3,9 Millionen verschwiegene Tieropfer
Der Statistik des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) zufolge wurden 2,138 Millionen Tiere im Jahr 2018 in Tierversuchen verwendet, weitere mehr als 686.000 wurden zur Organ- oder Gewebeentnahme getötet, zusammen mehr als 2,8 Millionen. Dass es eine Dunkelziffer gibt, kritisiert der Verein Ärzte gegen Tierversuche seit Jahren und ging bislang von einem Faktor von 2,5 allein für die Vorratshaltung aus, plus eines „Ausschusses“ im Bereich der Gentechnik in unbekannter Höhe (1). Auf Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gibt die Bundesregierung nun eine Zahl von 3,9 Millionen nicht in der BMEL-Statistik erfasster Tiere an, die in erster Linie bei der Genmanipulation anfallen. (2).
Doch diese Zahl ist zu gering und gibt die Realität nur unvollständig wieder. Bei der „Produktion“ von gentechnisch veränderten Tieren weisen meist nur sehr wenige Tiere die gewünschte Veränderung auf. Die unerwünschten Tiere und die nicht mehr benötigten Elterntiere werden „unschädlich inaktiviert“, wie es im Fachjargon respektlos heißt. Auch weibliche Tiere – vor allem Mäuse – fallen oft als „Überschuss“ an, denn sie werden wegen des variablen Hormonhaushalts nicht so oft verwendet wie männliche. Ein weiterer Grund, als „Ausschuss“ getötet zu werden, ist das Alter; Tiere eines Forschungsprojektes müssen alle ungefähr gleich alt sein. Oft werden Tiere auch auf Vorrat gezüchtet und gehalten und bei fehlendem Bedarf getötet. Der Ärzteverein geht also von einer weit höheren Dunkelziffer über die nun eingeräumten 3,9 Millionen Tiere hinaus aus. „Die ‚Ausschussquote‘ bei der Genmanipulation liegt bei 90-99%. Bei über einer Million genveränderter Tiere, die der offiziellen Statistik zufolge in Tierversuchen verwendet wurden, müsste demnach die Zahl der ‚entsorgten‘ Tiere noch sehr viel höher liegen“, sagt Claus Kronaus, Geschäftsführer von Ärzte gegen Tierversuche.
Dass diese seit Jahrzehnten übliche Praxis rechtswidrig ist, belegt eine jetzt veröffentlichte juristische Studie (3). Grundlage ist ein wegweisendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Juni 2019, demzufolge dem sogenannten „Kükenschreddern“ kein „vernünftiger Grund“ im Sinne des Tierschutzgesetzes zugrunde liegt. Männliche Eintagsküken der Legerassen werden in Brütereien nach dem Schlüpfen getötet (meist vergast oder geschreddert), weil sie keine Eier legen können und auch nicht genug Fleisch ansetzen, somit ein Überleben wirtschaftliche Verluste bedeuten würde. Dies betrifft ca. 50 Millionen männliche Küken in Deutschland pro Jahr. Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass das wirtschaftliche Interesse kein vernünftiger Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes für das Töten der männlichen Eintagsküken ist. Diese Rechtsprechung lässt sich eindeutig auf die oben geschilderte Situation der Tierversuche übertragen.
„Dem verschwenderischen Halten und Töten von Tieren im System Tierversuch ist spätestens durch das Urteil mit sofortiger Wirkung der Boden entzogen worden“, erklärt Dr. Barbara Felde, Vorstandsmitglied der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht und Autorin der Studie. Für die Praxis bedeutet dies, dass überzählige Tiere entweder vermittelt oder in einem „Altersheim für Versuchstiere“ bis an ihr Lebensende versorgt werden müssen. „Dass dies einen großen Aufwand und hohe Kosten bedeutet, ist angesichts des Verfassungsguts ‚Tierschutz‘, dessen Bedeutung das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil betont hat, hinzunehmen, schließlich darf auch niemand seine Heimtiere einfach töten, wenn er sie nicht mehr haben will“, so die Juristin. Die Vereine DJGT und ÄgT fordern von der Politik endlich einen Ausstiegsplan aus dem Tierversuch vorzulegen, damit Tiere gar nicht erst geboren werden, um im Versuch leidvoll zu sterben oder als „Abfall“ entsorgt zu werden.
Weitere Informationen
(1) Strittmatter S. Millionen verschwiegene Tieropfer bei Tierversuchen, 12.05.2014 >>
(2) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Renate Künast, Kai Gehring, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 01.04.2020
Die Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT) ist eine Vereinigung, deren Mitglieder – vornehmlich Juristinnen und Juristen – sich mit dem deutschen, europäischen und internationalen Tierschutzrecht befassen. Die DJGT setzt sich für die Förderung des Tierschutzes ein und verfolgt das Ziel, auf den effektiven Vollzug der bestehenden tierschutzrechtlichen Regelungen und deren Fortentwicklung hinzuwirken.
Die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche e.V. besteht seit 1979 und ist ein bundesweiter Zusammenschluss aus Ärzten, Tierärzten und Naturwissenschaftlern, die Tierversuche aus ethischen und wissenschaftlichen Gründen ablehnen. Der Verein engagiert sich für eine moderne, humane Medizin und Wissenschaft ohne Tierversuche, die sich am Menschen orientiert und bei der Ursachenforschung und Vorbeugung von Krankheiten sowie der Einsatz tierversuchsfreier Forschungsmethoden im Vordergrund stehen.
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