Städels Erbe
Städel Museum, Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung
Mit dem Vermächtnis seiner privaten Kunstsammlung begründete der Frankfurter Kaufmann und Bankier Johann Friedrich Städel (1728–1816) ein öffentliches, für alle zugängliches Kunstmuseum von internationalem Rang – das Städel Museum. Der Sammler hinterließ einen Schatz, der neben Gemälden und Druckgrafiken auch über 4.600 Zeichnungen umfasste. Lange Zeit konnte nicht nachvollzogen werden, welche Zeichnungen des heutigen Museumsbestands ursprünglich aus seiner Sammlung stammen. Zur damaligen Zeit wurde kein vollständiges Verzeichnis angelegt und eine Vielzahl von Zeichnungen wurde im Zuge einer Neuordnung der Sammlung in den 1860er-Jahren aussortiert und verkauft. Nun ist es dem Städel nach mehrjährigen Forschungen gelungen, die Zeichnungssammlung des Stifters erstmals weitgehend zu rekonstruieren und rund 3.000 Werke zu identifizieren, die bis heute im Museum erhalten sind. Vom 13. Mai bis 16. August 2020 präsentiert das Städel eine Auswahl von 95 Meisterzeichnungen, die einen exemplarischen Eindruck vom Zuschnitt, der Ordnung und der künstlerischen Bedeutung der einstigen Zeichnungssammlung von Johann Friedrich Städel vermitteln. Herausragende Arbeiten von Raffael, Correggio und Primaticcio, Watteau, Boucher und Fragonard, Dürer, Roos und Reinhart sowie Goltzius, Rembrandt und De Wit werden in der Sammlungstradition des Stifters nach „europäischen Schulen“ geordnet gezeigt und in einem die Ausstellung begleitenden Katalog ausführlich besprochen. Ein Teil dieser Zeichnungen ist in der Forschung bereits bekannt, andere werden zum ersten Mal veröffentlicht.
Das Forschungs- und Ausstellungsprojekt wird gefördert durch die Stiftung Gabriele Busch-Hauck, die Wolfgang Ratjen Stiftung, Liechtenstein, die Tavolozza Foundation und die Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung. Die Rekonstruktion der Zeichnungssammlung Johann Friedrich Städels gibt Einblicke in die Sammeltätigkeit und die Konzeptionsgedanken des Stifters sowie in das Sammeln von Zeichnungen im 18. Jahrhundert im Allgemeinen. Die Handelswege, über die die Blätter aus den großen europäischen Kunsthandelszentren Paris, Amsterdam und London nach Frankfurt gelangten, werden ebenso deutlich wie der kunsthistorische, enzyklopädische Anspruch seines Sammelns. Auch der Austausch, den die kunstinteressierten Bürger Frankfurts zur Zeit des Stifters untereinander pflegten, wird in Teilen erkennbar. Die Ausstellung liefert zudem wichtige Erkenntnisse über den Umgang mit der Sammlung des Städel Museums im 19.
Jahrhundert und darüber, wie damals entschieden wurde, was „museumswürdig“ sei und was nicht.
„Städels Sammlung war für die Gründer des Museums ein Schatz und ist es bis heute geblieben. Es ist diese Sammlung selbst, die zur wichtigen Quelle für eine Vielzahl an Geschichten wird. Ein umfassendes Forschungsprojekt bringt nun Licht ins Dunkel von Städels Zeichnungssammlung. Noch nie zuvor systematisch erfasst sind die Zeichnungen nun erstmals weitgehend vollständig identifiziert. Die lebendige Sammlungsgeschichte, die damit aufgearbeitet werden konnte und Beziehungen nach ganz Europa offenlegt, bringt uns unseren Stifter, dessen Denken und damit den Kern unseres Verständnisses als Museum nahe. Dazu gehört auch die Stiftungsverpflichtung, eine Sammlung zu verwahren, die sich einerseits auf höchste Qualität konzentriert, andererseits aber auch stets kritisch überprüft wird“, so Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums.
„Neben Gemälden, Druckgrafiken und ‚Kunstsachen‘ bildeten die Handzeichnungen einen bedeutenden Teil von Städels Sammlung. Die Vielfalt und Qualität sowie die große Anzahl erlauben es, diesen Bereich beispielhaft für Städels Selbstverständnis als Sammler zu betrachten. Zur Sammlung zählten Arbeiten aus den bedeutenden europäischen Kunstschulen seit der Renaissance um 1500 bis in Städels eigene Lebensjahre. Dass er dabei ein enzyklopädisches Sammelkonzept verfolgte, hat sich erst nach und nach im Zuge eines mehrjährigen Forschungsprojektes herausgestellt“, erklärt Kurator Joachim Jacoby.
Die Städelsche Zeichnungssammlung
Die Handzeichnungen bildeten einen bedeutenden Teil der Kunstsammlung Johann Friedrich Städels. Im 18. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Aufklärung, wurden Zeichnungen als einzigartige Zeugnisse für das individuelle künstlerische Schaffen und die Kreativität ihrer Schöpfer gesehen. Chronologisch und nach Schulen geordnet, ließen sich an Zeichnungen die Geschichte der Kunst und das Leben der Künstler nacherleben. Städels intensive Sammlungstätigkeit belegt, dass er als Zeitgenosse diese Ideen teilte. Es ist nicht genau einzugrenzen, wann er mit dem Sammeln von Zeichnungen begann. Schon von frühester
Jugend – wie er selbst sagte – an Kunst interessiert, widmete er sich bis in seine letzten Lebensjahre dem Aufbau seiner Zeichnungssammlung. Die Ordnung seiner Sammlung erfolgte nach Herkunftsregionen, einer im 18. Jahrhundert ausgeprägten französischen Systematik, die die Kunst Europas nach sogenannten Schulen unterschied: Italien, Frankreich, Niederlande/Flandern und Deutschland. Zudem war Städel bemüht, enzyklopädisch zu sammeln – jede künstlerische Schule vom 16. Jahrhundert bis in seine eigene Gegenwart wollte er mit Beispielen repräsentiert wissen.
Durch den Mangel an Quellen über seine Ankäufe lassen sich die Erwerbungsumstände nur indirekt erschließen. Die Rekonstruktion der Provenienzen und Handelswege der einzelnen Blätter – oft möglich über die Bestimmung von Stempeln oder Markierungen – ergab, dass wohl unter Vermittlung von Kunstagenten vorwiegend in Paris, Amsterdam und London gekauft wurde, aber auch Zeichnungen in Basel, Hamburg, Mannheim und Frankfurt erworben wurden. Städels weit gestreute Ankäufe geben deutlich den organisatorischen und konzeptionellen Aufwand zu erkennen, den er für diesen Sammlungsbereich betrieb. Ob er mit Händlern direkt in Kontakt stand, ob er sich regelmäßig Ansichtssendungen oder Versteigerungskataloge zuschicken ließ, wie er also zu seinen Kaufentscheidungen kam, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Auch ist offen, wie er das Angebot filterte, es ist aber denkbar, dass der örtliche Kunsthandel eine gewisse Orientierung ermöglichte. Städel hat den europäischen Kunstmarkt intensiv über zwei, drei Jahrzehnte verfolgt. Dabei war auch der persönliche Austausch mit Gleichgesinnten bedeutsam. Die gemeinsame Kunstbetrachtung und die frühzeitige Öffnung seiner Sammlung in seinem Haus am Roßmarkt in Frankfurt für Kunstinteressierte und Liebhaber sorgten für Anregungen wie auch für eine bewertende Auseinandersetzung mit seinen Zeichnungen.
Städel verfügte mit seinem Tod die Gründung einer wohltätigen Stiftung als bürgerliche Einrichtung – das Städelsche Kunstinstitut – mit dem Anspruch, „zum Besten hiesiger Stadt und Bürgerschaft“ zu dienen. Nach seinen Vorstellungen sollte seine Sammlung nicht nur durch Neuerwerbungen bereichert, sondern in ihrem Qualitätsniveau insgesamt auch durch den Verkauf von nicht geeigneten oder weniger bedeutenden Arbeiten gesteigert werden. Mit der Verpflichtung zu höchster Qualität der Sammlung ging es dem Stifter nicht nur um eine Bewahrung, sondern weitsichtig um eine Öffnung der Sammlung und eine Vermittlung des Bestands. Bei der Erstellung des ersten Katalogs der Handzeichnungen – um 1825 durch den ersten Inspektor des Städelschen Kunstinstituts, Carl Friedrich Wendelstadt (1786–1840) – wurde bereits nach diesem Grundsatz verfahren: Von den 4.631 Zeichnungen fand nur eine Auswahl von 1.878 Werken Berücksichtigung. 1842 wurde auf Initiative des damaligen Inspektors Johann David Passavant (1787– 1861) damit begonnen, die Bestände museal zu ordnen und zu inventarisieren, was erst 1862/63 unter Passavants Nachfolger Gerhard Malß (1819–1885) abgeschlossen wurde. Zwischen 1860 und 1867 wurden über 2.200 Zeichnungen verkauft – ausgewählt und verantwortet wurden diese Verkäufe jeweils von einer mehrköpfigen Kommission. Neben dem Urteil über die Qualität einer Zeichnung, ihrem Erhaltungszustand und ihrem Format scheint darüber hinaus ausschlaggebend gewesen zu sein, mit wie vielen Arbeiten ein Künstler in der Sammlung vertreten war.
Meisterzeichnungen aus der Sammlung
Städels Zeichnungssammlung wird in der Ausstellung mit einer repräsentativen Auswahl von 95 Meisterzeichnungen vorgestellt, die sich bis heute im Bestand des Städel Museums befinden. Die Stiftungssammlung besaß ein ungemein breites Spektrum. Sie spiegelte regionale Eigenheiten ebenso wie prägende künstlerische Persönlichkeiten, ließ die stilistischen Unterschiede in der historischen Abfolge anschaulich werden und umfasste zusätzlich eine Fülle verschiedener Zeichenmedien mit jeweils unterschiedlicher Bestimmung.
Die ursprünglich 1.300 italienischen Zeichnungen reichten von Florentiner Meistern des späten 15. Jahrhunderts über Vertreter der Hochrenaissance bis zur unmittelbaren Gegenwart des Stifters. Unter den großen Künstlern der italienischen Renaissance in Städels Sammlung war auch Raffael (1483–1520), der ursprünglich mit 24 ihm zugeschriebenen Zeichnungen vertreten war. Eine davon ist die auf 1519/20 datierte Karyatide, die aus seinen letzten Lebensjahren stammt und mit sanftem Einsatz schwarzer Kreide die Modellierung einer Marmorskulptur zeigt.
Ein Beispiel für ein Werk eines Zeitgenossen des Stifters ist etwa Giorgio Fuentes’ (1756–1821) Bühnenbildentwurf für einen indischen Tempel, der um 1796/1800 entstand. Fuentes prägte zwischen 1796 und 1800 das Theater der Stadt Frankfurt durch seine überwältigend großen, detailreich gestalteten Bühnenbilder nachhaltig.
Das Stück, das mit dem Entwurf des Bühnenbilds zusammenhängen könnte, ist nicht bekannt – jedoch legen die fantasievollen exotischen Details der Architektur die Vermutung nahe, dass hier ein indischer Sakralbau dargestellt ist.
Die Sammlung französischer Zeichnungen umfasste etwa 450 Arbeiten. Die frühesten Werke aus dem beginnenden 17. Jahrhundert stammten von prägenden Künstlern wie Claude Lorrain (1600–1682) oder Sébastien Bourdon (1616–1671).
Dazu kamen Werke des 18. Jahrhunderts, bei denen Hauptvertreter wie Hyacinthe Rigaud (1659–1743), Antoine Watteau (1683–1721) oder François Boucher (1703–1770) stilistische Umbrüche abdeckten. Verspielte Rokoko-Schöpfungen Jean-Honoré Fragonards (1732–1806) standen hier neben Zeichnungen, die klassizistisch klar gehalten sind. Dass eine strenge Form nichts mit fehlender Dramatik zu tun hat, zeigt eindrücklich die Szene In einer ägyptischen Grabkammer finden Reisende zwei Leichname von Augustin Félix Fortin (1763–1832).
Auch die französische Schule fand ihren Abschluss in Städels Sammlung mit einem Zeitgenossen: Mit Jean-Jacques de Boissieu (1736–1810) trat – vielleicht auch aufgrund einer persönlichen Vorliebe Städels – die Landschaftsdarstellung besonders prominent in den Mittelpunkt des Sammlungsbereichs.
Die deutsche Kunst in der Zeichnungssammlung umspannte den Zeitraum von 1500 bis zur Aufklärung. Im Konvolut deutscher Zeichnung waren zwei Künstler des 18.
Jahrhunderts besonders reich vertreten: Von Franz Kobell (1749–1822) und Friedrich Wilhelm Hirt (1721–1772) stammten 950 Zeichnungen – kleinformatige Skizzen und Kompositionsentwürfe genauso wie für sich stehende, ausformulierte Werke. Der Anteil anderer deutscher Künstler belief sich auf nicht einmal 300 Arbeiten. Unter ihnen jedoch finden sich Größen wie Hans Baldung Grien (1484–1545) und Albrecht Dürer (1471–1528): Das eigenwillige Blatt Mann mit Löwe aus Dürers Hand von 1517 zeigt einen sitzenden Akt, dem sich von rechts ein Löwe nähert. Beide Akteure mustern sich – doch die Szene bleibt rätselhaft. Dass Dürer zu den sammelwürdigsten deutschen Künstlern gehörte, stand für Städels Zeitgenossen außer Frage. Auch wenn Städel selbst kein Gemälde zu seiner Sammlung zählen konnte, gelang es ihm durch Ankäufe von Druckgrafiken und Zeichnungen, verschiedene Werkphasen des Künstlers zusammenzubringen.
Mit rund 1.500 Blättern machte die niederländische/flämische Schule etwa ein Drittel der Sammlung aus – etwa die Hälfte davon wurde nachweislich in den 1860er-Jahren veräußert. Das Sammlungsgebiet umspannte die Zeit ab dem 16. Jahrhundert bis zu Städels unmittelbarer Gegenwart und erstreckte sich zusätzlich auch über alle Gattungen, wobei Landschaftsdarstellungen den größten Teil einnahmen. Feine Studien wie Vier Hände von Hendrick Goltzius (1558–1617) führen eindrücklich die Besonderheiten der Zeichnung vor Augen, da solche Studien nicht zuletzt die Prozesshaftigkeit künstlerischen Schaffens offenlegen.
Wieder sind auch anerkannte Meister und ihre Werkstätten vertreten – allen voran Rembrandt (1606–1669), etwa mit Alter sitzender Mann (Der trunkene Lot) von 1633, wie auch seine Nachfolger sowie Jacob de Wit (1695–1754) oder die Künstlerfamilie van de Velde.
STÄDELS ERBE. MEISTERZEICHNUNGEN AUS DER SAMMLUNG DES STIFTERS
Ausstellungsdauer: 13. Mai bis 16. August 2020
Kurator: Dr. Joachim Jacoby
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
Information: www.staedelmuseum.de
Besucherservice: +49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum
Öffnungszeiten: Di, Mi, Sa, So + Feiertage 10.00–18.00 Uhr, Do + Fr 10.00–21.00 Uhr
Eintritt: 14 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren
Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Sandstein Verlag, Dresden, ein umfassender, von Joachim
Jacoby verfasster Katalog, mit einem Vorwort von Philipp Demandt. 336 Seiten, 39,90 Euro
(Museumsausgabe), 49 Euro (Buchhandelspreis)
Gefördert durch: Stiftung Gabriele Busch-Hauck, Wolfgang Ratjen Stiftung, Liechtenstein,
Tavolozza Foundation, Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung
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