Neue Patientenleitlinie „Funktionelle Körperbeschwerden verstehen und bewältigen“
Die Leitlinie vergleicht funktionelle Körperbeschwerden mit einem aus dem Takt geratenen Orchester: Alle Instrumente funktionieren, jeder einzelne Musiker spielt richtig, doch es fehlt am harmonischen Zusammenspiel. Als Ergebnis entstehen Missklänge – und ebenso wie diese real hörbar sind, werden auch funktionelle Gesundheitsprobleme tatsächlich wahrgenommen. Sie sind nicht „eingebildet“ oder gar „simuliert“, sondern oft sehr belastend, da sie Alltag und Lebensqualität beeinträchtigen. Diese Belastung vergrößert sich noch, wenn Umfeld und Ärzte mit Unverständnis, Hilflosigkeit oder aber Aktionismus reagieren, heißt es in der Leitlinie, die von Experten der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und ärztliche Psychotherapie (DGPM), des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM), der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen und der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe erarbeitet wurde.
Auch wenn manche Betroffene körperliche oder psychische Begleiterkrankungen haben, lassen sich in aller Regel keine einzelnen oder eindeutigen „Ursachen“ für die Beschwerden feststellen. Meist sind es mehrere psychische, soziale und körperliche Auslöser, die zusammenwirken, bis der Körper quasi ein Stoppsignal sendet: Stress am Arbeitsplatz oder in der Familie, Verlusterfahrungen, Unfälle, Infektionen und vieles mehr. Funktionelle Beschwerden sind also, wie die Leitlinie betont, weder eindeutig körperlicher noch eindeutig psychischer Natur. Sie verdeutlichen vielmehr, wie eng Körper und Seele zusammenhängen. Auch bei der Behandlung sollte daher der ganze Mensch mit seinen körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen gesehen und auf all diesen Ebenen gestärkt werden.
Eine rein medizinische Therapie – etwa mit Medikamenten oder Operationen – ist daher nicht angezeigt und kann aufgrund von Nebenwirkungen sogar schädlich sein. Auch eine rein passive Beschwerdelinderung mit Schmerzmitteln oder Massagen wirkt meist nur vorübergehend, kann schädliches Schonverhalten fördern und dazu beitragen, dass sich das eigene „Selbstverständnis als Kranker“ weiter zementiert. Stattdessen, so empfiehlt die Leitlinie, sollten Betroffene selbst aktiv werden: Information, Aktivität und Selbsthilfe lauten die Schlagworte, mit denen die Leitlinie Patienten dazu ermutigt, dem eigenen Körper wieder zu vertrauen, ihn besser zu verstehen und für ihn zu sorgen. Dazu gehört, Warnsignale ernst zu nehmen und Überlastungen zu vermeiden – aber auch, Schonhaltungen aufzubrechen, sich abzulenken, Probleme anzugehen und sich sinnvolle Ziele zu setzen.
Bei zwei Drittel der Patienten reichen solche einfachen Maßnahmen und ein gutes Arztgespräch schon aus, um die Beschwerden deutlich zu reduzieren. Bei hartnäckigeren Beschwerden kann es hilfreich sein, weitere Behandlungselemente zu ergänzen, etwa Psychotherapie. Psychotherapie heißt dabei nicht, dass „die Psyche“ therapiert wird, betont die Leitlinie, sondern vielmehr, dass der oder die Einzelne in seinem oder ihrem individuellen Lebenskontext wahrgenommen, persönliche Stärken gefördert und dafür bewährte psychologische Mittel wie Entspannungs- oder Stressbewältigungstechniken in die Behandlung miteinbezogen werden. Dann bestehe die Chance, auch bei schwereren Fällen, gemeinsame Auswege zu entwickeln und wieder zu mehr Lebensqualität zurückzufinden.
Die Leitlinie existiert in zwei Versionen in patientenfreundlicher Sprache: Eine Langfassung erklärt anhand vieler Beispiele die Mechanismen, die funktionelle Beschwerden auslösen, und zeigt auf, wie sie bewältigt werden können: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-001p1_S3_Funktionelle_Koerperbeschwerden_2020-01.pdf
Eine kompakte Kurzfassung fasst wesentliche Informationen zusammen und kann auch als Faltblatt ausgedruckt werden https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-001p2_S3_Funktionelle_Koerperbeschwerden_2020-01.pdf
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