Erste detaillierte Einblicke in den Geburtsvorgang bei Nashörnern verbessern Geburtsprognose, -begleitung und -hilfe in zoologischen Gärten
Die Erzeugung von Nachkommen ist für langsam reproduzierende Arten wie Nashörner mit einem enormen zeitlichen Aufwand verbunden. Ein Reproduktionszyklus beim Nashorn beinhaltet einen 4- bis 6-wöchigen Brunstzyklus, 16 Monate Trächtigkeit und bis zu 6 Monate Stillzeit. Ein Reproduktionszyklus dauert somit 1,5 bis 2,5 Jahre – einer der längsten bei landlebenden Säugetieren. Die Geburt eines lebenden und gesunden Kalbes ist daher ein wichtiges Ereignis, da sie sicherstellt, dass die vom Weibchen investierte Zeit und Energie nicht in letzter Minute verloren gehen. „Die Geburt sowie die Zeit kurz davor und danach stellen das Nadelöhr des Fortpflanzungszyklus dar. Dies sind die Schlüsselmomente, die eine neue Generation etablieren und das langfristige Überleben der Art sichern“, sagt der Nashornspezialist Prof. Robert Hermes von der Abteilung für Reproduktionsmanagement des Leibniz-IZW. „Auch wenn die Geburt eines lebenden Kalbes bei Arten mit langen Reproduktionszyklen von so herausgehobener Bedeutung ist, waren wesentliche Abläufe einer Nashorngeburt bislang wenig dokumentiert und Prognosen des Geburtsverlaufes fast unmöglich.“
Aus diesem Grund erforschte ein Wissenschaftlerteam des Leibniz-IZW zusammen mit Zootierärztinnen und Zootierärzten aus sechs europäischen Zoos die letzte Phase des Reproduktionszyklus, quasi dessen Achillesferse – die Geburt. Zur besseren Vorhersage der Geburt zeichneten sie bei 19 trächtigen Breitmaulnashörnern die zeitlichen Abläufe für die Entwicklung des Euters vor der Geburt, die Genitalschwellung, die Milchproduktion, Auffälligkeiten im Verhalten und die Abnahme des trächtigkeitssteuernden Hormons Progesteron sowie die Trächtigkeitsdauer auf. Der Beginn der Geburt, die verschiedenen Geburtsstadien, das Platzen der Fruchtblase, die Position des Fötus bei der Geburt und wichtige Meilensteine des Kalbes nach der Geburt wurden ebenfalls aufgezeichnet, um den Ablauf und die Konsequenzen einer normal verlaufenden Geburt medizinisch besser beurteilen zu können.
„Die Geburt eines Breitmaulnashornkalbes nach 16 Monaten und 3 Wochen Trächtigkeit dauerte im Durchschnitt 7 Stunden und 38 Minuten“, so Hermes. „Die Wehen sind bei den meisten Nashörnern schwer erkennbar und können für unerfahrene Beobachter sogar gänzlich unerkannt bleiben. Der letzte Teil der Nashorngeburt ist besser sichtbar, beginnt mit dem Platzen der Fruchtblase zwei Stunden vor Geburt und endet mit dem Herauspressen des Kalbes aus dem Leib der Mutter in weniger als 25 Minuten.“ Wenn Nashornkälber mit dem Kopf voran geboren wurden (84 Prozent der registrierten Geburten), dauerte diese letzte Phase sogar weniger als 10 Minuten. Wenn das Kalb mit den Hinterfüßen zuerst geboren wurde, konnte sie allerdings auch bis zu 45 Minuten dauern. „Eine sehr schnelle Austreibung des Fötus, der zwischen 40 und 70 Kilogramm wiegt, ist vermutlich wichtig, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit von Raubtieren zu erregen“, schließt Hermes. Es dauerte etwa eine Stunde, bis das Kalb aufstand, und etwa 3,5 Stunden, bis es zum ersten Mal gestillt wurde. Abweichungen von diesem Normalverlauf können auf Geburtskomplikationen hinweisen, die einen geburtshilflichen Eingriff erfordern.
Jede sechste Geburt bei Panzer- und Breitmaulnashörnern in Zoos führte bisher zu Totgeburten oder zum Ableben des Nachwuchses direkt nach der Geburt. Dennoch gab es bisher nur wenige Einzelberichte über Geburtsverläufe, Schwergeburten oder Totgeburten. Aus diesem Grund sind die jetzt gesammelten umfassenden Daten von grundlegender Bedeutung, um Schwergeburten, drohenden Sauerstoffmangel des Nashornkalbes während der Geburt, perinatale Störungen des Neugeborenen oder mangelndes Aufzuchtverhalten des Muttertieres rechtzeitig diagnostizieren zu können. „Die Ergebnisse unserer Untersuchung werden den Betreuern von Nashornpopulationen in menschlicher Obhut helfen, Geburten besser vorherzusagen und gegebenenfalls Geburtshilfe zu leisten, um die derzeit hohen Totgeburten- und perinatalen Sterberaten zu senken“, sagt Hermes.
Publikation
Hermes R, Göritz F, Wiesner M, Richter N, Mulot B, Alerte V, Smith S, Bouts T, Hildebrandt TB (2020): Parturition in white rhinoceros. Theriogenology. https://doi.org/10.1016/j.theriogenology.2020.06.035
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Alfred-Kowalke-Str. 17
10315 Berlin
Telefon: +49 (30) 51680
Telefax: +49 (30) 5126104
http://www.izw-berlin.de
Wissenschaftler in der Abteilung für Reproduktionsmanagement
Telefon: +49 (30) 5168448
E-Mail: hermes@izw-berlin.de
Wissenschaftskommunikation
Telefon: +49 (30) 5168121
E-Mail: zwilling@izw-berlin.de
Pressereferentin
Telefon: +49 (30) 6392-3337
Fax: +49 (30) 6392-3333
E-Mail: wirsing@fv-berlin.de