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Coronavirus in China: Regime unterdrückt weiter Kritik am Krisenmanagement

Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert die chinesische Regierung auf, endlich Kritik am Umgang mit dem Coronavirus zuzulassen. Während die Zahl der Infizierten weltweit steigt, geht das Regime in Peking weiter rigoros gegen Stimmen vor, die das chinesische Krisenmanagement in Frage stellen. Erneut sind ein politischer Kommentator und ein Bürgerjournalist verschwunden.

„Das chinesische Regime setzt seine Politik der Zensur und Repression fort, obwohl dies eindeutig zur Verbreitung des Virus beigetragen hat. Damit zeigt die politische Führung, dass sie aus der Krise nicht gelernt hat. Jeder, der die chinesischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus lobt, sollte auch daran denken, dass kritische Stimmen dazu in China mundtot gemacht werden“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. „Wir fordern die sofortige Freilassung aller inhaftierten Medienschaffenden.“

Mitte März ist der politische Kommentator und ehemalige Immobilien-Tycoon Ren Zhiqiang verschwunden. Das Mitglied der kommunistischen Partei hatte zuvor die Versäumnisse des Regimes angeprangert. Ren ist kein Einzelfall. Auch der Journalist Li Zehua ist verschwunden. Der Reporter hatte seinen Job beim chinesischen Staatsfernsehen CCTV gekündigt, um unabhängig aus Wuhan zu berichten. Dort berichtete er etwa via Live-Stream aus einem Krematorium. Im Februar sind bereits zwei weitere Bürgerjournalisten verschwunden und zwei Kommentatoren festgenommen beziehungsweise unter Hausarrest gestellt worden.

Strikte Zensur schon seit Beginn der Epedemie

Recherchen von Forscherinnen und Forschern des kanadischen CitizenLab zeigen, dass chinesische soziale Medien bereits in den frühen Stadien der Epidemie damit begonnen haben, Inhalte im Zusammenhang mit der Krankheit zu zensieren.

Demnach zensierte die chinesische Live-Streaming-Plattform YY bereits am 31. Dezember 2019 Schlagwörter zum Coronavirus, einen Tag nachdem Ärztinnen und Ärzte – unter ihnen auch der später daran verstorbene Whistleblower Li Wenliang – versucht hatten, die Öffentlichkeit über die Krankheit zu informieren. Laut dem Bericht hat die Plattform Ende Dezember 45 Begriffe zu ihrer schwarzen Liste hinzugefügt, die alle auf ein unbekanntes Virus mit ähnlichen Symptomen wie SARS Bezug nahmen. Zwischen dem 1. und 31. Januar blockierte der beliebte Instant-Messenger WeChat 132 Stichwortkombinationen. Die Zensur wurde im Folgemonat ausgeweitet, 384 weitere Wörter über das Coronavirus wurden in den ersten beiden Februarwochen zensiert. Die Schlagwörter und Wortkombinationen umfassen ein breites Themenspektrum, darunter Diskussionen über den Umgang führender Politikerinnen und Politiker in China mit dem Ausbruch, aber auch Reaktionen in Hongkong, Macau und Taiwan, sowie der Verweis auf Li Wenliang.

Unterdessen sind am 1. März in China neue Vorschriften zur Regulierung von Inhalten im Netz in Kraft getreten, mit denen Peking den Druck auf soziale Medien noch einmal erhöhen kann. Chinas Internet-Kontrollbehörde, die chinesische Cyberspace Verwaltung (CAC), hat sie bereits im vergangenen Jahr verabschiedet. Reporter ohne Grenzen zählt die CAC zu den größten Feinden des Internets weltweit. Laut der Nichtregierungsorganisation Chinese Human Rights Defenders wurden seit Beginn des Jahres mehr als 450 Internetnutzerinnen und -nutzer festgenommen oder bestraft, nachdem sie Informationen über das Coronavirus geteilt haben, die in den Augen der Behörden „falsche Gerüchte“ sind.

Am 10. März veröffentlichte das Magazin People ein Interview mit Ai Fen, Direktorin der Notaufnahme in einem Krankenhaus in Wuhan, die darin die den Ärztinnen und Ärzten auferlegte Zensur kritisiert. Ai Fen hatte im Dezember Informationen über das neuartige Virus auf WeChat gepostet, die später von dem inzwischen verstorbenen Whistleblower Li Wenliang geteilt wurden. Das Interview wurde auf sozialen Medien zensiert. Auch die Webseite der englischsprachigen Zeitung China Daily zensierte einen Ende Februar veröffentlichten Artikel, in dem der bekannte Epidemiologe Zhang Wenhong Zweifel daran äußerte, dass das Virus aus dem Ausland nach China gebracht worden sein kann.

Eigenes Narrativ über Ursprung des Virus

Am 12. März schrieb Zhao Lijian, Sprecher des chinesischen Außenministeriums auf Twitter: „Es könnte das US-Militär gewesen sein, das die Epidemie nach Wuhan gebracht hat“ und fügte hinzu: „Die USA schulden uns eine Erklärung.“. Zhao twittert auf Englisch und hat fast eine halbe Millionen Followerinnen und Follower auf dem sozialen Netzwerk, das in China gesperrt ist.

Ende Februar zitierte die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua den chinesischen Atemwegsspezialisten Zhong Nanshan von einer Pressekonferenz. Demnach müsse das Virus nicht aus China stammen, weil es in China den ersten Fall gab. Die chinesischen Botschaft in Südafrika griff die Aussage auf und teilte sie auf Twitter.

Chinas Botschafter in Frankreich hat der französischen Presse vorgeworfen, das Image des Landes durch „Lügen“ über Chinas Rolle in der Coronavirus-Pandemie zu beschmutzen. Die Medien betrieben mit Propagandamethoden angeblich Gehirnwäsche. Auch die chinesische Botschaft in Australien verfolgt offenbar genau, was ausländische Journalistinnen und Journalisten über den Ausbruch des Coronavirus veröffentlichen. Vor zwei Wochen berichtete der China-Korrespondent der australischen Zeitung Financial Review, dass er eine E-Mail der Botschaft in Canberra erhalten habe. Darin verwies sie auf Kommentare des chinesischen Außenministeriums über „höchst unverantwortliche“ Angaben einiger Medien über das Virus und warf Journalistinnen und Journalisten eine „Politisierung“ des Coronavirus vor.

Journalisten und Internetnutzer trotzen der Zensur

Trotz der umfassenden Zensur stemmen sich Journalistinnen und Journalisten, aber auch Internetnutzerinnen und -nutzer in China gegen die Versuche der Regierungspropaganda, Behördenversagen im Kampf gegen das Coronavirus zu vertuschen. Die beiden Magazine Caijing und Caixin etwa veröffentlichen Berichte darüber, dass die Behörden Informationen über die Ansteckung und Ähnlichkeit zu SARS zurückgehalten haben.

Wie die New York Times berichtet, teilen einige Medienschaffende auch Tipps und Quellen mit Kolleginnen und Kollegen konkurrierender Medien, falls ihr Artikel gesperrt werden sollte. Um Zensur zu vermeiden, konzentrieren sich einige Reporterinnen und Reporter eher auf Versäumnisse lokaler Behörden anstatt das Verhalten führender Politikerinnen und Politiker anzuprangern.

Chinesische Internetnutzerinnen und -nutzer haben zudem auf kreative Weise versucht, das zensierte Interview des Magazins People mit der Wuhaner Ärztin Ai Fen im Netz zu halten und die Zensoren auszutricksen. So wurde das Interview etwa in verschiedene Sprachen und Blindenschrift übersetzt und geteilt, Wörter durch Emojis und Symbole ersetzt, vorgelesen und als Tonaufnahme hochgeladen oder hinter QR-Codes versteckt.

Reporter ohne Grenzen hat im vergangenen Jahr einen ausführlichen Bericht über Chinas internationale Medienstrategie veröffentlicht: Im Rahmen einer langfristigen Strategie bauen Regierung und Kommunistische Partei dazu ihre Auslandsmedien aus, kaufen Anteile an Medien in anderen Ländern und bilden Tausende Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt zu pro-chinesischen Multiplikatoren aus.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Platz 177 von 180 Staaten. Mindestens 108 Medienschaffende sitzen dort derzeit wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Mehr zur Lage der Journalistinnen und Journalisten vor Ort finden Sie hier.

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