Innovative Hämophiliebehandlung – Paul-Ehrlich-Institut entwickelt verbesserten Standard für die Wirksamkeitsbewertung
Das therapeutische Spektrum für Hämophiliepatienten wächst: Neue biomedizinische Arzneimittel wie modifizierte Gerinnungsfaktoren, antikörperbasierte Therapien und Gentherapeutika befinden sich in der Entwicklung und auf dem Weg zur Marktzulassung. Eine wesentliche Voraussetzung für die Bewertung der Sicherheit und Wirksamkeit neuer Therapeutika und damit auch für eine zuverlässige Nutzen-Risiko-Bewertung sind geeignete Messparameter zur Erzielung valider Behandlungsergebnisse in den klinischen Prüfungen.
Die Wirksamkeit etablierter Gerinnungsfaktorpräparate wird über die Bestimmung der Faktorspiegel im Blut in Verbindung mit dem Krankheitsverlauf definiert. Darüber lassen sich die neuen innovativen Therapeutika jedoch oftmals nicht bewerten, da sie an anderen Stellen in die Gerinnungskaskade eingreifen Zunehmend wird für die Bewertung der Wirksamkeit als sogenannter klinischer Endpunkt die auf ein ganzes Jahr berechnete Blutungsrate (Annualised Bleeding Rate, ABR) der Patienten verwendet.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Abteilung Hämatologie/Transfusionsmedizin des Paul-Ehrlich-Instituts haben jetzt untersucht, ob und in welchem Maße sich die Methoden zur Bestimmung der jährlichen Blutungsrate für verschiedene Produkte und Produktklassen unterscheiden und welche Konsequenzen dies hat. Das Paul-Ehrlich-Institut, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, ist in Deutschland für die Sicherheit von Blut und Blutprodukten sowie für innovative Therapeutika wie Zell- und Gentherapeutika zuständig und hat durch seine regulatorische Tätigkeit in der Entwicklung und Zulassung von Hämophilieprodukten Zugang zu umfangreichen klinischen Daten. Für die Analyse von Blutungsraten erfassten und strukturierten die Forschenden diese Studiendaten in einer internen Datenbank. Zusätzlich untersuchten sie die klinischen Studienprotokolle auf methodische Unterschiede in der ABR-Bestimmung und bei der Definition von Blutungen.
Das Expertenteam um Dr. Christine Keipert und Dr. Mirco Müller-Olling unter Leitung von Dr. Anneliese Hilger konnte zeigen, dass sich die Definitionen von Blutungen und die ABR-Beobachtungszeiträume in klinischen Studien erheblich unterscheiden. In frühen Beobachtungsphasen variierten individuelle Blutungsraten von prophylaktisch behandelten Patienten um etwa 40 Prozent (p<0.01). Dies allein führt, in Abhängigkeit von der Beobachtungsdauer, zu einer deutlichen Reduktion des ABR-Gruppenmittelwerts um 20 Prozent (p<0.05). Diese und weitere Analysen zeigen, dass heterogene Definitionen von Blutungen und Blutungsraten zu einer systematischen Verzerrung führen, was den Vergleich verschiedener Behandlungsoptionen erschwert.
Um diese Verzerrungen zu vermeiden und eine zuverlässige Nutzenbewertung auf Basis von Wirksamkeitsdaten zu ermöglichen, hat das Expertenteam des Paul-Ehrlich-Instituts Empfehlungen formuliert. Dazu gehören beispielsweise die Verwendung standardisierter Blutungsdefinitionen sowie die ärztliche Überwachung von Blutungsepisoden. Zudem sollte ein Beobachtungszeitraum mindestens zwölf Monate umfassen und die eingesetzten statistischen Modelle sollten sorgfältig geprüft werden. "Diese und weitere Empfehlungen ermöglichen eine zuverlässigere Bewertung der Wirksamkeit verschiedener Therapeutika und dies nicht nur in der Hämophilie, sondern auch bei anderen Blutgerinnungsstörungen", sagt die Leiterin der Abteilung "Hämatologie und Transfusionsmedizin", Dr. Anneliese Hilger, und fordert die Entwickler zur Umsetzung dieser Empfehlungen auf.
Originalpublikation
Keipert C, Müller-Olling M, Gauly F, Arras-Reiter C, Hilger A (2020): Annual Bleeding Rates: Pitfalls of Clinical Trial Outcomes in Hemophilia Patients.
Clin Transl Sci May 30 [Epub ahead of print].
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