Corona: Tourismus braucht regional unterschiedliche Öffnungsstrategien
„Das im Mai beginnende Sommerhalbjahr ist entscheidend für das wirtschaftliche Fortbestehen vieler Tourismusbetriebe, die Unternehmen benötigen dringend wieder nennenswerte Umsätze, um die Corona-Krise überleben zu können“, sagt IfW-Ökonom Klaus Schrader. Gemeinsam mit Jürgen Stehn und Claus-Friedrich Laaser plädiert er in einem Kiel Policy Brief dafür, Tourismusbetrieben, die durch die Anpassung betrieblicher Abläufe bestimmte Abstands‐ und Hygieneregeln erfüllen können, jetzt eine Öffnung zu erlauben. Zu große Menschenansammlungen im öffentlichen Raum sollten Kreise und Kommunen durch entsprechende Zugangsbeschränkungen verhindern, etwa zu touristischen Zentren oder durch die Teilsperrung von Parkplätzen.
„Die einzelnen Bundesländer sind wirtschaftlich höchst unterschiedlich von den Schließungen im Tourismus betroffen und weisen stark differierende Infektionszahlen auf, was wiederum höchst unterschiedliche Risiken im Falle einer Öffnung bedeutet. Daher sollte es den einzelnen Bundesländern möglich sein, hinsichtlich Umfang, Ausgestaltung und Geschwindigkeit eigene Öffnungsstrategien für den Tourismus zu entwickeln. Aus ökonomischer Sicht gibt es keine hinreichende Begründung für eine bundeseinheitliche Exit-Strategie, im Gegenteil“, so Schrader.
Tourismus-Hochburgen im Norden für Lockerungen prädestiniert
Bezogen auf die Größe des Bundeslandes ist die Bedeutung des Tourismus für die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein in Deutschland am höchsten. Je 1.000 Einwohner verzeichnete MV im letzten Jahr 21.000 Übernachtungen, SH 12.400. Der bundesweite Durchschnitt lag bei 6.000 Übernachtungen. Gleichzeitig weisen beide Länder nur äußerst geringe Fallzahlen von mit Covid-19-Infizierten auf und liegen hier weit unter dem Bundesdurchschnitt. „Wären die Infektionsraten in den Reisegebieten vergleichsweise hoch, wären Lockerungen illusorisch. So aber spricht hier wenig gegen einen Neustart des Tourismus. Die beiden Länder sind dafür prädestiniert, bei den Lockerungen voranzuschreiten.“
In Schleswig-Holstein etwa sind infolge des „Lockdowns“ während der Osterferien bis zu 8 Prozent der jährlichen Übernachtungen verloren gegangen. Bei einer Fortsetzung dieser Beschränkungen bis zum Ende des Sommerhalbjahrs im Oktober würde sich dieser Verlust auf etwa 80 Prozent erhöhen. Besonders betroffen wären die Reisegebiete Nordsee und Ostsee, deren Saisongeschäft noch größer als im Landesdurchschnitt ist.
Vermeidung einer Post-Corona-Krise
In Schleswig-Holstein fallen zwei Drittel aller Übernachtungen auf den Zeitraum Mai bis Oktober, alleine ein Drittel fällt in die Ferienmonate Juli und August. Nachholeffekte sind daher nicht zu erwarten, so die Autoren, ein Umsatzverlust im Sommerhalbjahr kann nicht in touristischen Randzeiten im Herbst oder Frühling kompensiert werden. Aufgrund des geringen Anteils ausländischer Gäste dürften die geschlossenen Außengrenzen Schleswig-Holstein und die meisten anderen Bundesländer nur wenig treffen. Allerdings würden durch das Fortbleiben ausländischer Gäste vielerorts auch kaum Übernachtungskapazitäten in der Hauptsaison frei, so dass die Länder nicht von einem Nachfrageboom nach Urlaub im eigenen Land profitieren können.
„Eine Rückkehr zur Normalität ist für diesen Sommer auszuschließen, Umsatzeinbußen werden wohl unvermeidlich sein. Zeitnahe Informationen von der Politik über die Urlaubsbedingungen würden den Entscheidungsprozess auch bei den Urlaubern erleichtern und damit auch der Branche mehr Planungssicherheit geben. In dieser Situation müssen alle Beteiligten bei ihren Entscheidungen Restrisiken unterschiedlichster Art akzeptieren. Der Sommer 2020 wird von Ungewissheiten geprägt sein. Es geht jetzt um Schadensbegrenzung und um die Vermeidung einer Post‐Corona‐Krise“, so Schrader.
Zum Kiel Policy Brief „Urlaub in CoronaZeiten: Perspektiven für den Tourismus in Deutschland“
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