Verbraucher & Recht

OLG Koblenz, Urteil vom 03.04.2020, 8 U 1956/19, stellt klar: VW haftet im Abgasskandal auch bei Autokauf ab 2016

Mindestens 100.000 der circa 366.000 zu der VW Musterfeststellungsklage angemeldeten VW-Kunden bekommen trotz des außergerichtlichen Vergleichs keinerlei Entschädigung. Es ist natürlich enttäuschend, dass die Interessen von fast einem Drittel der Verbraucher für die Einigung geopfert worden sind. Umso bedeutsamer ist das aktuelle Urteil des OLG Koblenz vom 03.04.2020, 8 U 1956/19. „Diese Entscheidung zeigt erneut, dass all diejenigen, die durch das Raster gefallen sind, ihre Ansprüche mit aller Konsequenz weiter verfolgen sollten. Das gilt auch für Geschädigte, die sich nicht an der Musterfeststellungsklage beteiligt hatten“, empfehlen Dr. Marcus Hoffmann und Mirko Göpfert, Partner der im Bank- und Verbraucherschutzrecht tätigen Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner Rechtsanwälte aus Nürnberg.

In dem VW-Musterfeststellungsklageverfahren vor dem OLG Braunschweig wurde eine Einigung zwischen dem Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) und der Volkswagen AG verkündet. Von einem echten Vergleich im Sinne der Musterfeststellungsklage kann freilich keine Rede sein. Nach Auffassung der Nürnberger Rechtsanwälte wurden die aus gutem Grunde geschaffenen gesetzlichen Vorschriften vielmehr umgangen.

Dies betrifft insbesondere die gesetzlich festgeschriebene 30-Prozent-Grenze. Von dieser hätten genau die rund 100.000 Geschädigten profitiert, die trotz der Einigung gerade kein Vergleichsangebot von VW erhalten. Das Verfahren wäre sodann mangels Zustandekommens eines wirksamen Vergleichs schlicht fortzuführen gewesen. Jetzt nimmt der vzbv jedoch in jedem Fall – selbst wenn kein einziger Verbraucher das Vergleichsangebot von VW annehmen sollte – die Klage Ende April 2020 zurück und circa 100.000 Verbraucher schauen zunächst einmal in die Röhre. „Dies war ersichtlich nicht die gesetzgeberische Intention bei der Einführung der Musterfeststellungsklage“, meint Rechtsanwalt Dr. Hoffmann.

In der weit überwiegenden Mehrheit der rund 100.000 nicht für einen Vergleich „qualifizierten“ Fälle erfolgte der Erwerb des manipulierten Kfz nach dem 31.12.2015. In diesen Sachverhalten lehnen einige Gerichte eine Schadensersatzhaftung der Volkswagen AG ab, weil VW bereits mit einer Ad-hoc-Mitteilung vom 22.09.2015 die Öffentlichkeit über die „Softwareproblematik“ informiert habe. Volkswagen sah daher ein geringeres Haftungsrisiko und damit keinen Anlass für eine Vergleichszahlung.

Die circa 100.000 Geschädigten, die durch das Sieb gefallen sind, müssen dennoch nicht leer ausgehen. Die Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner empfiehlt dringend, auch in diesen Fällen Schadensersatzansprüche mit aller Konsequenz weiter zu verfolgen. Denn nach Auffassung der Nürnberger Rechtsanwälte bestehen auch für Betroffene, die ihr Kfz erst nach dem 31.12.2015 gekauft haben, gute Chancen, ihre Ansprüche erfolgreich gerichtlich durchzusetzen.

So stellte bereits das OLG Hamm in seinem Urteil vom 10.09.2019, 13 U 149/18, zutreffend fest, dass VW auch im Falle des Erwerbs eines manipulierten Kfz im Jahr 2016 auf Schadensersatz haftet. Ebenso entschied das OLG Oldenburg mit Urteil vom 16.01.2020, 14 U 166/19. Das Oberlandesgericht erachtet die Ad-hoc-Mitteilung von VW Ende 2015 für irrelevant, nachdem der Schaden bereits eingetreten war. „Der Senat des OLG Oldenburg hält es völlig zu Recht für unangemessen, den Täter bei einer vollendeten sittenwidrigen Handlung mit Straflosigkeit zu belohnen, nur, weil er sein Handeln öffentlich macht. Am Ergebnis der Tat ändert das nämlich nichts“, erläutert Rechtsanwalt Göpfert.

Mit seinem aktuellen Urteil vom 03.04.2020, 8 U 1956/19, hat sich nun auch der 8. Zivilsenat des OLG Koblenz dieser zutreffenden obergerichtlichen Rechtsprechung  angeschlossen. So vermochte der Senat entgegen einiger anderer Meinungen gerade nicht zu erkennen, dass die Volkswagen AG ihr vorausgegangenes Verhalten nicht (mehr) vertuscht, sondern sich mit der Aufarbeitung der Problematik befasst und die Öffentlichkeit informiert hat.

Das Gegenteil sei vielmehr der Fall. Denn VW habe weder in der Ad-hoc-Mitteilung vom September 2015 noch bei der Erteilung von Informationen, die die von dem Konzern eingerichtete Suchmaske begleiteten, offen gelegt und eingeräumt, dass durch die Verwendung der Abschaltsoftware die Stilllegung des Fahrzeugs drohte. Die Volkswagen AG habe auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung ihren Vortrag auch insoweit klargestellt, zu keinem Zeitpunkt in solcher Weise informiert zu haben und habe betont, dass sie den Bescheid des KBA (Kraftfahrt-Bundesamtes) in der Sache weiterhin für falsch halte und sich dem letztlich aus unternehmenspolitischer Verantwortung gebeugt habe. Die Volkswagen AG bagatellisiere nicht nur bis heute den Schaden für die Umwelt und die hierauf bezogene Individualbetroffenheit, sondern sie trage weiterhin vor und behauptet, dass sie gar keine unerlaubte Abschalteinrichtung eingebaut habe und dass die der Zulassung zugrunde zu legenden Schadstoffwerte richtigerweise unter Laborbedingungen hätten ermittelt werden dürfen.

Diesen gut begründeten Ausführungen ist nach Auffassung der Kanzlei Dr. Hoffmann & Partner Rechtsanwälte wenig hinzuzufügen. Es zeigt sich also, dass Verbraucher ihre Schadensersatzansprüche unbedingt mit einer Einzelklage weiter verfolgen sollten. Dies gilt nicht nur für Geschädigte, die sich der VW-Musterfeststellungsklage angeschlossen haben, sondern auch für all diejenigen, die bisher noch überhaupt keine rechtlichen Schritte unternommen haben. „Denn entgegen der nahezu einhelligen öffentlichen Meinung sind Schadensersatzansprüche auch für Besitzer der Marken VW, Audi, Seat und Skoda mit Dieselmotoren des Typs EA 189 mit Nichten bereits mit Ablauf des 31.12.2019 verjährt. Vielmehr können diese nach unserer klaren Rechtsmeinung auch im Jahr 2020 noch erfolgversprechend durchgesetzt werden“, stellt Rechtsanwalt Dr. Hoffmann heraus.

Gerade wenn Autobesitzer über eine Verkehrsrechtsschutzversicherung verfügen, die bereits vor dem Kauf abgeschlossen worden ist, besteht vielfach ohnehin kein Kostenrisiko, wobei Rechtsschutzversicherer die Rechtsauffassung der Nürnberger Rechtsanwälte zu der Verjährungsfrage schon mehrfach geteilt und entsprechende Deckungszusagen für das gerichtliche Verfahren gewährt haben.

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