgfältigere Datenauswertung verdient“, meint Katharina Biester, Bereichsleiterin im Ressort Arzneimittel beim IQWiG.

Vergleich mit historischen Kontrollgruppen

Das Herstellerdossier liefert Daten aus zwei kleinen einarmigen Studien (2008-2016) mit einer Asfotase alfa-Behandlung von insgesamt 80 Kleinkindern mit einem Krankheitsbeginn bis zum 6. Lebensmonat: 11 Kinder waren ≤ 36 Monate alt und 69 ≤ 5 Jahre. Deren Ergebnisse vergleicht der Hersteller mit historischen Daten zu einer symptomatischen Behandlung ohne Afotase alfa auf Basis von Krankenakten von 48 Kleinkindern mit perinataler oder infantiler Hypophosphatasie: Zum Zeitpunkt der Datenerhebung (2012-2013) waren 35 Patientinnen und Patienten mit Krankenakten bereits verstorben und 13 noch am Leben. Geboren waren die Patientinnen und Patienten zwischen 1970 und 2011 und die Diagnosephase erstreckte sich über drei Jahrzehnte.

Neben dem primären Endpunkt Gesamtüberleben und verschiedenen Operationalisierungen zum Erfassen der Atemfunktion wurden in der Studie auf Basis von Krankenakten allerdings keine weiteren Endpunkte untersucht. Die in die Erhebung eingeschlossenen Patientinnen und Patienten erhielten sowohl medikamentöse als auch nicht medikamentöse unterstützende Maßnahmen.

Studiendaten mangelhaft aufbereitet

Die Aufbereitung der Studiendaten im Herstellerdossier ist intransparent und erschwert dadurch das Ableiten eines konkreten Zusatznutzens. So bleibt der Anteil der Patientinnen und Patienten mit perinatalem Krankheitsbeginn unklar. Es finden sich zudem inkonsistente Angaben zu denselben Daten an unterschiedlichen Stellen im Dossier, bisweilen sind diese sogar widersprüchlich. Dass der Hersteller zur zweckmäßigen Vergleichstherapie (Best supportive Care, BSC) ohne Begründung auf eine systematische Recherche verzichtet, ist wissenschaftlich nicht sauber, denn der Studienpool ist dadurch potenziell unvollständig.

Allerdings ist der Effekt beim Gesamtüberleben zumindest so deutlich, dass er nicht allein auf potenzielle Verzerrungen zurückzuführen ist. Deshalb recherchierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des IQWiG für die Population der Kleinkinder mit perinataler oder infantiler HPP nicht nur nach zusätzlich relevanten Daten zur zweckmäßigen Vergleichstherapie, sondern schätzten auf Basis von Informationen in den Studienunterlagen auch den Anteil der Patientinnen und Patienten mit perinatalem Krankheitsbeginn.

Zusatznutzen nur für eine Patientengruppe 

Die Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen lassen sich insgesamt nicht allein auf andere Störgrößen zurückführen: Mit einer Asfotase-Behandlung überleben mehr Kleinkinder mit einem Krankheitsbeginn vor dem 6. Lebensmonat. Wegen der schwachen Evidenz sind die Ergebnisse allerdings potenziell verzerrt, sodass sich daraus für Kleinkinder mit einer perinatalen oder infantilen Hypophosphatasie nicht mehr als ein Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen von Asfotase alfa gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie BSC ergibt.

Da der Hersteller für die weiteren Patientengruppen im zugelassenen Anwendungsgebiet entweder gar keine Daten (für Kleinkinder mit einem Krankheitsbeginn ab dem 6. Lebensmonat) oder keine geeigneten Daten (für Kinder ab 5 Jahre, Jugendliche, Erwachsene mit perinatalem, infantilem oder juvenilem Krankheitsbeginn) vorgelegt hat, ist ein Zusatznutzen für diese Patientinnen und Patienten jeweils nicht belegt.

Bessere Studiendaten für eine bessere Versorgung

Das Fazit der Nutzenbewertung schließt sich an die Einschätzung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nach der Zulassung im Jahr 2015 an: Seine Forderung nach weitergehender Evidenz, um den Betroffenen eine verlässliche, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung zu sichern, wurde allerdings nicht erfüllt.

Deswegen lässt sich für einen Großteil der Betroffenen (Altersgruppe ab fünf Jahre) kein Zusatznutzen ableiten. Der rechtlich unterstellte Zusatznutzen für Orphan Drugs geht auch in diesem Fall mit unzureichenden Daten einher. Orphan Drugs sollten deshalb bereits bei Marktzugang einer frühen Nutzenbewertung unterzogen werden – wie alle anderen neuen Wirkstoffe auch.

Die vom Hersteller angeführte kleine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) zur Altersgruppe ab 13 Jahre lässt sich mangels Zulassungskonformität für diese Dossierbewertung nicht heranziehen. Sie zeigt aber einmal mehr, dass auch zur Untersuchung von seltenen Erkrankungen RCT durchführbar sind. Mit adäquater Dosierung und mehr Studienteilnehmern, wäre vermutlich ein verlässlicheres Ergebnis für den Zusatznutzen und damit für die Versorgung zu erreichen gewesen – denn allein in Deutschland gibt es unter den gesetzlich Versicherten potenziell ca. 1000 Patientinnen und Patienten mit HPP.

G BA beschließt über Ausmaß des Zusatznutzens

Die Dossierbewertung ist Teil der frühen Nutzenbewertung gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), die der G-BA verantwortet. Nach Publikation der Dossierbewertung führt der G-BA ein Stellungnahmeverfahren durch und fasst einen abschließenden Beschluss über das Ausmaß des Zusatznutzens.

Einen Überblick über die Ergebnisse der Nutzenbewertung des IQWiG gibt folgende Kurzfassung. Auf der vom IQWiG herausgegebenen Website gesundheitsinformation.de finden Sie zudem allgemein verständliche Informationen.

Über Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

Das IQWiG ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht. Wir informieren laufend darüber, welche Vor- und Nachteile verschiedene Therapien und Diagnoseverfahren haben können

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