Seelenhygiene in Zeiten der Krise
Wenn Menschen viel Zeit allein verbringen müssen, ist das nicht selten mit erheblicher seelischer Belastung verbunden. Längerdauernde Quarantäne kann Betroffene aus der Bahn werfen, dazu führen, dass das Pflegen sozialer Kontakte immer schwerer fällt, und die psychische Gesundheit auch nach der Zeit der physischen Isolation beeinträchtigt ist. „Die einschneidenden Alltagsveränderung belasten uns alle – insbesondere aber jene sind gefährdet, die neben den allgemeinen Belastungen noch spezifische erleiden müssen, etwa durch Existenzängste oder besondere berufliche Herausforderungen, wie sie beispielsweise Mitarbeiter in Gesundheitsberufen aktuell erleben“, sagt Professor Dr. med. Harald Gündel, Mediensprecher der DGPM aus Ulm. Folgende Maßnahmen können helfen, Zeiten der Isolation und eingeschränkter Kontakte möglichst gut zu bewältigen:
Guter Draht nach draußen
In Zeiten von Quarantäne und Kontaktverboten werden Internet und Telefon immer wichtiger. Nutzen Sie zur Verfügung stehende Kanäle, um die Verbindung zu Freunden und Familie aufrecht zu erhalten. Gleiches gilt im beruflichen Kontext: Regelmäßige persönliche Kontakte zu den Kollegen über Telefon oder Videokonferenzen können beitragen, den Arbeitstag zu erleichtern, Normalität zu bewahren und sich gegenseitig zu unterstützen.
Strukturierter Alltag und sinnvolle Aktivitäten
Auch wenn Sie derzeit keiner Arbeit nachgehen: Strukturieren Sie Ihren Alltag – etwa mit festen Aktivitäts-, Ruhe- und Schlafenszeiten – und suchen sich sinnvolle Aktivitäten, um die frei gewordene Zeit zu nutzen. Dazu sollte nach Möglichkeit auch körperliche Betätigung und Bewegung an der frischen Luft gehören. Eine weitere Möglichkeit kann sein, sich kreativ zu betätigen oder lang aufgeschobene Tätigkeiten anzugehen.
Keine Stigmatisierung und Ausgrenzung
Jeder kann dazu beitragen, das Wohlbefinden von Menschen, die akut an Covid-19 erkrankt sind, zu steigern – indem man die Erkrankten bestmöglich in der Versorgung unterstützt und potentielle Risikogruppen wie ältere und vorerkrankte Menschen sowie Personen aus Risikogebieten nicht über das zur Infektionsvermeidung notwendige Maß meidet. Das kann etwa bedeuten, den Einkauf für Betroffene zu erledigen oder persönliche Kontakte über Telefon und Internet zu pflegen.
Gruppenstress in Familien und Wohngemeinschaften thematisieren
Quarantäne in einer Familie oder einer Wohngemeinschaft kann zu völlig neuen Dynamiken und Gefühlen bei den Beteiligten führen. Im schlimmsten Fall erschweren sich Familien- und WG-Mitglieder gegenseitig die ohnehin belastende Isolation, anstatt die Vorteile der Gemeinschaft zu nutzen. Nehmen Sie daher eigene Bedürfnisse etwas mehr zurück, als Sie es gewohnt sind. Finden Sie einen Rahmen, etwa das tägliche gemeinsame Abendessen, um mögliche Spannungen oder Probleme in Ruhe anzusprechen. Verschweigen und Überspielen kann toxisch auf das Gruppengefüge wirken, und sich beim Einzelnen durch körperliche Symptome bemerkbar machen. Dabei sollte kein Familienmitglied oder Mitbewohner ausgegrenzt werden – das heißt, dass beispielsweise Kinder, ältere Menschen und auch akut an Covid-19 erkrankte Menschen sich gleichberechtigt äußern dürfen und sollten.
Ängsten begegnen, Ängste aushalten, Ängste behandeln
Professor Manfred Beutel, der die Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Mainz leitet, sagt: „Generell ist Angst ein nützlicher Begleiter, der uns Gefahren signalisiert und dafür sorgt, uns besonnen und verantwortungsbewusst zu verhalten. Übermäßige und unrealistische Ängste können aber auch zu Panik oder führen.“ Diese äußert sich oft körperlich, durch Herzklopfen, Herzrasen, Engegefühle in der Brust oder Beklemmungsgefühle. „Wichtig ist jetzt vor allem, sich rational mit dem neuen Virus auseinanderzusetzen und sich in seriösen Quellen zu informieren, wie man sein Infektions- und Erkrankungsrisiko senken und gegebenenfalls andere unterstützen kann“, so der Experte.
Ob Robert-Koch-Institut, das Bundesgesundheitsministerium oder die Tagesschau – nutzen Sie vertrauenswürdige Quellen für die Informationsgewinnung. „Dabei kommt auch den Medien und Internetnutzern eine besondere Verantwortung zu: Bilder von leeren Regalen, dramatisierende Vergleiche oder das Verbreiten von Gerüchten tragen nicht zur gemeinsamen Sicherheit bei“, ergänzt Gündel. Ein übermäßiger und wahlloser Medienkonsum kann daher zusätzlich verwirren und entscheidende Informationen verwässern.
Diese Maßnahmen können beitragen, Angst, Depression und allgemeinen Stress zu reduzieren. Letzteres ist gerade in Zeiten von Covid-19 von besonderer Bedeutung: Experimentelle Studien zeigen, dass chronischer Stress das körpereigene Immunsystem hemmt, welchem eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung von viralen Infektionen, zu denen auch das neuartige Virus zählt, zukommt.
Angst vor einer Infektion mit Covid-19 kann sich auch darin äußern, dass Krankheitssymptome körperlich erlebt werden, obwohl keine Infektion vorliegt. „Dann verschlimmern sich die gesundheitlichen Ängste nochmal und es droht ein Teufelskreislauf“, so Gündel. Ein erster Schritt der Bewältigung ist es, seine Ängste zu benennen und sich mit anderen darüber auszutauschen. Ist die Angst begründet? Wie kann ich ihr begegnen, ohne bestimmte Situationen grundsätzlich zu vermeiden? Nehmen Angstzustände überhand, sollten Betroffene sich professionelle Hilfe durch einen ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten suchen.
Abstand verbindet
„Gerade in der aktuellen Situation gelten neue Maßstäbe für ein angemessenes und rationales Verhalten – so ist etwa das strikte Vermeiden körperlicher Nähe sinnvoll und kein Symptom psychischer Überlastung oder einer Vermeidungshaltung“, sagt Gündel. Um die persönlichen Gefühle einzuordnen, ist es daher umso wichtiger, den Austausch mit vertrauten Menschen zu suchen und Gedanken und Ängste zu thematisieren. Das Bewusstsein, mit der Quarantäne „ein gutes Werk“ zu tun, andere Menschen zu schützen, sich also altruistische Aspekte vor Augen zu führen, ist ebenfalls ein Schutzfaktor für das gesunde Bewältigen einer solchen Zeit.
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. (DGPM)
Jägerstr. 51
10117 Berlin
Telefon: +49 (30) 20648243
http://www.dgpm.de
Telefon: +49 (711) 8931-457
E-Mail: wetzstein@medizinkommunikation.org