Deutsche EU-Ratspräsidentschaft entscheidet über Merkels Vermächtnis
Klimaschutz-Wirkung des Corona-Konjunkturpakets muss sichergestellt werden
Ein gemischtes Bild zeigt aus Germanwatch-Sicht der Klimabereich der Agenda. Gut ist, dass die Bundesregierung sich deutlich dazu bekennt, die Überwindung der COVID-19-Pandemie in der EU mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft, einer ambitionierten Klimapolitik und dem Erreichen der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu verbinden. „Dies wird weltweit als wichtiges Signal wahrgenommen", so Christoph Bals. Zudem sei es "konsequent, dass die Bundesregierung mit den EU-Partnern einen CO2-Mindestpreis im Europäischen Emissionshandel voranbringen und den Flug- sowie Schiffsverkehr endlich in diesen Handel einbeziehen will."
Jedoch: "Trotz schöner Worte wird nicht nachprüfbar sichergestellt, dass mit EU-Geld geförderte Investitionen nach der Coronakrise auch mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit kompatibel sind. Wenn – sicher für lange Zeit zum letzten Mal – so viel öffentliches Geld ausgegeben wird, sind klare klimabezogene Prüfanforderungen an öffentliche Investitionen unerlässlich", so Bals. Germanwatch fordert hier drei Schritte: Erstens wirkungsvollere Kriterien, um die Konjunktur- und Resilienzpläne der Mitgliedsstaaten zu prüfen; zweitens stärkere Kontrollrechte für das Europäische Parlament bei der Vergabe dieser öffentlichen Gelder und drittens bei der Vergabe von Investitionen an Unternehmen den Einsatz der EU-Taxonomie, ein stringentes Klassifikationssystem für nachhaltige Investitionen.
Anhebung des Klimaziels kann EU wieder zum internationalen Klima-Zugpferd machen
Die endlich auch von der Bundesregierung unterstütze Erhöhung des europäischen Klimaziels für 2030 auf minus 50 bis 55 Prozent kann nach Ansicht von Germanwatch ein entscheidendes Element werden, um auch andere große Staaten weltweit zu einer deutlichen Verbesserung ihrer Zusagen für das Pariser Klimaabkommen zu bewegen. Besonders wichtig werden dazu neue Vereinbarungen mit dem größten CO2-Emittenten China. Die EU sollte nach Ansicht von Germanwatch mit einem eigenen Klimaziel von mindestens minus 55 Prozent in die Verhandlungen gehen.
Zu wenig engagiert sich die EU bisher für die Überwindung der Coronakrise außerhalb Europas. Sie müsste Partnerländer dabei unterstützen, einen nachhaltigen Pfad beim Wiederaufbau ihrer Ökonomien einzuschlagen. Internationale Partnerschaften zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und der UN-Nachhaltigkeitsziele kommen aber im Programm der Bundesregierung – außer bei der Energieaußenpolitik – zu kurz. Neben China sollten transformative Partnerschaften mit Indien, Südafrika und Russland Schlüsselvorhaben für die EU sein.
Positiv hervorzuheben ist der Fokus auf die europäisch-afrikanische Zusammenarbeit. Die Corona-Krise unterstreicht die Relevanz von Krisenresilienz zum Beispiel durch dezentrale erneuerbare Energieversorgung, Verbesserung des Gesundheitswesens und die Bekämpfung sozialer Spaltung. Die von Kanzlerin Merkel auf dem Petersberger Klimadialog angesprochenen Zinssenkungen für Entwicklungsländer beim Ausbau der erneuerbaren Energien können hierbei ein entscheidender Anreiz werden. Bals: „Leider untermauert die Bundesregierung diese schönen Worte nicht ausreichend durch die Stärkung der EU-Klimadiplomatie. Wenn die Ziele erreicht werden sollen, müssten EU-Kommission und Europäischer Auswärtiger Dienst endlich mit mehr Ressourcen für die klimapolitische Arbeit ausgestattet werden.“
Zu zaghaft beim Schutz von Menschenrechten in Lieferketten
Im Bereich nachhaltige Lieferketten bewertet Germanwatch die deutsche EU-Agenda als zu zaghaft. Zu vage bleibt die Ankündigung, sich für einen „EU-Aktionsplan zur Stärkung der Unternehmensverantwortung in globalen Lieferketten“ einzusetzen. „Die Corona-Krise zeigt, dass EU-Regierungen dazu beitragen sollten, globale Lieferketten auch für die Menschen in diesen Lieferketten krisenfester zu gestalten. Der EU-Aktionsplan muss daher wirksame Maßnahmen umfassen, vor allem ein Lieferkettengesetz. Damit müssen Unternehmen verpflichtet werden, in ihren globalen Lieferketten für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu sorgen“, sagt Cornelia Heydenreich, Leiterin des Teams Unternehmensverantwortung bei Germanwatch. „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie den Vorstoß von EU-Justizkommissar Reynders für ein Lieferkettengesetz unterstützt und mit einem wirksamen deutschen Gesetz Maßstäbe für die EU-Regelung setzt“, so Heydenreich weiter. Reynders hatte angekündigt, im kommenden Jahr einen Entwurf für eine europäische Regelung zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten vorzulegen.
Landwirtschaft/Handel: Nachhaltigkeitsziele nicht als Kosmetik missbrauchen
Die Bundesregierung kündigt in ihrer Agenda an, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) für den Zeitraum bis 2027 verabschieden und damit auch einen Beitrag zu den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) leisten zu wollen. Der Vorschlag der EU-Kommission enthält dafür aber kaum konkrete Instrumente. "Die Bundesregierung sollte von der Kommission einen deutlich veränderten Vorschlag einfordern, der sich an der „Vom Hof zum Teller“-Strategie der neuen Kommission orientiert. Er sollte klare Ziele für Klimaschutz und biologische Vielfalt definieren und die GAP so gestalten, dass es für die Landwirtinnen und Landwirte attraktiv wird, diese zu erreichen", sagt Tobias Reichert, Leiter des Teams Welternährung und Handel bei Germanwatch.
In der Handelspolitik ist der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit massiv. Einerseits wird angekündigt, die Ziele für nachhaltige Entwicklung in die Handelspolitik zu integrieren. Andererseits will die Bundesregierung den Abschluss des Freihandelsabkommens mit den südamerikanischen Mercosur-Ländern vorantreiben. Reichert: „Ohne grundlegende Neuverhandlung würde das gleich in doppelter Hinsicht diese Ziele torpedieren: Die EU würde sich verpflichten, mehr Rindfleisch und Zuckerrohr – die größten Entwaldungstreiber – zu importieren. Im Gegenzug öffneten die Mercosur-Staaten ihre Märkte weiter für europäische Autos – auch für besonders klimaschädliche SUVs." Die Bundesregierung sollte stattdessen auf verbindliche Regeln zum Schutz der Menschenrechte, der Wälder, des Klimas und der biologischen Vielfalt in dem Abkommen drängen, so Reichert.
Bildung als Schlüssel zur Umsetzung des Green Deal
Das neue "Normal" muss ein nachhaltiges "Normal" sein. Die Bundesregierung will in der EU die Lehren aus der Corona-Krise für den Bildungssektor ziehen – dies bedeutet, Bildung krisenfester und politischer zu machen sowie eine Qualitätsoffensive für Bildung zu starten. "Wir sehen die Initiative der Bundesregierung zu digitaler Bildung und ihr Ziel, Bildung als Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung des Europäischen Green Deal zu fördern, sehr positiv. Ein schweres Versäumnis ist aber, dass die wichtige Rolle von Bildung für nachhaltige Entwicklung im Sinne des neuen UNESCO-Programms BNE2030 nicht in der Agenda auftaucht", sagt Stefan Rostock, Leiter des Teams Bildung für Nachhaltige Entwicklung bei Germanwatch. "Wichtig ist, der jungen Generation bei der Lösung sozialer und ökologischer Krisen nicht nur zuzuhören, sondern sie auch aktiv einzubinden. Bildung sollte sie in die Lage versetzen, auch die Interessen des Gemeinwohls zu erkennen und sich für die Gestaltung ihrer Zukunft einzusetzen."
Hintergrundpapiere:
Die EU zukunftsfähig machen (Forderungen der Umweltverbände): www.germanwatch.org/de/18702
Positionspapier zu Wirtschaft und Menschenrechte in der EU: www.germanwatch.org/de/18760
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