Ein Jahr nach Zyklon „Idai“: „Die Kinder haben Schreckliches erlebt und sind schwer traumatisiert“
Frau Henrichmann, vor einem Jahr sorgte der Zyklon „Idai“ für schwere Verwüstungen und große Überschwemmungen. Wie sieht es aktuell vor Ort aus?
Gesine Henrichmann: Ich habe Menschen getroffen, die alles verloren haben, die immer noch kein Dach über dem Kopf haben. In der Küstenstadt Beira in Mosambik mit rund 500.000 Einwohnern sind die Folgen der Katastrophe noch immer sichtbar: Viele Häuser sind zum Teil nur provisorisch wieder aufgebaut, die Dächer bestehen nur aus Planen, Bäume sind entwurzelt und Straßen zerstört. Ein Slumviertel an der Küste Mosambiks wurde besonders stark getroffen und überschwemmt. Die Familien dort haben sich aus Häuserresten kleine behelfsmäßige Schutzräume gebaut. Es ist schlimm, in welchen Verschlägen die Menschen leben müssen. Andere Familien wurden nach der Zerstörung durch Zyklon „Idai“ umgesiedelt und leben seit einem Jahr in Zeltlagern, weil ihr Dorf komplett zerstört wurde. Davon waren vor allem Fischer von der Küste Mosambiks betroffen, die ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Diese Menschen warten jetzt darauf, dass ihnen Land zugewiesen wird, auf dem sie neue Häuser bauen können. Diese Wartesituation ist für die Menschen nicht leicht. Sie wollen, dass es voran und weiter geht.
Der Wiederaufbau geht also nur sehr schleppend voran?
Gesine Henrichmann: An einen Wiederaufbau von Gebäuden und Infrastruktur ist erst jetzt – ein Jahr nach dem Wirbelsturm – überhaupt zu denken. Bislang ging es in erster Linie darum, dass die Menschen überleben und mit dem Nötigsten versorgt werden. Aktuell wird Baumaterial benötigt, um Straßen, Häuser und Schulen nach und nach aufzubauen. Der Schulunterricht kann teilweise nicht stattfinden, weil es durch das provisorische Dach aus Planen regnet. Doch nicht nur der Wiederaufbau ist wichtig. Auch fehlende Nahrung ist immer noch ein großes Problem, vor allem in den ländlichen Regionen. Und das wird sich auch weiter verschärfen.
Warum rechnen Sie mit einer Verschärfung der Ernährungslage?
Gesine Henrichmann: Der Zyklon hat ganze Landesteile überschwemmt und beinahe die gesamte Ernte vernichtet. Im Oktober vergangenen Jahres gab es dann eine lange Dürreperiode, im Januar dieses Jahres fraßen Heuschreckenschwärme alles kahl und im Februar gab es starke Regenfälle. Diese extremen Wetterbedingungen verschlimmern die Ernährungssituation, weil bei der nächsten Ernte im Mai mit sehr schlechten Erträgen zu rechnen ist.
Wie hilft das Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘ den Menschen in Ostafrika?
Gesine Henrichmann: Das Spektrum unserer Hilfsmaßnahmen ist breit. Gemeinsam mit unseren Partnern vor Ort stellen wir Nahrungsmittel bereit, helfen den Menschen mit Medikamenten und sauberem Trinkwasser, und unterstützen beim Wiederaufbau von Gebäuden. Unmittelbar nach der Katastrophe im vergangenen Jahr hat das Kindermissionswerk 100.000 Euro für Nothilfemaßnahmen bereitgestellt. Damit konnten wir unsere Partner in die Lage versetzen, die Menschen mit dem Nötigsten wie Nahrungsmittel, Medikamente oder Decken zu versorgen. In einem Schulinternat in Mosambik, das stark von „Idai“ zerstört wurde, haben wir neue Sanitäranlagen bauen können. In einer Missionsstation unseres Partners Esmabama bauen wir eine zerstörte Schule neu auf und versorgen die vom Zyklon betroffenen Familien mit Essen und Trinken. Gemeinsam mit unserem Partner Sant’Egidio unterstützen wir in der vom Zyklon schwer getroffenen Küstenstadt Beira ein Gesundheitszentrum für HIV- und Aids-Patienten sowie ein Ernährungszentrum. Rund 850 Kinder bekommen dort eine warme Mahlzeit am Tag und es werden Lebensmittel und Trinkwasser ausgegeben. In Simbabwe helfen wir den Dominikanerschwestern, die in ihren Nothilfezentren die Menschen, vor allem Kinder und Mütter, mit dem Nötigsten versorgen.
Kinder sind von Katastrophen und Krisen häufig besonders stark betroffen. Haben Sie das bei Ihrer Reise beobachten können?
Gesine Henrichmann: Ja, viele Mädchen und Jungen haben Schreckliches erlebt und sind schwer traumatisiert. Das spürt man, wenn man sie trifft. Sie haben diese Katastrophe hautnah miterlebt, haben gesehen, wie ihr Bruder, ihre Schwester oder ihre Mama von den Fluten mitgerissen wurden. Sie haben aber nicht nur ihre Liebsten, sondern auch ihr Zuhause und damit Schutz und Geborgenheit verloren. Und die Angst ist immer noch da: Sobald es stärker regnet und stürmt, ist die Furcht groß, dass ein neuer Zyklon noch mehr Leid über sie bringen könnte.
Wie haben die Menschen die Katastrophe vor einem Jahr erlebt?
Gesine Henrichmann: Die Menschen haben mir Erschreckendes erzählt. In Simbabwe berichteten mir die Bewohner eines Dorfes von einer 300 Meter breiten und mehrere Kilometer langen Schlamm- und Steinlawine, die ganze Häuserreihen mitriss. 260 Menschen verloren ihr Leben, 250 von ihnen konnten bis heute nicht geborgen werden. Der Erdrutsch traf auch ein Internat. Der Speisesaal wurde komplett zerstört, im Schlafsaal wurden die Kinder von der Lawine überrascht, zwei Jungen starben. 1,50 Meter hoch steht der Schlamm nun in dem Schlafsaal. Heute wirken die Reste der Lawine wie ein Mahnmal, das die Bewohner immer an diese schreckliche Nacht, als der Zyklon auf Land traf, erinnern wird. Es gibt unzählige dieser schlimmen Schicksale. Ein Vater schilderte mir, wie er nur eines seiner drei Kinder vor den Fluten retten konnte. Bei den beiden anderen musste er mit ansehen, wie sie von der Wassermassen weggespült wurden. Seine Frau überlebte, hat aber sichtbar schwere Verletzungen davongetragen. Eine andere Frau hat zwei Tage lang auf einem Baum ausharren müssen, weil sie von den Wassermassen eingeschlossen war und die starken Fluten keine Rettung zuließen.
Mehr als 1.800 Projekte für benachteiligte Kinder weltweit werden jährlich vom Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘ unterstützt. Einnahmen in Höhe von insgesamt rund 78,4 Millionen Euro standen dem Hilfswerk der Sternsinger 2018 für seine Arbeit zur Verfügung. Gefördert wurden Projekte in 111 Ländern. Neben der Förderung der Kinder-Hilfsprojekte zählen der Einsatz für die Rechte von Kindern weltweit sowie die Bildungsarbeit zu den Aufgaben.
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