Geschlossene Kitas: Mütter tragen mit Blick auf Zeiteinteilung vermutlich die Hauptlast
Am 15. April 2020 waren UN-Angaben zufolge weltweit mehr als 90 Prozent der SchülerInnen und Kita-Kinder von Schließungen betroffen. In Deutschland werden nach Jahren des Kita-Ausbaus nahezu alle Kinder über drei Jahren in einer Kita betreut und auch bei den unter Dreijährigen ist es inzwischen mehr als jedes dritte Kind, das eine Kita besucht. Nicht umsonst wird nach der jüngsten Stellungnahme und den Empfehlungen der Leopoldina[1] (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina) zur weiteren Schließung von Kitas bis zu den Sommerferien – zumindest für Kinder unter fünf Jahren – heftig über die Folgen einer solchen andauernden Schließung diskutiert. Diese kann sich nicht nur in der Entwicklung der Kinder widerspiegeln, sondern auch im Haushaltseinkommen aufgrund veränderter Erwerbskonstellationen, der Gleichstellung der Geschlechter und dem Wohlbefinden der Familienmitglieder.
Aufgrund des Mangels an repräsentativen Daten über die aktuelle Situation ist es unmöglich, die tatsächlichen Auswirkungen auf die Zeitverwendung von Eltern zu messen. Daher wird die neueste Welle der Zeitverwendungsdaten des Statistischen Bundesamtes aus den Jahren 2012/2013 analysiert, um Anhaltspunkte für mögliche Auswirkungen der aktuellen Kita-Schließungen zu erhalten. Es wird die Zeitverwendung von Eltern, deren jüngstes Kind (unter sechs Jahren) nicht in eine Kita geht, verglichen mit der Zeiteinteilung von Eltern, deren jüngstes Kind eine Kita besucht.[2] Dabei kann angenommen werden, dass der Unterschied in der Zeitverwendung beider Gruppen Hinweise darauf gibt, welche Auswirkungen die coronabedingten Kita-Schließungen haben (werden). Allerdings sind diese Ergebnisse nicht eins zu eins auf die jetzige Situation übertragbar: Kitas sind derzeit nur vorübergehend und nicht dauerhaft geschlossen, hinzu kommen aber Einschränkungen bei sozialen Kontakten und Reisen sowie die Tatsache, dass viele Eltern im Home-Office ihrer Erwerbsarbeit nachgehen müssen oder – etwa wenn sie in Kurzarbeit sind – finanzielle Einbußen verkraften müssen.
Vor allem Mütter verbringen deutlich mehr Zeit mit ihrem Kind, wenn es nicht in die Kita geht
Eltern verbringen mehr Zeit mit ihrem Kind, wenn es keine Kita besucht – dies ist zwar zu erwarten, aber nicht unbedingt zwingend, da in „Normalzeiten“ auch eine Betreuung durch Großeltern oder andere Personen erfolgen kann. Der Zusammenhang ist für Mütter deutlich größer als für Väter (Abbildung 1): Mütter verbringen im Durchschnitt täglich 134 Minuten oder 36 Prozent mehr Zeit mit ihrem Kind, wenn es keine Kita besucht, als Mütter mit einem Kita-Kind. Bei den Vätern beträgt der Unterschied nur 19 Minuten pro Tag oder neun Prozent.
Jedoch ist nicht die gesamte Zeit, die mit Kindern verbracht wird, Zeit, in der Eltern direkt mit dem Kind interagieren und sich aktiv dem Sohn oder der Tochter zuwenden, also beispielsweise gemeinsam spielen. Vielmehr zeigt sich, dass der zeitliche Unterschied mit Blick auf die „aktive“ Zeit mit dem Kind zwischen Müttern ohne und mit Kita-Kind nicht so groß ist wie die zuvor dargestellte Differenz mit Blick auf die Zeit, in der das Kind anwesend ist. So sinkt die Differenz zwischen „Kita-Müttern“ und „Nicht-Kita-Müttern“ im Mittel auf 63 Minuten täglich. Mütter ohne Kita-Kinder verbringen also nur 29 Prozent mehr Zeit aktiv mit ihrem Kind, obwohl sie 36 Prozent mehr Zeit mit ihrem Kind zusammen sind. Bei Vätern ist sogar zu beobachten, dass sie etwas weniger Zeit (im Durchschnitt fünf Minuten) aktiv mit ihrem Kind verbringen, wenn es nicht in eine Kita geht.
Das lässt erwarten, dass es auch während der derzeitigen Kita-Schließungen Eltern nicht möglich ist, sich die gesamte zusätzliche Zeit aktiv mit ihrem Kind zu beschäftigen – zumal viele Eltern derzeit im Home-Office bezahlter Arbeit nachgehen müssen. Eine alternative Betreuung über Großeltern fällt wegen besonderer Infektionsrisiken für ältere Menschen in vielen Fällen weg.
Ohne Kita-Besuch sinkt die Erwerbsarbeit und steigt die Hausarbeit
Mütter, deren jüngstes Kind keine Kita besucht, wenden erwartungsgemäß weniger Zeit für bezahlte Erwerbsarbeit auf, im Mittel 57 Minuten pro Tag (Abbildung 2). Dagegen verbringen sie mehr Zeit mit Hausarbeit: im Durchschnitt zusätzliche 31 Minuten pro Tag. Die geringere Zeit für Erwerbsarbeit steht im Einklang mit Untersuchungen, die zeigen, dass der Kita-Ausbau in Deutschland die Erwerbstätigkeit von Müttern und auch ihr Arbeitsvolumen erhöht hat.[3] Mütter, deren Kind keine Kita besucht, kombinieren zudem häufiger Hausarbeit und Kinderbetreuung. Die Zunahme der Hausarbeit kann zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass sie mehr Zeit für die Zubereitung von Essen und Reinigungsarbeiten brauchen, wenn das Kind mehr Zeit zu Hause verbringt. Bei Vätern unterscheidet sich der zeitliche Umfang ihrer Erwerbs- und Hausarbeit nicht danach, ob ihr Kind in eine Kita geht oder nicht.
Mit Blick auf die aktuellen Kita-Schließungen ist allerdings zu erwarten, dass sich die Auswirkungen auf die bezahlte Erwerbsarbeit weniger deutlich darstellen. Insbesondere die betroffenen Mütter werden versuchen, ihre Erwerbsarbeit im Home-Office beispielsweise auf die Schlafzeiten des Kindes zu verlegen oder auf Zeiten, in denen das Kind zwar anwesend ist, sie sich aber nicht mit ihm beschäftigen. Zudem dürften viele Mütter versuchen, sich die Kinderbetreuung mit ihrem Partner aufzuteilen. Inwiefern das gleichberechtigt gelingt, ist allerdings nicht sicher. Wie bisherige Studien vermuten lassen, spricht einiges dafür, dass die Hauptbetreuungsaufgabe bei den Müttern verbleibt. Auch die vorliegende Analyse unterstreicht dies, da der Kita-Besuch eines Kindes die Zeit, die Väter mit ihren Kindern verbringen, nur geringfügig ändert und auch für die Erwerbsarbeit und die Hausarbeit von Vätern keinen signifikant großen Unterschied macht.
Damit lassen diese Analysen einmal mehr vermuten, dass Frauen und insbesondere Mütter besonders stark von den Folgen der aktuellen Corona-Krise betroffen sind. Viele Mütter werden wohl ihre bezahlten Arbeitsstunden reduzieren müssen, was sich auf ihr eigenes Erwerbseinkommen und das Haushaltseinkommen auswirkt.[4] Dies wird insbesondere Mütter betreffen, die nicht von zu Hause arbeiten können und nicht in systemrelevanten Berufen beschäftigt sind. Mütter, die in der Lage sind, abends im Home-Office zu arbeiten, werden wahrscheinlich weniger Freizeit haben und/oder weniger schlafen.[5] Schließlich kann sich in einigen Fällen die Aufteilung der elterlichen Kinderbetreuung mit dem Partner als kostspieliger Verhandlungsprozess erweisen. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die coronabedingten Kita-Schließungen erhebliche Auswirkungen auf die elterliche Zeitverwendung haben werden. Hinzu kommen negative Effekte auf das Einkommen der Haushalte, das Wohlergehen der Haushaltsmitglieder[6] und auf die Gleichstellung beider Geschlechter[7].
Fazit: Befunde sollten in Diskussionen um Lockerung der Einschränkungen einbezogen werden
Diese Analyse lässt darauf schließen, dass infolge der coronabedingt geschlossenen Kitas insbesondere Mütter erheblich mehr Zeit für Kinderbetreuung und Hausarbeit aufwenden müssen. Gleichzeitig können sie aber nur einen Bruchteil der zusätzlichen Zeit mit ihrem Kind aktiv mit diesem verbringen, etwa mit Spielen oder anderen gemeinsamen Aktivitäten. Das ist auch dann der Fall, wenn die Zeit, in der das Kind anwesend ist, überproportional zunimmt. Dies kann die Entwicklung der Kinder, die sonst mit anderen Kindern in einer Kita zusammen wären, beeinflussen. Welcher Natur diese Veränderungen sind, wird sich insbesondere in der Zeit nach der Krise zeigen. Sie sollten jedoch bereits jetzt bedacht werden.
Durch die Kita-Schließungen kommt auf Mütter signifikant mehr Hausarbeit zu – während Väter sich vermutlich im geringeren Maße an zusätzlichen Aufgaben beteiligen. Dies lassen zumindest die Analysen von Zeitverwendungsdaten vor der Krise vermuten. Auch die Erwerbstätigkeit von Müttern wird nur verbunden mit stärkeren Einschränkungen möglich sein. Zwar reagieren Väter in ihrem Erwerbsverhalten in der Regel kaum auf die die Kita-Nutzung ihrer Kinder, aber auch sie können krisenbedingt von Kündigungen oder Arbeitszeitverkürzungen betroffen sein.
Befunde wie die vorliegenden, die aus Zeitverwendungsdaten abgeleitet sind, sollten bei Diskussionen über mögliche Lockerungen der Corona-Einschränkungen einbezogen werden. Das gilt insbesondere für Überlegungen, wie Familien mit jungen Kindern gezielt unterstützt werden können. Arbeitsmarkt-, Bildungs- und FamilienökonomInnen sowie Gleichstellungsforscherinnen des DIW Berlin haben jüngst dazu Anregungen gegeben.[8] Sie schlagen konkret vor, eine Corona-Elternzeit und ein Corona-Elterngeld einzuführen. Kindertageseinrichtungen sollten schrittweise für mehr Kinder geöffnet werden, damit Kindern zumindest tageweise ein Kita-Besuch ermöglicht wird.
Fußnoten
[1] Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2020): Dritte Ad-hoc-Stellungnahme: Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden. 13. April 2020 (online verfügbar, abgerufen am 15. April 2020).
[2] Die Autoren und die Autorin führen dazu seit 2019 ein entsprechendes Forschungsprojekt durch, bei dem es um die Auswirkungen eines Kita-Besuchs auf die elterliche Zeitverwendung geht, vgl. Jonas Jessen, C. Katharina Spiess und Sevrin Waights (2020): The Impact of Center-based Care on Parenting Activities (mimeo). Wie in diesem DIW aktuell ist aus Datengründen die Analyse auf Familien mit einem Kind unter zehn Jahren beschränkt. In dem Forschungspapier wird dargelegt, warum die Ergebnisse auch auf andere Familien übertragbar sind.
[3] Vgl. Kai-Uwe Müller und Katharina Wrohlich (2020): Does Subsidized Care for Toddlers Increase Maternal Labor Supply? Evidence from a Large-scale Expansion of Early Childcare. Labour Economics 62 (1).
[4] Durch den Bezug von Kurzarbeitergeld bleiben Arbeitsplätze oftmals erhalten, jedoch werden Arbeitsstunden reduziert. Die Bundesagentur für Arbeit kommt nur für einen Teil der Lohndifferenz auf, sodass es trotzdem zu temporären Lohneinbußen kommt.
[5] Jessen et al. (2020), a.a.O.
[6] Andere Studien belegen, dass der Ausbau der Kindertagesbetreuung und auch der Ausbau ganztägiger Betreuungsangebote das Wohlbefinden von Müttern signifikant steigert.
[7] Während die Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter kurzfristig wohl negativ sein werden, könnte es gegensätzliche Auswirkungen in der langen Frist geben: Frauen könnten überproportional von flexibleren Arbeitsarrangements profitieren, die derzeit umgesetzt werden. Väter könnten ihre Mitwirkung bei der elterlichen Kinderbetreuung während der Krise erhöhen, was langfristig soziale Normen verändern könnte.
[8] Vgl. Pressemitteilung des DIW Berlin vom 16. April 2020: DIW-ÖkonomInnen fordern Corona-Elterngeld, um erwerbstätige Eltern zu entlasten (online verfügbar, abgerufen am 16. April 2020).
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