Gastbeitrag des unabhängigen Mobilitätsexperten Dr. Hans-Peter Kleebinder
Die Corona-Krise verändert derzeit unseren Blick auf Mobilität. Zum einen für uns selbst als Grundlage unserer persönlichen Autonomie und zum anderen für unsere Wirtschaft als Grundlage für Wohlstand. Deutschland hat jetzt die Chance – befeuert durch die COVID19 Pandemie – von der bevorstehenden Mobilitätsrevolution zu profitieren und gestärkt hervorzugehen
Was ändert sich mit und nach Corona? Je mehr unsere Mobilität eingeschränkt wird, desto stärker steigt unser Bewusstsein dafür. Bis vor kurzem undenkbar: Verhaltens-Regeln, ob, wie und wohin wir uns bewegen dürfen. Wir nehmen mehr Rücksicht aufeinander und schränken uns ein. Wir werden kreativ und ändern unsere Bewegungskultur: Fahrrad statt Auto und Bus, Wandern statt Seilbahn, Homeoffice statt durchschnittlich 45 Minuten am Tag zum Arbeitsplatz pendeln. Unsere Einstellung und unser Verhalten ändert sich.
Einerseits entschuldigt sich unsere bewährte Krisenmanagerin Angela Merkel für diese Einschränkungen unseres Grundrechts. Andererseits verspricht unsere Auto-Kanzlerin umfangreiche Unterstützung der Autoindustrie, um auf die Angst vor Arbeitsplatzverlust zu reagieren. Die geforderten Kaufprämien für hochmotorisierte fossile Fahrzeuge aus der Überproduktion deutscher Autobauer führen nicht aus der Sackgasse, sondern zu einer fatalen Geisterfahrt in die falsche Richtung.
Zukunftsmobilität: Das WIE und nicht das WOMIT steht im Vordergrund
Die Automobilindustrie ist nach wie vor Leitbranche, Treiber und Aushängeschild der deutschen Wirtschaft. Mit Klimaschutz, alternativen Antriebstechnologien, Digitalisierung und einem sich ändernden Mobilitätsverhalten steht die Branche vor ihrer größten Herausforderung. „Die Automobilindustrie wird sich in den nächsten 5 Jahren mehr verändern als in den letzten 100 Jahren“ tönten 2016 die deutschen CEOs der Automobilindustrie einstimmig zum 100. Geburtstag des Automobils. Die Richtung und die Geschwindigkeit gaben und geben andere vor, allen voran Tesla. Bald auch im Autoland Deutschland mit eigener Fabrik.
Globale Entwicklungen bestimmen das Tempo der aktuellen Neuerfindung und Transformation der Automobilindustrie: Mögliche Strafzahlungen aufgrund von Emissionsregulierungen erzwingen eine Dekarbonisierung und damit die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten. Verbrennungs-Motoren (Diesel/Benzin und Gas) werden langfristig von Elektro-Motoren (Batterie und Brennstoffzelle) abgelöst. Als Brückentechnologie werden Hybrid-Motoren in der nächsten Dekade weiter an Bedeutung gewinnen. Neben Antrieben wird die Mobilitätsrevolution vor allem durch die Chancen der Digitalisierung vorangetrieben. Das WIE und nicht das WOMIT, steht in Zukunft im Vordergrund, wenn wir uns von A nach B bewegen oder bewegt werden.
Stolz auf unsere Autoindustrie bröckelt
Jetzt ist die Zeit, mutig zu handeln und rasch zu entscheiden. Unternehmen der Automobilindustrie müssen jetzt die Weichen stellen, um den unvermeidbaren Wandel erfolgreich zu bewältigen. Die Politik ist auf allen Ebenen gefordert, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, um künftig von den sich bietenden Chancen zu profitieren.
Passt sich unsere Automobilwirtschaft in Deutschland künftig nicht oder zu spät an, drohen Wertschöpfungsverluste. Ein beträchtlicher Teil der geschätzten 1,8 Millionen Arbeitsplätze hängen derzeit am Verbrenner. COVID-19 wirkt für die Transformation zum Elektromotor wie ein Brandbeschleuniger für diese Transformation. Begleitet wird dies durch die Verunsicherung von Mitarbeitern und Kunden sowie die bröckelnde Identifikation und Stolz auf unsere Automobilindustrie. In Familien, in (sozialen) Medien und in Talkrunden wird unsere Zukunftsmobilität kontrovers diskutiert.
Irrfahrt in die falsche Richtung
Schon vor der Corona-Pandemie war die Autoindustrie enorm unter Druck. Als vormals reichste Kommunen Deutschlands bettelten Wolfsburg und Ingolstadt bei der Autokanzlerin um Unterstützung mit dem Argument, bestehende Arbeitsplätze zu sichern. Dabei hat deren Forschung und Entwicklung zu wenig in zukunftsfähige Antriebe investiert, sondern vor allem in immer größere und luxuriösere Produkte. Vor allem in die stark nachgefragten SUVs, welche unserem Wunsch nach Sicherheit, Fahrspaß und Bequemlichkeit folgen. So hat sich der Ressourceneinsatz, der notwendig ist, um uns von A nach B zu bringen, in den letzten 25 Jahren deutlich erhöht. Zwischen dem VW Golf von 1995 und dem aktuellen VW Golf hat sich dessen Fläche um 12% und sein Gewicht um 25% erhöht. Die durchschnittliche PS Zahl von neuen PKWs ist in diesem Zeitraum um 66% gewachsen. Brauchen wir jetzt als Gegenbewegung die Förderung von Mikromobilität?
Konflikt zwischen ökonomischen und ökologischen Fußabdruck
Als Folge der Corona-Pandemie stehen dringend richtungsweisende ökonomische Entscheidungen an. Diese Krise hat die Geschwindigkeit und den Druck, diesen Wandel zu managen, dramatisch erhöht. Diese Krise bietet die Chance, unsere Mobilität nachhaltiger und intelligenter zu gestalten. Jetzt gilt es, die Klimaziele und die Wirtschaft gleichermaßen im Auge zu behalten. Jetzt darf die Autoindustrie nicht den Fehler machen, auf dem Weg zur Normalität diese Chance zur Veränderung zu verpassen …
Dieselgate und Tesla haben den überfälligen Strukturwandel in der Branche deutlich gemacht. Die deutschen Autobauer – allen voran VW – haben mit der Neuausrichtung begonnen. Durch COVID-19 ist jetzt eine existenzielle Notlage entstanden, die Mut und Perspektiven für eine bessere Zukunft braucht. Mit einer gezielten Förderung einer nachhaltigeren Energiegewinnung, umweltfreundlicheren Antriebstechnologien, der Vernetzung unserer Verkehrsträger und von neuen Mobilitätsdienstleistungen. Dabei können die Förderpakete helfen, den ohnehin fälligen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit zu beschleunigen und die Geschäftsgrundlage für die Zukunft neu auszurichten …
Der Bundesverband eMobilität (BEM) ist ein Zusammenschluss von Unternehmen, Institutionen, Wissenschaftlern und Anwendern aus dem Bereich der Elektromobilität, die sich dafür einsetzen, die Mobilität in Deutschland auf Basis Erneuerbarer Energien auf Elektromobilität umzustellen. Zu den Aufgaben des BEM gehört die aktive Vernetzung von Wirtschaftsakteuren für die Entwicklung nachhaltiger und intermodaler Mobilitätslösungen, die Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Ausbau der eMobilität und die Durchsetzung von mehr Chancengleichheit bei der Umstellung auf emissionsarme Antriebskonzepte. Der Verband wurde 2009 gegründet. Er organisiert 300 Mitgliedsunternehmen, die ein jährliches Umsatzvolumen von über 100 Milliarden Euro verzeichnen und über eine Million Mitarbeiter weltweit beschäftigen.
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