Betriebsratsarbeit in Corona-Zeiten
Doch wie soll in Zeiten der Quarantäne und des Home-Office das Betriebsratsgremium schnell zusammenkommen und Beschlüsse fassen, etwa einer Betriebsvereinbarung oder einer Versetzung zustimmen, wenn eine gemeinsame physische Sitzung der Mitglieder nicht möglich (und aus gesundheitlichen Gründen auch nicht empfehlenswert) ist?
Denn eine Beschlussfassung des Betriebsrats ist nach ganz überwiegender Auffassung nur in einer Präsenzsitzung möglich, auch wenn das BetrVG ein ausdrückliches Verbot etwa der Videokonferenz nicht kennt. Fernmündliche Beschlüsse oder eine Beschlussfassung auf elektronischem Wege, etwa per Videokonferenz werden – jedenfalls im Normalfall – für unzulässig gehalten, auch dann, wenn alle Mitglieder mit dieser einverstanden sind. Ob Ausnahmen möglich sind, ist bisher strittig geblieben. Wichtigstes Argument gegen die Zulässigkeit ist die Vorschrift in § 30 BetrVG, dass die Sitzungen nicht öffentlich sind.
Diese geschilderte Rechtsauffassung spiegelt schon lange nicht mehr die Realität in vielen mittelständischen und Großunternehmen wider und erschwert die Mitbestimmung dort, wo viele Betriebsratsmitglieder an weit voneinander entfernten Orten eingesetzt werden. Bislang hatte aber auch das BAG offenbar keine Gelegenheit, durch seine Rechtsprechung korrigierend einzugreifen.
Aus gegebenem Anlass hatte daher der Bundesarbeitsminister im März zunächst eine sogenannte Ministererklärung herausgegeben. Darin erklärt Bundesminister Heil, dass eine Beschlussfassung per Videokonferenz, jedenfalls in diesen Ausnahmezeiten möglich sein soll und die Sitzungsteilnehmer ihre Teilnahme auch in Textform erklären könnten, etwa per Email. Derartig gefasste Beschlüsse seien nach seiner Auffassung wirksam.
Die Ministererklärung als solche ist für die Arbeitsgerichte nicht bindend. Sie stellt mehr einen Appell an die Betriebsparteien dar, pragmatischen (d.h. technischen) Lösungen nachzugehen und die Wirksamkeit von entsprechend gefassten Beschlüssen nicht in Frage zu stellen. Für mehr Rechtssicherheit wäre gesorgt, wenn der Bundesgesetzgeber schleunigst die Regelung aus § 41 a des Europäischen Betriebsrätegesetzes für das BetrVG übernehmen würde. Dort ist für Besatzungsmitglieder von Seeschiffen die Teilnahme an Sitzungen mittels „neuer Informations- und Kommunikationstechnologien“ möglich, wenn dies in der Geschäftsordnung des BR so vorgesehen ist und sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.
Update:
Nach Kritik aus der Fachwelt und der Wirtschaft haben die Koalitionsparteien nun doch Ende April im Bundestag ein Gesetz verabschiedet, dem der Bundesrat am 15. Mai 2020 zugestimmt hat.
Mit Wirkung ab dem 1. März 2020 soll gemäß § 129 BetrVG die Teilnahme und die Beschlussfassung von Betriebsräten mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen können, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung soll unzulässig sein.
Die Anwesenheit kann in Textform bestätigt werden. Entsprechendes gilt für Gesamt- und Konzernbetriebsräte. Gleiches soll auch für die Sitzung und Beschlussfassung in der Einigungsstelle gelten. Damit wären – wenn auch vorübergehend – „virtuelle“ Einigungsstellensitzungen möglich. Entsprechendes soll auch für Sprecherausschüsse und Europäische Betriebsräte gelten.
Ebenfalls sollen Betriebsversammlungen mittels audiovisueller Technik zulässig sein.
Im Sinne der Rechtssicherheit ist dieser Vorschlag gegenüber dem Festhalten an der Ministererklärung im Grundsatz zu begrüßen. Die gesetzlichen Bestimmungen sollen aber bereits zum 31. Dezember 2020 wieder außer Kraft treten. Ob die Rückkehr zu rein „analogen“ Beschlussfassung ab kommenden Januar wirklich zielführend ist, darüber mag man streiten. Vielleicht helfen die bis dahin gesammelten Erfahrungen, um diese bei der Entscheidung über eine Verlängerung des Gesetzes einfließen zu lassen. Über den Fortgang des Gesetzgebungsprojekts halten wir Sie auf dem Laufenden.
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