Gesundheit & Medizin

UKE-Forschende identifizieren kritisches Zeitfenster für HIV-Reinfektion von Spenderzellen

Bislang ist die allogene Stammzelltransplantation zur Behandlung schwerer Blutkrebsarten die einzige medizinische Intervention, die zumindest bei drei am HI-Virus erkrankten Menschen zu deren Heilung geführt hat. Unklar ist noch, warum dieses Verfahren weitere HIV-infizierte Patienten nicht erfolgreich heilen konnte. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und des Institut Pasteur in Paris haben in einer Studie mit 16 HIV-infizierten Menschen ein kritisches Zeitfenster nach einer allogenen Stammzelltransplantation identifiziert, in dem die expandierenden Spenderzellen für eine erneute Aussaat des HIV-Reservoirs besonders anfällig sein könnten. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Science Translational Medicine. Die Studie ist Teil der Arbeit des internationalen IciStem-Konsortiums, das seit 2014 die Mechanismen erforscht, die zu einem erfolgreichen Rückgang des HIV-Reservoirs nach allogener Stammzelltransplantation führen.

„In den ersten Wochen nach einer allogenen Stammzelltransplantation, in denen die Zellen des Spenders und des Patienten noch nebeneinander existierten, waren die CD4+-T-Zellen, sogenannte Helfer-Zellen, besonders aktiviert. Diese Aktivierung könnte die Reaktivierung des HI-Virus und die erneute Aussaat der Infektion in expandierenden CD4+-Spender-T-Zellen fördern“, sagt die Erstautorin der Studie, Dr. Johanna Eberhard aus der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik des UKE.

Zudem beobachtete die Wissenschaftlerin gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern der Klinik für Stammzelltransplantation des UKE in enger Kooperation mit dem Institut Pasteur in Paris, dass sich nach dieser Zeit neue, spezifische T-Zellantworten gegen HIV-Proteine aus Spenderzellen entwickelt haben. Dies deute darauf hin, dass die Spenderzellen während ihrer Expansion mit HI-Viren in Kontakt standen und darauf trainiert wurden, gegen sie zu reagieren. Dies wiederum bestätige die Existenz eines „Fensters der Verwundbarkeit“, in dem eine Infektion von Spender-Zellen auftreten kann, so Dr. Eberhard.

„Zusammen mit früheren Studienergebnissen des IciStem-Konsortiums zeigen diese Ergebnisse eine Schwachstelle, die möglicherweise erklärt, warum allogene Stammzelltransplantationen das Virus trotz drastischer Verringerung der Anzahl infizierter Zellen im Organismus möglicherweise nicht vollständig aus dem Körper entfernen: Einige infizierte Zellen können in nicht zugänglichen Organen unbemerkt bleiben und wieder beginnen, sich zu vermehren. Zusätzliche Immuntherapien oder Gentherapien könnten erforderlich sein, um eine anhaltende spontane Kontrolle der HIV-Infektion bei Menschen mit HIV nach allogener Stammzelltransplantation zu erreichen“, sagt der Mitautor der Studie, Priv.-Doz. Dr. Julian Schulze zur Wiesch, Oberarzt in der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik des UKE, der mit seiner Arbeitsgruppe innerhalb des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) zu Themen der HIV-Heilung forscht.

Behandlung von HIV-infizierten Patienten und allogene Stammzelltransplantation

Derzeit werden HIV-infizierte Menschen mit so genannten antiretroviralen Wirkstoffen behandelt. Diese Medikamente sind aber nicht in der Lage, das Virus aus dem Körper zu entfernen, es bleibt in Immunzellen vorhanden, insbesondere in CD4+-T-Zellen. Das HI-Virus vermehrt sich in der Regel wieder, sobald die Behandlung abgebrochen wird.

Einige Menschen mit HIV müssen sich auch einer allogenen Stammzelltransplantation unterziehen, um verschiedene Arten von hämatologischen Krebserkrankungen zu behandeln. Während dieser Transplantationen werden die meisten Immunzellen der Patienten eliminiert. Danach werden Stammzellen eines gesunden Spenders verwendet, um das beschädigte Knochenmark bei den Patienten zu ersetzen und ihr Immunsystem wiederherzustellen.

Bereits vor einigen Jahren war festgestellt worden, dass eine allogene Stammzelltransplantation mit einem spektakulären Rückgang der Anzahl HIV-infizierter Zellen einhergeht. Bei drei HIV-infizierten Menschen war das Virus sogar trotz Unterbrechung der antiretroviralen Behandlung nicht nachweisbar geblieben. In allen drei Fällen waren den Patienten Stammzellen von Spendern transplantiert worden, die eine Mutation (CCR5-Delta32) trugen, die die Expression eines der wichtigsten HIV-Eintrittsrezeptoren auf der Zelloberfläche beeinträchtigt und sie gegen einige HIV-Stämme resistent macht. Bei anderen HIV-infizierten Patienten hatte sich das Virus jedoch wiederum trotz einer allogenen Stammzelltransplantation nach Absetzen der Medikamente nach einer gewissen Zeit wieder vermehrt.

IciStem-Konsortium

Das IciStem-Konsortium (www.icistem.org) führt seit 2014 eine Beobachtungsstudie durch, in der HIV-infizierte Patienten, die sich aufgrund einer schwerwiegenden hämatologischen Erkrankung einer allogenen Stammzelltransplantation unterziehen müssen, eingeschlossen werden. Ziel ist es, die Mechanismen zu erforschen, die zu einer erfolgreichen HIV-Remission nach allogener Stammzelltransplantation führen. Das IciStem-Konsortium besteht aus einem europäischen Expertengremium aus Hämatologen, Infektiologen, Virologen und Immunologen.

Literatur

1. M. Eberhard, M. Angin, C. Passaes, M. Salgado, V. Monceaux, E. Knops, G. Kobbe, B. Jensen, M. Christopeit, N. Kröger, L. Vandekerckhove, J. Badiola, A. Bandera, K. Raj, J. van Lunzen, G. Hütter, J. H. Kuball, C. Martinez-Laperche, P. Balsalobre, M. Kwon, J. L. Díez-Martín, M. Nijhuis, A. Wensing, J. Martinez-Picado, J. Schulze zur Wiesch, A. Sáez-Cirión, Vulnerability to reservoir reseeding due to high immune activation after allogeneic hematopoietic stem cell transplantation in individuals with HIV-1. Sci. Transl. Med. 12, eaay9355 (2020).

Über Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)

Das 1889 gegründete Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) ist eine der modernsten Kliniken Europas und mit mehr als 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber in Hamburg. Gemeinsam mit seinem Universitären Herz- und Gefäßzentrum und der Martini-Klinik verfügt das UKE über mehr als 1.730 Betten und behandelt pro Jahr rund 507.000 Patientinnen und Patienten. Zu den Forschungsschwerpunkten des UKE gehören die Neurowissenschaften, die Herz-Kreislauf-Forschung, die Versorgungsforschung, die Onkologie sowie Infektionen und Entzündungen. Über die Medizinische Fakultät bildet das UKE rund 3.300 Mediziner und Zahnmediziner aus.

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