Der Mönch und das Gauklermädchen, Katastrophe im Kosmos und die nackte Frau auf der Treppe – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Um eine brisante Brieffälschung, aber auch um eine scheinbar unmögliche Liebe geht es in dem historischen Krimimalroman „Wibald der Mönch“ von Heinz-Jürgen Zierke.
Mit „Von den Männern ausgebeutet und blutige Rache“ legt St. Harman den zweiten Teil seines dreiteiligen Erotikthrillers „Sie liebt ihn zu Tode“ vor.
Ein gewissermaßen historischer Krimi ist „Tatort Studentenheim“ von Rudi Czerwenka, erschien der doch erstmals vor nunmehr schon einem Halbjahrhundert.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Diesmal steht ein historischer Roman im Zentrum des Interesses, ein historischer Politkrimi sogar. Und obwohl die Handlung Ende des 16. Jahrhunderts spielt, lassen sich unschwer Parallelen zu heutigen Intrigenspielen und Machtkämpfen in der Politik erkennen. Um Interessen durchzusetzen, wurde und wird schon immer mit harten Bandagen gekämpft. Fast jedes Mittel scheint recht. Das sollte wissen und bedenken, wer sich in dieses Handlungsfeld begibt, in den „Sog der Macht“ …
Erstmals 2001 veröffentlichte Peter Löw im Lions Verlag Mittweida seinen Historischen Roman „Krell – im Sog der Macht“: Erst zehn Jahre auf der Festung Königstein gefangen, dann auf dem Dresdener Jüdenhof mit dem Schwert vom Leben zum Tode befördert – so grausam endet das Schicksals des Dr. Nikolaus Krell, Reformpolitiker und Kanzler unter Kurfürst Christian I. von Sachsen. Der zwischen Herbst 1586 und Herbst 1591 spielende Roman zeichnet den Weg eines Unmachtgierigen nach, eines ins höchste Staatsamt nur Hineingedrängten, inmitten der gesellschaftlich-geistigen Konflikte jener Zeit. Ein Weg der Erkenntnis dabei: der, wie Macht auch lautere Gesinnung beschädigt, und wie dieses in der Folge Tun und Handeln bestimmt. Ein mitreißendes Geschehen, das in bunter Vielfalt Renaissance ins spannungsträchtige Bild bringt: Politintrigen und Kriminalprozesse, Geheimbundwesen und in Allianz mit Kurpfalz, europaweite Bündnisprojekte – auch militärisch – in Abwehr der Gegenreformation im damaligen Sachsen. Charakterlich und in ihrem politischen Wollen hervorgehoben sind Christian I. und sein mit ihm eng koalierender Schwager Johann Casimir von der Pfalz. Elemente des Politkrimis verleihen dem Ganzen politisch-konfessionell motivierte Mordanschläge – deren einem – Krells Sturz einleitend – Christian I. zum Opfer fällt. Ins Spiel gebrachte Kunstwerke und Bauprojekte, Religionsstreitigkeiten und ökonomische Tatbestände des Damals vermitteln zusätzliches Zeitkolorit. Wie verwoben ist alles mit stimmungsvoll-dramatischer, wenngleich sich für Krell durch die Zeitumstände nicht erfüllender Liebesgeschichte. Zu Beginn des 2. Kapitels erleben wir „Ratsmitglied Krell“ während einer schwierigen, weil von sehr unterschiedlichen Interessen bestimmten Beratung. Schließlich geht es vor allem um eines – um Geld:
„Zäh zog die Sitzung sich hin. Es ging auf Mittag; unruhig rutschte Krell auf dem Stuhl. Sein Kopf war wie werggefüllt, auf den Schläfen saß eine Zwinge. Endlos das Wortgezänk. Das Für und Wider den Tranksteuerzusatz. Das Mehr, das auch die Großen des Landes auf Wein, Met und Bier entrichten sollten, damit es Christian für die Rüstungen zufloss – wie von jedermann, so von ihnen. – Im Jahr 65 hatten sie, die Prälaten, Grafen und Herren, sich zur Ersten Kurie vereint, hatten in vereinter Finanzkraft nachher die Schulden des Fürsten, seiner Kammerverwaltung auf sich genommen. Das Manko tilgen wollten sie mit den von ihnen bewilligten Landsteuern. Sie zu verwalten, schufen sie sich ihr Obersteuerkollegium, hatten sich so in ihren Steuergeschäften vom Fürsten unabhängig gemacht. August wie bislang auch Christian, sie hatten sich seitdem mit dem Geldfluss aus Domänegütern und Bergbau beschieden. Des Landes Rüstungskosten, die jetzt erhöhten, zu decken, bedurfte es anderer Quelle. – Dagegen waren nicht die nur vom Steuerkollegium, die in ihm die Stände vertraten. Auch Pomßen und Ponikau waren es, die Geheimen Räte des Fürsten im Gremium. Nicht weniger sperrten sich Pfeiffer, der Kanzler, und Wolf von Schönberg, der Marschall – Anwälte samt und sonders des eigenen Standes, der Junker, wie stets und gewohnt. Sie wussten, sie würden den Erlass nicht verhindern. Nicht sie noch die Landstände in ihrer Gesamtheit: nicht bei Christian. Gleichwohl insistierten sie weiter. Wenigstens galt es ihn, den Selbstherrlichen, ins Unrecht zu setzen. Ihn wie die Räte, die mit ihm stimmten. Galt es sie der Ungerechtigkeit zu zeihen gegen diejenigen, die zahlen sollten. „Schon jetzt reicht’s dem Burgsass nicht hinten noch vorn“, behauptete Pfeiffer; sein Spitzbart zuckte. „Unterbleibt daher allerorten die Unterhaltung der Straßen. Die Sicherheit d’rauf, wie sie Seine Gnaden selig, Fürst Augustus, durchsetzte, lässt wieder nach. Außerstande der Grundbesitz, ausreichend Streifmannschaft zu besolden. Nicht noch mehr darf man ihn schröpfen!“
Du Wahrheitsverdreher, dachte Krell. Missstand herrschte, weil sie, die Herren, nurmehr in Eigennutz machten. Zeit war, dem abzuhelfen. Sie wieder in Pflicht zu nehmen, wie mit Christian nicht er nur wollte. Für den Erlass auch andere Räte: Dr. Eberhard Weihe und Heinrich von Bünau, Hans Rauthbar, Hans von Schönberg und Dr. Paul.
Paul nahm jetzt das Wort. „Der Kurfürst seinerseits verfügt nicht über die Mittel, die strategisch wichtigen Straßen und Brücken zu bauen!“, hielt er Pfeiffer entgegen. „Ja, er weiß noch nicht, wovon die Festungen ausrüsten, die jetzt im Bau sind. Alle müssen opfern!“
Der Streit, er war Krell zuwider. Jeder, der sprach, ein Rechthaber. Ein Ausbund an Klugheit. Hör‘ uns, Kurfürst Christian! Du, Krell, hier fehl am Platze. Der Aufrichtige, so der Philosoph, er verharrt im Schweigen der Scham. Sich präsentieren mussten sie, seine Herren Miträte, und profilieren. Im Kreis argumentierten sie und ritten Bekanntes zu Tode. Er stöhnte. Blauer Himmel stand vor den Fenstern. Seine Gedanken schweiften hinaus in die Wälder um Bühlau. Wind rauschte in Eichen und Buchen, Sonnenflecken spielten über dem violetten Teppich des Heidekrautes. Warm lag Uta an seiner Haut. So wie jetzt, raunte er ihr ins schwarze Haar, wünsche ich mir die Ewigkeit. Ihre Hand hatte ihn im Nacken liebkost.
„Einer Ritterschaft, der das Geld fehlt“, hörte er Ponikau, „zerfallen die Burgen.“
„Wie die Fundamente der Herrschaft, des Landes dem Fürsten“, setzte Bünau dagegen, „wo ihm die Schatulle versiegt.“
Argumente vom offenen Markt, dachte Krell. Variiert und wiedergekäut.
„Der Junker hat jetzt in der Stadt, bei Handwerker und Kaufmann, mehr denn je zu berappen“, machte Wolf von Schönberg geltend. „Für Gewänder und Zaumzeug, für Geschirr, Holzwerk und Waffen – er blutet aus, geht es so fort.“
Gewäsch, dachte Krell. Geschwätz, hinter dem anderes steckt. Die Wahrheit hieß: Kontra dem Fürsten, Kontra dem Staat. Christian, sah er, blickte finster – warum brach er die Debatte nicht ab?
Krell straffte sich auf dem Platz. „Ich glaub, es geht hier um mehr als Holzwerk und Zaumzeug!“ Scharf richtete er es an Ponikau. „Nämlich um Fortbestand des Kurfürstentums! Des Landes Sachsen in protestantischer Freiheit! Weshalb zuerst und vor allem, denk ich, der Fürst gestärkt werden muss! Weil auch die Front der Papisten sich wappnet! Minucci, der Nuntius der Kurie, strebt bekanntlich einiges an! Will Erneuerung des Bündnisses der papistischen Fürsten vom Jahr 56! Des Landsberger, das bekanntlich keineswegs defensiv ist – weit geht solches über den Zustand der einzelnen Burg hier im Land! Dazu von Ihnen, Herr Ponikau, bisher kein Wort – ich frag mich, wieso!“
„Richtig!“, pflichtete Rauthbar bei, der Sicherheits- und Wehrbeauftragte, der neben ihm saß. „Sehr sogar! Dazu greif‘ ich den an den Fürsten gerichteten Vorwurf auf! Den, er baue zuviel und dürfe die Last draus nicht den Ständen aufzwingen. Aber dienen denn die Festungsbauten, frag ich, nicht unser aller Verteidigung?! Des Landes, also auch seiner Stände?!“
„Genau!“ Paul rief es. „Und berechtigt fragt Krell: Wieso bleibt solches, die Landeswehr, außer Betrachtung!“ Paul sprach, als klagte er an. „Die Zeiten, da Wappen, auf eigenem Fels angegriffen, allein, sich zu wehren vermocht, sie sind, seit wir’s Pulver haben, vorbei. Die Wacht liegt allein noch beim Fürsten. Für alle! Und alle Macht liegt bei ihm! Alle Macht, wie sie ihm gottgegeben!“
Von Bünau und Rauthbar, Weihe und Hans von Schönberg stimmten zu. Verbissen schwiegen Pfeiffer und Pomßen, Wolf von Schönberg und Ponikau. Brav, Paul, dachte Krell. Wenigstens du zeigst Flagge. Gut die Warnung. Der Hinweis auf die gottgegebene Macht. Er schlägt euch, Lutheraner, mit Dr. Martinus. Bist ein Fuchs, Paul. Ein Politiker. Auch darum, dachte er, im Regieren manches anders geworden. Ein manches, seit du und Rauthbar, Weihe, Bünau und Krell in der Ratsmannschaft sind. Seither mehr als eine Entscheidung gefallen, die nicht nur den Herren nützt. Erhöht die Landessteuer – schon wurde von ihnen das Mehr abgeführt, wenngleich zähneknirschend. Mit besserer Befugnis, des Fürsten Willen durchzusetzen, waren seine Ämter versehen. Wohin ein Teil der Mehrsteuer zurückfloss: über sie hinein in Neubauten von Schulen. Die Junker pressten aus den Untertanen heraus; nur billig, zwang der Fürst einen Teil wieder ab zum Wohl der Geschröpften. Nicht mit einem Volk der tumben Schädel gedieh und erstarkte der Staat. Viele sollten lesen und schreiben lernen. Und noch mehr sollten die Großen berappen. Das Bauen eine Leidenschaft Christians. Viel Geld verschlangen das Errichten, das Verstärken von Landesfestungen, fraßen Bastionen und Wälle der Residenz, die höher aufzuführen sich tausende Hände regten – kaum weniger floss in Schlossbauten, in den Stallhof am Neumarkt hinein, den Buchner für Christian schuf. – Auf ihn, die Turnierstätte, anzuspielen, jenes Fass ohne Boden, hatten Pomßen und Ponikau nicht gewagt. Zu Recht: genug Verschwendungssucht herrschte auf den Adelssitzen. Recht des Fürsten war, die Residenz zu verschönen, ihr Glanz zu verleihen. Es durchzusetzen würde besser gelingen mit dem Kollegium jetzigen Rates.“ Und damit zur ausführlicheren Vorstellung der anderen Angebote dieses Newsletters:
Erstmals 1987 erschien im damaligen VEB Hinstorff Verlag Rostock der Historische Roman „Wibald der Mönch“ von Heinz-Jürgen Zierke: „Es war einmal“, so berichtet der Erzähler, und man spürt es förmlich, wie es ihn reizt, mit Geschichten zu fabulieren, „es war einmal vor langen, langen Zeiten, als Kaiser Rotbart Lobesam noch nicht ins Heilige Land gezogen kam, da lebte in dem stillen Kloster St. Valentin im Moor ein junger Mönch bescheiden für sich, ganz dem Studium und der Vervielfältigung alter Schriften hingegeben …“ Sein Name war Wibald, und er hätte so noch viele Jahre leben können, ohne Aufregung, ohne Ärger und allerdings wohl auch ohne die Liebe, der er bald begegnen sollte, wenn ihn nicht eines Tages das Gewissen geplagt hätte. Nicht etwa wegen seines ansonsten ja so frommen Lebens, da war alles ohne Fehl und Tadel, nein, er hatte sich mit Vater Conrad, dem Prior des Klosters, leider auf einen Handel eingelassen, und der schloss die Fälschung eines Briefes ein. Und Wibald schrieb, und während er schrieb, kamen immer mehr die Zweifel. War es richtig, solch ein Schreiben anzufertigen, das im Grunde Barbarossa diffamieren musste? Da flieht Wibald, der Mönch, um den Kaiser zu warnen, und auf vielen Irrwegen und verschlungenen Pfaden muss er wandeln, ehe er den Kaiser erreicht. Und unversehens sieht er sich in ein Intrigenspiel versetzt. Wird ihm Friedrich Barbarossa schließlich doch noch Glauben schenken? Es wird sich zeigen … Es wird sich auch zeigen, wie es um Wibalds Liebe zu der schönen und faszinierenden Alda bestellt ist. Werden der entlaufene Mönch und das weithin bekannte Gauklermädchen vielleicht gar für immer zueinander finden? Wie auch immer, ein spannender Roman mit einem historischen Hintergrund – wobei mit der Historie durchaus gespielt wird. Und so beginnt er, dieser spannende, farbig geschriebene Roman, an dessen Anfang wir ein wenig über Wibalds Herkunft erfahren, wenn auch nicht viel:
„Es war einmal vor langen, langen Zeiten, als Kaiser Rotbart lobesam noch nicht ins Heilige Land gezogen kam, sondern seines Schwertes Schneide an lombardischen Stadtmauern stumpfte, da lebte in dem stillen Kloster St. Valentin im Moor ein junger Mönch still für sich, ganz dem Studium und der Vervielfertigung alter Schriften hingegeben.
Wibald, auf diesen heidnischen Namen war der Gottesmann, dem man erst ein halbes Jahr zuvor die Tonsura Petri geschoren hatte, getauft, und so nannten ihn auch seine Klosterbrüder. Wibald saß auf seinem Schemelchen im Kreuzgang und malte sorgsam und mit Bedacht Strich für Strich, Buchstaben für Buchstaben, Wort für Wort auf das weiße Blatt: Mediae noctis tempore prophetica vox admonet …
Von Zeit zu Zeit legte er die Feder ab, vorsichtig, sodass die Spitze über den Rand des Tisches hinausragte und die Tinte das Holz nicht beschmutzte. Dann lehnte er sich zurück, schloss die Augen, öffnete sie wieder, beugte sich vor, begutachtete das Geschriebene, beschaute es von rechts, von links, hielt es gegen das Licht, nickte zufrieden, und wäre es nicht Gotteslästerung gewesen, er hätte wohl ausgerufen: Und Gott sah, dass es gut war!
Bruder Wibald liebte die Schriften und die Texte, die Rollen und die Bücher, und die alten mehr als die neuen. Er fühlte sich inmitten der staubigen, vergilbten Blätter so wohl, dass es ihn von Tag zu Tag mehr Überwindung kostete, sie aus der Hand zu legen und die vorgeschriebenen geistlichen Übungen zu absolvieren. Am liebsten hätte er die Pergamente abends mit auf sein Strohlager genommen und sie die ganze Nacht gestreichelt.
Außer seinen Mitbrüdern hatte er keinen Menschen auf der Welt, nicht einmal Eltern. Ein allzu eiliges Schwesterchen hatte, bevor es auch nur einen einzigen Blick auf Gottes schöne Erde getan, die Mutter mit sich genommen. Der Vater hatte den Knaben der Amme übergeben, einer strammen Magd, die der Dienstmann und Ritter ohne Land, dessen Adel allein von des Kaisers Huld und Gnade abhing, bei der grausamen Zerstörung der Stadt Tortosa aus den brennenden Trümmern einer zusammenstürzenden Hütte geborgen und mit in seine nördliche Heimat genommen hatte.
Die Magd legte den blässlich-blonden Knaben lächelnd neben ihre schwarzlockige Tochter. Herr Wilgerd sattelte sein Ross und zog wieder mit seinem Herrn und König nach Süden.
Wochenlang berannten des Kaisers eiserne Scharen Mailands feste Mauern und Wälle; mancher brave Streiter blieb für immer davor liegen. Den Kaiser, der so gerne lächelte, übermannten Zorn und Schmerz. Er schwang sich auf sein Ross und ritt mit wenigen Getreuen in das nahe Bergland hinaus. Ein Flüsschen, das mit mäßigem Gefälle der nahen Ebene zustrebte, lockte die erhitzten Männer zum erfrischenden Bade. Wilgerd stieg als erster den Hang hinab. Das Wasser reichte ihm nur zwei Handbreit über die Knie, aber beim vierten oder fünften Schritt glitt er auf den von der Strömung geschliffenen Kieseln aus, schlug langhin, und die wirbelnden Fluten schleiften ihn mit.
Der König, der schon das Kettenhemd abgestreift hatte und sich eben die Stiefel von den Füßen ziehen ließ, erbleichte und stieß den Knecht fort. Vielleicht beschlichen ihn düstere Ahnungen.
Abends, im Feldlager, befahl er: Herr Reinald, des Reiches Kanzler, möge den Sohn des treuen Dienstmannes den Milden Schwestern von Mariakron anvertrauen und ihn, sobald er in sein sechstes Jahr trete, in einer Klosterschule zu einem tüchtigen Amtmann oder Vogt heranbilden lassen, wie ihn König und Reich dringend brauchten.
Das bescheidene Gütchen, das der König dem Vater verliehen hatte, zog der Bischof ein. Er besetzte den Hof mit einem aus dem Sachsenland zugewanderten Bauern, der eine vielköpfige Familie mitbrachte und weder Knecht noch Magd benötigte. Wohin die südländische Amme mit ihrem schwarzlockigen Töchterchen geraten war, wusste auch Bruder Balthasar nicht, der an einem schummrigen Herbstabend seinem Schüler vom Tode des Vaters erzählt hatte. Verdorben, gestorben, vermutete er, es ist fünfzehn Jahre her. Gott sei ihrer Seele gnädig!
Wibald konnte sich nicht an sie erinnern. Auch aus Mariakron war nur wenig in seinem Gedächtnis geblieben: die kalten grauen Augen der Priorin, Rutenschläge auf die Hand und auf das nackte Gesäß, die Quälereien der Kameraden, Maikäfer im Bett und Kletten im Kragen, die kargen Mahlzeiten, lateinische Gebete, die er zur Strafe für die geringste Ungeschicklichkeit herleiern musste, im bloßen Hemd vor dem Steinkreuz an der Südseite der Klostermauer kniend, lauter ungute Erinnerungen also. Bis auf eine. Die aber war ein ungewisser Schatten; wenn er versuchte, ein wenig Klarheit darein zu bringen, verblasste sie: Er fühlte das sanfte Streicheln einer weichen Hand auf seinem kahl geschorenen Kopf; schwarzbraune Haarsträhnen kitzelten seine Stirn. Aber – die Schwestern trugen das Haar unter der strengen Haube, wenn sie es nicht gar abgeschnitten hatten. War die Berührung nur geträumt?
Als Balthasar den Knaben geholt hatte, war die gestrenge Mutter Priorin gewiss heilfroh gewesen, eines Zöglings ledig zu sein, dessen ganzes Erbe in dem flüchtigen Wohlwollen des kaiserlichen Herrn bestand, zumal, wie man weiß, dieser Kaiser einige Vorbehalte gegen die römische Kirche hatte.“
Erstmals 1977 erschien im Verlag Neues Leben Berlin als Band 137 in dessen Reihe „Spannend erzählt“ der Wissenschaftlich-phantastische Roman „Die Kristallwelt der Robina Crux“ von Alexander Kröger. Dem E-Book liegt die Originalausgabe von 1977 zugrunde. Der Text wurde lediglich auf neue Rechtschreibung umgestellt: Wie ein gewaltiger Spiegel ragt plötzlich die Fläche eines Riesenkristalls vor Robina auf. Und obwohl die junge Kosmonautin das Höhenruder zurückreißt, folgt nur Sekundenbruchteile später ein schmetternder Aufprall. Das Beiboot ist auf jenem geheimnisvollen Kristallboliden havariert, den die Besatzung der REAKTOM auf der Heimreise zur Erde entdeckt hat. Bestürzt sucht Robina Kontakt zum Raumschiff, um die Bergung zu veranlassen, doch die Funksignale bleiben ohne Antwort. Etwas Unfassbares ist geschehen. Die REAKTOM ist verschwunden, und Kernstrahlung deutet auf eine Katastrophe. Niemand wird Robina retten können; sie ist allein in dieser unwirtlichen Kristallwelt, viele Lichtjahre von der Erde entfernt. Tiefe Verzweiflung ergreift die junge Kosmonautin, der nur ein Hoffnungsschimmer bleibt: Da ist jenes fremde Funkfeuer, dessen kalte Lumineszenz den Boliden in rhythmischem Abstand aus der Schwärze des Alls reißt. Und so geschah es:
„In dem Augenblick, als der Pilot offenbar die Gefahr erkannt hatte und das Beiboot zu einem riskanten Durchstart vor der spiegelnden, schrägen Wand zwang, durchbrach ein greller Blitz das Iumineszierende Dämmerlicht. Plötzlich verringerte eine horizontale Schubkraft die Wirkung der Steuertriebwerke so beträchtlich, dass das Heck des Bootes auf die glatte Fläche prallte, das Fahrzeug nach oben glitt, der Rumpf sich gegen den Spiegel drückte und die Stabilisierungsflächen abbrachen. Die Trümmer rutschten erst noch ein Stück nach oben, dann, nach Erreichen des toten Punktes, die Schräge immer schneller nach unten, wobei sich der verbeulte Rumpf so drehte, dass er längs der Kante zu liegen kam, dort, wo der Kristall aus der Ebene wuchs. Eine der Stabilisierungsflächen schob sich über das Boot, die zweite prallte vor dem Rumpf auf, überschlug sich und schlitterte einige Meter in die Ebene hinein.
Dann herrschte Ruhe.
Rhythmisch pulsierte die kalte Lumineszenz aus unbestimmbarer Quelle, überzog diese bizarre Welt aus reflektierenden Flächen von Kuben und Oktaedern, Quadern und Rhomboedern mit einem Farbspiel.
Scheinbar rasch zogen in tiefster Allschwärze funkelnde Sonnen. Fern sprangen leuchtend Kristallsplitter, durch Meteoritenaufschlag herausgebrochen aus dem spröden Material.
Das im Lumineszieren matt schimmernde Wrack des Beibootes lag still, würde Teil werden der toten Materie ringsum, eingerieselt von splittrigem Geröll der Kristalle — nach Jahrhunderten.
Zuerst fühlte Robina das Pochen in den Schläfen, danach den Drang des Blutes zum Kopf. Den übrigen Körper spürte sie nicht, es war, als schwebe er.
Dann gelangten Bilder in ihr Bewusstsein, wirr und ungeordnet: Boris winkt — die Mundwinkel leicht nach unten gezogen, dass es wie Geringschätzung wirkt, die Augen, als sähen sie längst etwas anderes. So wie in jenen Tagen, als ihn ihr Zusammensein ungeduldig werden ließ …
Da steht Ed, gebeugt, lächelnd unter dem Schmerz des kranken Wirbels. Er streicht über Robinas Arm beim Abschied, Ed, den sie lange nicht sehen und nur durch hundert Ohren wird sprechen können …
Und da beugt sich Frank zu ihr, klopft vor dem Ausschleusen auf den Schutzanzug: „Mach’s gut, Robi!“ Die Trennung wird nur kurz sein.
Mein Kopf liegt zu tief — der Druck … Was ist …?
Robina durchfuhr es mit einem Mal siedendheiß: Frank!
Und dann war da wieder etwas anderes: Der Bolzplatz. Ganz knapp vor dem Gesicht wischt der Boden aus gewaschenem Sand und glasklaren Plast-Oolithen vorbei. Die langen blonden Haare ziehen eine feine Spur.
Die empörten Passanten lösen den Knoten des Strickes, der die Füße des baumelnden Mädchens verbindet und der dazu gedient hat, hängend über das Seil zu hoppeln. Und sie bedauern das ach so zarte, hübsche und jetzt wütend weinende Mädchen, dem das Blut zu Kopfe gestiegen ist, und sie schimpfen auf die rüden Bengel, die aus sicherer Entfernung grinsend die Szene beobachten.
Dabei hatte Robina gar nicht geweint, weil sie mit dem Kopf nach unten hing, wie die Leute annahmen; sie wäre allemal in der Lage gewesen, bis zur Seilstütze zu hoppeln und sich dort hochzuhangeln. Nein, Ed, der liebe Bruder, hatte, ihre Lage schamlos ausnutzend, ihrer Sportpuppe den Akkumulator entnommen und ihn seinem Maulwurf einverleibt, der beim Wettgraben der langsamste gewesen war.
Natürlich gab es beim Hoppeln einen Blutandrang zum Kopfe hin — wie im Augenblick …
Langsam, ganz langsam formte sich in Robinas Bewusstsein die Frage: Wo bin ich? Was, was ist geschehen?
Sie öffnete die Augen; sie spürte Schmerzen im Nacken, das Pochen lief durch Hals und Kopf.
Was sie sah, war wenig. Sie benötigte Sekunden, um sich zu orientieren. Dann begriff sie: Sie lag vor dem Steuersitz des Beibootes, der beängstigend schräg über ihr hing. Ihr linkes Bein klemmte verdreht zwischen Steuerung und dem Schalenrand des Sessels, der Helm stieß gegen die Pedale. Robina übersah ein Stück der Kabinendecke, des Sessels und die Armaturenverkleidung von unten. Platzangst überfiel sie.
Aufsehen! befahl sie sich, sehen! Aber auch als sie sich mühevoll aufgerichtet hatte, erblickte sie wenig mehr.
Sie brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass die grau glänzende Wand vor der Bugscheibe ein Teil des Bootes selbst, eine der Stabilisierungsflächen war. Rhythmisch zuckten darüber Streulichter der geheimnisvollen Lumineszenz des Boliden.
Robina durchlief abermals ein Angstschauer. Mechanisch wandte sie sich zum Mikrofon, sie musste dazu den Hals in eine unbequeme Lage drehen, und sagte betont forsch: „Hallo, Frank?“ Sie konnte nicht verhindern, dass die Stimme zitterte, dass der Ruf belegt klang.
Und noch etwas war da: Sie hörte ihre eigene Stimme nicht über das Außenmikrofon des Anzugs. Wieder ergriff sie eine Angstwelle, als ihr bewusst wurde, dass die Hermetik der Kabine gestört sein musste.
Die Gefährten holen mich hier weg!
Sie lauschte auf das beruhigende Summen der elektronischen Wechselsprechanlage des Anzugs. Hier schien alles in Ordnung zu sein.
„Hallo, Frank!“
Stille. Außer diesem feinen Summen Stille …“
Ein Eigengewächs der EDITION digital ist der Erotikthriller „Von den Männern ausgebeutet und blutige Rache“ von St. Harman – der 2. Teil seiner Trilogie „Sie liebt ihn zu Tode“, der erstmals 2014 veröffentlicht wurde. Martina freut sich auf Venedig und den Segeltörn mit den drei jungen Deutschen. Mit Venedig verbindet sie Freiheit, Glück und die ganz große Liebe. Doch die Männer nutzen ihre Schönheit und die Tatsache, dass sie von der Polizei gesucht wird, schamlos aus. Im geeigneten Moment zögert sie dann jedoch keine Sekunde und beseitigt gnadenlos die Männer. Nun aber wird sie nicht nur von der italienischen Polizei gesucht, sondern auch von der Mafia, die sich für die skrupellose und hemmungslos mordende Frau interessiert. Hier ein Auszug aus dem Erotikthriller, der sicher nichts für prüde Naturen ist:
„Die Nachtschicht ist zu Ende
Nur in Strümpfen, sonst splitternackt, steht sie frierend mit einem dicken Bündel Euronoten auf der Treppe. Ihr Kleid konnte Martina nicht finden. So muss sie sich eben nackt mit der Gondel zur Jacht fahren lassen.
Die Morgendämmerung lässt die Häuser und den Kanal in einem zauberhaften Licht erscheinen. Doch sie kann sich daran nicht erfreuen.
Eine Gondel mit zwei Männern fährt an diesem sehr frühen Morgen an ihr vorbei. Ihnen muss die nackte Frau wie ein Trugbild erscheinen.
Die beiden Männer nimmt Martina kaum wahr. Für sie ist nach dieser Nacht alles anders geworden. Sollte sie noch ein Quäntchen Schamgefühl besessen haben, so wurde es heute Nacht in Venedigs Kanälen ertränkt. Dass sie mit anderen nackten Mädchen rund hundert betrunkene Männer bedienen musste, daran hat sie sich schnell gewöhnt. Dass es ihr erspart blieb, nicht wie andere vor allen Männern gefickt zu werden, ist nur ein schwacher Trost. Der eigentliche Schock war, dass sie mit allen Männern ungeschützten Verkehr hatte. Niemand ließ ein Kondom zu. Sie selbst hatte mit dreißig Männern zwischen achtzehn und achtzig Jahren Sex in allen Variationen. Sie weiß, dass sie immer noch überall voller Sperma ist. Mit den Papierhandtüchern konnte sie sich nur notdürftig und grob säubern.
Leise kommt eine Gondel auf sie zu.
„Tatsächlich, es ist wahr! Man hatte mir gesagt, dass eine nackte deutsche Frau auf mich warten würde!“, ruft der Mann in der Gondel erstaunt aus.
Martina fragt: „Bringen Sie mich zur Princess Arosa?“
„Mach ich! Wenn du dich noch einmal in deiner ganzen Schönheit vor mir drehst, bekommst du in der Gondel sogar einen Bademantel!“, erklärt der junge Mann lächelnd.
„Ist es recht so!“, fragt Martina, dreht sich gleich dreimal vor ihm und steigt dann in die Gondel. Dort erhält sie tatsächlich den versprochenen Bademantel.
Der junge Mann klagt hörbar: „Schade, wirklich schade. Ich hätte dich gerne weiter nackt betrachtet!“
Martina sagt erleichtert: „Mir war es aber schon zu kalt!“
„Um diese Zeit muss ich oft Huren abholen. Nackt wie du war bisher noch keine. Du bist wirklich eine schöne Frau. Bist du dir nicht zu schade für dieses gottlose Gewerbe?“, fragt der junge Mann.
Nach dieser Nacht gefällt ihr die Frage überhaupt nicht. Sie denkt kurz über seine Worte nach und antwortet vielleicht ehrlich: „Bis gestern habe ich mich als Prostituierte sogar wohl gefühlt. Man hat für die schönste Sache der Welt zusätzlich Geld bekommen. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher und ich frage mich, ob ich nicht doch den falschen Weg eingeschlagen habe. Doch jetzt ist es zu spät!“
„Du kannst doch jede Zeit aussteigen!“, erklärt er.
Martina lacht sarkastisch auf: „Ihr würdet kaum eine Frau heiraten wollen, die von so vielen Männern gevögelt wurde, dass man damit eine Armee aufstellen könnte!“
Der Mann meint staunend: „Du bist doch noch so jung? Hast du wirklich schon mit so vielen Männern Sex gehabt?“
„Habe ich und es waren heute Nacht alleine dreißig!“, versichert sie ihm ganz offen.
Der junge Mann sagt traurig: „Schade um dich. Doch es ist wahr, so eine Frau würde ich nicht heiraten. Die Vorstellung, dass meine Frau so viele Männer hatte, könnte ich nicht ertragen. Dabei siehst du mit deinem hübschen Gesicht so unschuldig aus!“
Martina will das Thema wechseln und fragt: „Woher könnt ihr so gut deutsch?“
„Ich bin erst ein Jahr aus Deutschland zurück. Papa will, dass ich die italienische Lebensart kennenlernen soll. Was willst du hier? Die deutschen Freier zahlen doch gut! Oder ist es die Art der deutschen Huren, in Italien Urlaub zu machen?“, fragt der junge Mann und hat jetzt die offene Lagune erreicht.
„Es ist meine Art, das Land kennen zu lernen!“, antwortet Martina und ist in Wirklichkeit das erste Mal wirklich darüber unglücklich, eine Prostituierte zu sein. Vielleicht hat sie alles falsch gemacht?
Als sie auf eine Vierzigmeter-Jacht zusteuern, fragt sie: „Ist das die Princess Arosa?“
„Ja das ist sie. Ich dachte, Sie sind hier zu Hause?“, fragt der junge Mann.
„Es soll in Zukunft mein Zuhause sein!“, behauptet Martina und erkennt schon an Deck die drei Männer, die ab jetzt ihre Zuhälter sind. Sie ist ihr Eigentum. Die Zeit, wo sie nach Lust und Laune anschaffen konnte, ist nun für immer vorbei.
Die Plattform zum Aufsteigen ist so hoch wie die Gondel. So ist sie mit einem Sprung auf dem Schiff.
Der junge Mann hält sie aber am Bademantel fest und sagt fordernd: „Das ist aber meiner, ausziehen!“
Martina zieht sich aus und steigt nackt die Treppe zu den Männern hoch.
Torsten Stammer nimmt ihr sofort das Geld ab.
Paul Dunker fragt: „Wie war dein erster Arbeitstag?“
Wütend erwidert Martina: „Dass ihr mich bedenkenlos an Männer verkauft, habe ich gewusst und sogar irgendwie für gut befunden. Urlaub machen und nebenbei Geld verdienen ist nicht schlecht. Doch Verkehr ohne Gummi kommt in Zukunft nicht mehr in Frage. Habt ihr mich verstanden?“
„Was du machst, entscheiden wir. Verstanden?“, droht Paul Dunker aufgebracht. Dabei steckt er einen Finger in ihre Vagina. Er betrachtet die spermafeuchten Finger anschließend im Licht einer Lampe, zeigt sie auch den anderen Männern und sagt: „Sie spricht die Wahrheit. Scheiße, das war so nicht abgemacht. Wenn sie sich Aids eingefangen hat, wird aus unserem Geschäft nichts. Dann können wir ihr nur noch die Kugel geben!“
„Mal den Teufel nicht an die Wand. Aber in Zukunft müssen wir auf Kondome bestehen. In Rimini machen wir bei ihr einen Aidstest. Vorher können wir sie nicht vermarkten. Sie muss danach eben doppelt so viele Männer abschleppen!“, meint Jürgen Burzew, hat auch einen Finger in ihre Scheide gesteckt und betrachtet verärgert seinen klebrigen Finger.
Torsten Stammer ist mit dem Zählen fertig und sagt: „Sie hat gut abgeräumt. Die Männer waren großzügig. Viertausendfünfhundertzwanzig Euro hat sie mitgebracht!“
„Das ist jetzt trotzdem ein Verlust!“, klagt Paul Dunker. Er steht am Outdoor-Tresen, reicht Martina einen Drink und sagt: „Trotzdem Willkommen. Trink aus und dann zeigen wir dir deine Suite. Du hast ein Doppelbett für dich ganz alleine!“
Erst jetzt merkt sie, wie müde sie ist und sagt: „Ja, ich trinke aus und lege mich schlafen. Ich bin wirklich todmüde!“
Mit einem Zug leert sie ihr Glas.“
Erstmals 1970 veröffentlichte Rudi Czerwenka als Heft 165 der Erzählerreihe des Deutschen Militärverlages seinen inzwischen zu Unrecht inzwischen leider schon fast vergessenen Krimi „Tatort Studentenheim“: Die Studentin Karin hat einen begehrten Ferienplatz in dem Studentenheim an einer Ostseeinsel erhalten und kann ihren Jürgen, der seinen Wehrdienst bei der Volksmarine ableistet, täglich sehen. Es könnte so schön sein, wenn Karin nicht so eifersüchtig wäre. Sie will Jürgen verheimlichen, dass sie mehrmals am Strand einen Mann getroffen hat. Doch da gibt es im Marinestützpunkt Alarm und alle sollen eine verschwundene Studentin suchen. Zu Beginn des 2. Kapitels allerdings ist Karin noch da und – unterwegs zu Jürgen, der davon allerdings nichts ahnt:
„Karin war unterwegs zu Jürgen. Er hatte Wachdienst im Objekt, würde also voraussichtlich am Tor stehen. Sie hatte ihm nicht gesagt, dass sie vorbeikommen würde. Es sollte eine Überraschung sein. Sie hatten sich erst zum Abend verabredet. Im Erholungsheim fand eine Tanzveranstaltung statt. Daran wollten sie beide teilnehmen. Warum aber sollte sie Jürgen nicht schon vorher sehen?
Karin schlenderte den schmalen Sandweg entlang, der sich durch Sanddorngebüsch und Heidekraut schlängelte. Manchmal verhielt sie den Schritt, blickte von einem Hügel über das Meer, beobachtete das emsige Gewimmel auf einem Ameisenhaufen und ließ Sand aus ihren Sandalen rinnen.
Das Buschwerk blieb zurück. Hinter einer welligen Ödfläche lag das Dorf.
Auf der Steilküste thronte, unter einer Plane versteckt, ein riesiger Scheinwerfer. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich das Objekt der NVA, ein massives Gebäude, auf der einen Seite flankiert von den niedrigeren Bauten der Unterkunftsräume. Ein Wachhäuschen versperrte die Sicht auf das Tor. Karin ging hinüber auf die andere Straßenseite und spazierte dort im Schatten dickstämmiger Linden weiter.
Ein unbekannter Matrose stand am Tor.
Karin lehnte sich gegen einen Baum und betrachtete die Unterkunftsgebäude. Hinter einem dieser Fenster lebte Jürgen. Hinter einem dieser Fenster stand sein Bett. Wo mochte er ihr Bild haben? War es über dem Bett oder an der Innenseite der Spindtür angepinnt? Oder gab es das nur in Romanen? Zu gern hätte sie einen Blick dort hineingeworfen. Aber das sei Fremden nicht gestattet, hatte Jürgen gesagt. Um so erstaunter war Karin, als sie plötzlich Jürgen mit einem auffallend gekleideten Mädchen über den Hof kommen sah. Beide unterhielten sich angeregt, lachten. Schnell trat Karin hinter den Baumstamm und lugte hervor.
Die beiden blieben am Tor stehen. Das Mädchen beugte sich weit durch das Fenster des Wachhäuschens und pendelte ungeniert mit den Beinen.
Das war allerhand. Karin gegenüber tat Jürgen so, als gäbe es während des Dienstes nichts Privates. Nicht einmal guten Tag sagen durfte sie ihm. Dabei spazierte er am helllichten Tag, munter plaudernd, mit einem Mädchen über den Hof. Na, warte!
Das Mädchen tänzelte über die Straße. Karin trat hinter dem Baum hervor. Die andere kam genau auf sie zu. Sie war klein, stämmig, aber nicht dick, Langes, offenes blondes Haar fiel über die Schultern. Die Blicke der beiden Mädchen kreuzten sich. Karin schürzte verächtlich die Lippen. Dann war die Fremde vorüber.
Für Sekunden schloss Karin die Augen, aber das Bild der anderen blieb. Zu kleiden verstand sie sich. Diese rote Bluse entstammte kaum einer Hausschneiderei. Sie war, nach Karins Geschmack, ein wenig zu eng, aber vielleicht war das beabsichtigt. Was hatte die Fremde im Objekt zu suchen? Und welche Beziehungen bestanden zwischen ihr und Jürgen? Sollte er sich inzwischen mit dem Mädchen getröstet haben? Karin rief sich den Inhalt der letzten Briefe von Jürgen in Erinnerung. Aber da war nichts, was Anlass geben konnte für eine solche Vermutung. Allerdings konnte man einem Briefbogen nicht ansehen, ob die ihm anvertrauten Worte von Liebe und Sehnsucht echt oder falsch waren.
Karins gute Stimmung war dahin. Ohne das Gelände noch eines Blickes zu würdigen, wandte sie sich um und ging langsam den Weg zurück. Zwischen zwei weiß getünchten Häusern führte ein Pfad, von Fliederbüschen fast zugewachsen, seitwärts zum Strand. Karin folgte ihm. Sie hatte keinen Blick für die weite Wasserfläche, für die Badegäste, zwischen deren Liegestätten sie sich hindurchschlängeln musste. Sie zog die Sandalen von den Füßen, wandte sich hinunter zum Wasser und trat auf den kühlen, feuchten, festen Sand.
Hinter ihr verebbte das Stimmengewirr, versanken die Strandkörbe und die Menschen wie bunte Tupfen. Schließlich war sie allein. Die Steilküste wurde niedriger, rückte jedoch näher ans Ufer. Aufgescheuchte Uferschwalben krakeelten um Karins Kopf. Am westlichen Horizont begrenzte ein dunkelgrauer Streifen den milchigen Himmel. Das fehlte gerade noch, dass der heutige Abend verregnete. Er hatte an Bedeutung gewonnen. Karin musste von Jürgen erfahren, welche Rolle dieses blonde Mädchen spielte, für ihn und überhaupt.
Allmählich ordneten sich ihre wirren Gedanken. Sie beschloss zu baden, und zwar dort, wo sie gestern mit Jürgen gebadet hatte. Sie brauchte nur die vor ihr liegende Landzunge zu umgehen, dann kam die alte Fischerhütte, und gleich dahinter lag „ihr Strand“.
Als Karin die ins Meer vorstoßende Landzunge umrundet hatte, sah sie unweit der Fischerhütte eine männliche Gestalt. Karin war noch zu weit entfernt und konnte außer der blauen Oberbekleidung keinerlei Einzelheiten erkennen.
Auch der Mann schien Karin gesehen zu haben. Er kehrte um und verschwand hinter dem Dünengrasstreifen. Nach kurzer Zeit tauchte er jedoch wieder auf, setzte sich in den Sand und blickte hinaus aufs Meer.
Karin war kein ängstlicher Mensch, doch das Benehmen des Mannes erschien ihr merkwürdig. Auch meinte sie, er hätte vorher eine Tasche oder einen Beutel in der Hand gehabt. Weit und breit war kein Badegast zu sehen. Karin lief durchs flache Wasser, wo sie nicht unmittelbar mit ihm zusammentreffen würde.
Der Mann blieb ruhig sitzen, und Karin schämte sich ihrer Angst. Sie tauchte die Arme ins Wasser, als wollte sie sich abkühlen, und kehrte auf den Strand zurück.
Der Fremde wandte den Kopf und blickte ihr entgegen. Er war jung, höchstens fünfundzwanzig Jahre alt, trug ein stahlblaues Popelinehemd und eine helle enge Hose.
Karin bemühte sich, seinen Gruß unbefangen zu erwidern.
„Kehren Sie lieber um!“, riet er ihr. „Da hinten wird’s steinig.“
„Ich weiß Bescheid.“
„Sie sind von hier?“
„Nein.“ Karin lächelte und trat ein paar Schritte näher. „Erst vorgestern angekommen. Aber dass es hier besonders schön ist, habe ich schon herausgefunden.“
Er stand auf, stopfte sich das Hemd hinter den Gürtel und betrachtete sie ungeniert. „Studentin, was?“
Karin war überrascht. „Wie sind Sie darauf gekommen?“, fragte sie.
Er lachte. „Erfahrungssache. Wer hier draußen herumkrebst und nicht zu den Einheimischen gehört …“
„… der kann nur aus dem Studentenheim kommen“, setzte sie hinzu.
Der Mahn zog ein ledernes Zigarettenetui aus der Hosentasche. „Ich weiß noch mehr. Heute ist bei Ihnen Tanzabend.“
„Stimmt. Woher wissen Sie das?
Er zuckte die Schultern. „So etwas spricht sich herum. Sagen Sie, kann man da einfach so hinkommen?“
„Selbstverständlich, wenn Sie sich mit Ihrer Freundin gesittet benehmen."
„Und wenn ich allein käme?“
„Dem steht nichts im Wege. Wir sind ohnehin mehr Mädchen als Jungen. An Tänzerinnen wird es Ihnen nicht fehlen.“
„Sind die alle so hübsch wie Sie?“
Das war billig, das stammte aus Großmutters Poesiealbum. Es wurde Zeit zu verschwinden, sonst hielt dieses Jüngelchen jedes weitere Wort für eine Aufforderung.“
Ob dieser Mann, der sich da so ungeniert an die junge Frau heranmacht, etwas mit ihrem späteren Verschwinden zu tun hat? Und was hat es mit dem anderen Mädchen bei Jürgen auf sich? „Tatort Studentenheim“ ist auch nach 50 Jahren ein spannender Krimi, der zudem aufschlussreiche Einblicke in die damalige DDR und ihre Armee, die Nationale Volksarmee (NVA) zulässt.
Jeweils auf ihre Weise spannende Einblicke in vergangenen und zukünftige Welten bieten auch die anderen Sonderangebote dieses Newsletters, die im Übrigen immer auch eine mehr oder weniger gut ausgehende Liebesgeschichte im Gepäck haben. Und da bietet sich zum guten Schluss noch ein übermütiges Gedankenexperiment an: Was würde eigentlich passieren, wenn sich Mönch Wibald und Kosmonautin Robina begegneten? Lassen Sie Ihrer Phantasie einfach mal freien Lauf …
Ansonsten aber viel Vergnügen beim Lesen, weiter einen schönen Mai sowie eine gute, gesunde und Corona-freie Zeit und bleiben auch Sie vor allem schön gesund und munter – und bis demnächst.
EDITION digital war vor 25 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Inzwischen gibt der Verlag Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher gedruckt und als E-Book heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.000 Titel. Alle Bücher werden klimaneutral gedruckt.
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