Die Sandmücke ist in Süddeutschland auf dem Vormarsch
Die gelernte Krankenschwester, die Biotechnologie und später Global Health studierte, hatte stets eine klare Devise: „Wenn ich promoviere, dann nur mit einem Thema, das mich richtig inspiriert und herausfordert.“ Ein solches hat Sandra Oerther mit den Sandmücken gefunden. 1999 wurden Exemplare erstmals in Deutschland entdeckt. Die Fundorte befinden sich vor allem in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz. Jetzt scheinen sie sich im Zuge des Klimawandels auszubreiten. Damit könnten auch bislang unbekannte Krankheiten in der Region Einzug halten.
Sicher ist schon jetzt, dass sich die Lebensbedingungen für die Sandmücken dank steigender Jahresmitteltemperaturen und warmer Sommernächte beträchtlich verbessert haben.
In den Jahren 2015 bis 2020 gingen der Doktorandin ungefähr 150 Individuen in die Falle. Gefunden wurden die Sandmücken an allen bereits bekannten Orten sowie 15 zusätzlichen. „Sie sind weiter verbreitet als bisher angenommen“, bilanziert sie ihre Ergebnisse, „und wo sie einmal waren, findet man sie in der Regel wieder.“
Das Forschungsgebiet von Sandra Oerther ist dabei ebenso spannend wie knifflig. Denn die Lebensweise der Sandmücke (griechisch Phlebotominae, „phlebos“ für Vene und „tome“ für Schnitt) ist speziell. Sie leben in meist unbewohnten, lehmgestampften, alten und naturbelassenen Gebäuden wie Ställen, Scheunen oder Einbuchtungen im Gestein wie dem Isteiner Klotz. Gemeinsam haben diese Orte, dass sie windgeschützt sind und in der Regel eine höhere Luftfeuchtigkeit aufweisen als die Umgebung.
Die nachtaktive weibliche Sandmücke ist ein so genannter Pool-Sauger, das heißt, der Stich dauert etwa drei bis fünf Minuten und dabei entsteht ein kleines Loch; das entstandene Reservoir aus Blut und Lymphe wird dann von ihr aufgesaugt.
Aktiv ist sie in den Monaten von Ende Juni bis August. Die Eier, werden an feuchten Stellen auf dem Erdboden oder auch Gemäuerritzen abgelegt. Im Gegensatz zu den Stechmücken (Familie Culicidae) brauchen Phlebotomen-Weibchen nicht zwingend eine Blutmahlzeit, um Eier legen zu können. Zur Ernährung werden meist Zucker oder Pflanzensäfte bevorzugt.
Wie bei allen blutsaugenden Insekten geht auch bei der Sandmücke die größte Gefahr von ihrer Rolle Funktion als Überträgerin von Viren, Bakterien und Parasiten aus. Sandra Oerther hat bei ihren Untersuchungen neben den Phleboviren (unter anderem das Toskana-Virus) vor allem die Leishmaniose in den Blick genommen.
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation liegt die Zahl der Neuerkrankungen an Leishmaniose bei jährlich rund zwei Millionen Menschen weltweit. Hierbei werden von Parasiten, den sogenannten Leishmanien, im Körper von Menschen, aber auch Hunden, Katzen oder Pferden Gewebeschäden angerichtet. Je nach Art und Schweregrad der Erkrankung können Leishmanien neben Haut und Schleimhaut auch Milz, Leber, Knochenmark sowie Lymphknoten schädigen. Der Schweregrad der Erkrankung und das Krankheitsbild richten sich nach Erregerart, Schwere des Befalls und Abwehrkraft der Infizierten. Die Leishmaniose zeigt bei Mensch und Tier meist unterschiedliche Krankheitsbilder.
Die Erreger sind schon da. Etliche aus Südeuropa nach Deutschland gerettete Hunde sind an Leishmaniose erkrankt. Zumindest theoretisch könnten sie via Sandmücken den Erreger übertragen. Aber auch beim Menschen gab es in Deutschland in den letzten Jahren bereits einige Fälle, sowohl importierte als auch Fälle, von denen ein Auslandsaufenthalt nicht bekannt war.
Bei den Untersuchungen von Sandra Oerther gab es zumindest einen Grund zur Entwarnung. Es wurden von ihr bislang nur Sandmücken der Art Phlebotomus mascittii entdeckt. Und die wiederum sind zur Fortpflanzung nicht unbedingt auf eine Blutmahlzeit angewiesen. Schlecht für die Leishmanien, die nur dann übertragen werden, wenn eine Sandmücke erst einen infizierten Wirt und dann einen Gesunden sticht. Was aber heute schon übertragen werden könnte, sind Viren. Das Toskana-Fieber beispielsweise – eine grippeähnliche Erkrankung, die zu Hirnhautentzündung führen kann.
„Wenn“, so die Forscherin, „neu auftretende Krankheitserreger frühzeitig erkannt werden und der Modus der Übertragung bekannt ist, können präventive Kontrollmechanismen besser entwickelt, untersucht und umgesetzt werden.“ Derzeit können nur die gängigen Mittel des Mückenschutzes empfohlen werden.
„Eine wirksame, interdisziplinäre Zusammenarbeit wird entscheidend sein, um solchen Bedrohungen der Gesundheit in Zukunft begegnen zu können“, sagt die Geschäftsführerin der Klaus Tschira Stiftung, Beate Spiegel. „Wir freuen uns“, so Spiegel weiter, „dass wir damit einen interdisziplinären Ansatz in der Forschung zum Wohle der Menschen fördern können.“
Antragsteller waren das Institut für Dipterologie und die Gesellschaft zur Förderung der Stechmückenbekämpfung in Speyer sowie die Universität Heidelberg.
Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940-2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de
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