Prostatakrebs: Kein Anhaltspunkt für einen höheren Nutzen oder Schaden bei Anwendung der Fusionsbiopsie
Prostatakarzinom ist in Deutschland häufigste Krebsneuerkrankung bei Männern
Das Prostatakarzinom ist in Deutschland die häufigste Krebsneuerkrankung bei Männern. Sie macht rund ein Viertel der Neudiagnosen aus. Schätzungen gehen von ca. 61 000 Neuerkrankungen im Jahr 2018 aus. Auch wenn etwa 75 % der Tumoren in einem frühen Stadium diagnostiziert werden, so stellte das Prostatakarzinom doch mit 11,3 % aller Sterbefälle im Jahr 2014 nach Lungenkrebs die zweithäufigste krebsbezogene Todesursache bei Männern dar.
Besteht der Verdacht auf ein Prostatakarzinom, wird entweder ambulant oder stationär eine Prostatabiopsie durchgeführt. Diese erfolgt in der Regel per transrektaler oder transperinealer Ultraschallbiopsie. Hierzu wird eine Ultraschallsonde eingeführt und beim Erreichen des verdächtigen Areals werden Biopsienadeln ausgelöst. Bei der nun untersuchten Strategie der Anwendung der Fusionsbiopsie geht der Prostatabiopsie immer eine bildgebende Darstellung der Prostata mittels multiparametrischer Magnetresonanztomografie (mpMRT) voraus. Die so gewonnenen Bilder werden zunächst bewertet; gegebenenfalls wird dann in den verdächtigen Arealen eine Biopsie durchgeführt. Durch die Fusionierung der MRT-Bilder mit den Echtzeit-Ultraschallbildern bei der eigentlichen Biopsie können die verdächtigen Areale sehr gezielt biopsiert werden.
Bürgeranfrage war Ausgangspunkt des Berichts
Ausgangspunkt des jetzt vorliegenden vorläufigen HTA-Berichts war die im Rahmen des ThemenCheck Medizin gestellte Frage eines Bürgers, ob die Anwendung der Fusionsbiopsie die transrektale Ultraschallbiopsie als Erstbiopsie bei Verdacht auf ein Prostatakarzinom ersetzen kann.
Mit dieser Frage verbindet sich die Hoffnung, dass die Anwendung der Fusionsbiopsie als Erstbiopsie behandlungsbedürftige Prostatakarzinome frühzeitiger entdecken und unnötige Biopsien vermeiden kann. Die Fusionsbiopsie könnte so nicht nur die Gefahr an einem Prostatakarzinom zu versterben vermindern, sondern auch das Risiko, aufgrund einer Biopsie unerwünschte Ereignisse zu erleiden.
Keines der Verfahren weist eindeutige Vorteile auf
Die im Rahmen des ThemenCheck Medizin vom IQWiG beauftragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Essener Forschungsinstituts für Medizinmanagement, in Kooperation mit weiteren externen Sachverständigen, konnten für die Bewertung des Nutzens der Fusionstherapie drei randomisierte kontrollierte Studien (randomized controlled trials = RCTs) einschließen und auswerten.
Hinsichtlich der patientenrelevanten Endpunkte „Mortalität“, „schwerwiegende unerwünschte Ereignisse“, „gesundheitsbezogene Lebensqualität“, „Anzahl der Behandlungen“ sowie „Anzahl der Rebiopsien“ zeigten sich in diesen RCTs keine statistisch signifikanten Unterschiede.
Für den alleinigen Endpunkt „vermiedene Biopsien“ zeigte sich allerdings in einer internationalen multizentrischen Studie ein Effekt: Bei 28 % der Männer wurde aufgrund der vorgelagerten mpMRT keine Biopsie durchgeführt. Dies wird zwar als Vorteil gesehen; dieser ist aber nur von einem wirklichen Nutzen für den Patienten, wenn durch die vermiedene Biopsie kein klinisch signifikantes Prostatakarzinom übersehen wird.
Um aber das Risiko falsch negativer Befunde abschließend beurteilen zu können, sind nach Ansicht des Essener Wissenschaftlerteams weitere Untersuchungen im Rahmen qualitativ hochwertiger Studien notwendig. Diese sollten alle patientenrelevanten Endpunkte berücksichtigen sowie einen längeren Nachbeobachtungszeitraum haben als die vorliegenden drei RCTs. Derzeit leiten die Sachverständigen deshalb auch für den Endpunkt „vermiedene Biopsien“ keinen Hinweis auf einen Nutzen einer Anwendung der Fusionsbiopsie ab – trotz des vorliegenden Effekts.
Damit ergibt sich bezogen auf die patientenrelevanten Endpunkte kein Anhaltspunkt für einen (höheren) Nutzen oder (höheren) Schaden der Fusionsbiopsie im Vergleich zur transrektalen Ultraschall-Biopsie.
Auch hinsichtlich ethischer, rechtlicher, sozialer und organisatorischer Aspekte sind laut Aussage der Expertinnen und Experten keine deutlichen Argumente zugunsten einer der Technologien zu erkennen.
Das IQWiG bittet um Stellungnahmen
Zu diesem vorläufigen HTA-Bericht bittet das IQWiG bis zum 10.07.2020 um Stellungnahmen. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Health-Technology-Assessment (kurz: HTA) aus dem durch Gesetzesauftrag 2016 gestarteten IQWiG-Verfahren „ThemenCheck Medizin“. Stellungnahmen können alle interessierten Personen, Institutionen und Gesellschaften abgeben. Gegebenenfalls wird eine wissenschaftliche Erörterung zur Klärung von weitergehenden Fragen aus den schriftlichen Stellungnahmen durchgeführt. Die Anhörung kann zu Änderungen und/oder Ergänzungen des vorläufigen HTA-Berichts führen.
Bürger fragen, Wissenschaftler antworten
Zu den Besonderheiten von „ThemenCheck Medizin“ gehört, dass die Fragestellungen der Berichte immer auf Vorschläge aus der Bevölkerung zurückgehen. Das IQWiG sammelt diese und wählt pro Jahr bis zu fünf Themen aus. Ein Auswahlbeirat bringt dabei die Bürger- und Patientensicht mit ein, ein Fachbeirat die Expertenperspektive.
Die HTA-Berichte werden nicht vom IQWiG selbst verfasst, sondern von beauftragten externen Sachverständigen. Deren Bewertung wird gemeinsam mit einer allgemein verständlichen Kurzfassung (HTA kompakt) und einem Herausgeberkommentar des IQWiG veröffentlicht.
Das IQWiG ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht. Wir informieren laufend darüber, welche Vor- und Nachteile verschiedene Therapien und Diagnoseverfahren haben können
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