Nächste Runde im Stuttgarter Justiz-Skandal: Diesel-Richter Reuschle vom OLG für befangen erklärt
Reuschle wollte Diesel-Abgasskandal von Daimler ans EuGH bringen
Im Kern des Skandals steht die Daimler AG und der als Schrecken der Automobilindustrie bekannt geworden Dr. Fabian Richter Reuschle. Reuschle wollte im November 2019 im Diesel-Abgasskandal 21 Verfahren gegen die Daimler AG zusammenfassen und dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zur Vorabentscheidung vorlegen. Er beabsichtigte unter anderem klären zu lassen, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, ob Verbraucher Nutzungsentgelt an die Autobauer zu zahlen haben und ob der Motor tatsächlich geschützt werden muss. Daimler-Anwälte haben daraufhin gegen Reuschle Befangenheitsanträge gestellt – über die noch nicht entschieden worden sind. Das OLG Stuttgart hat aktuell Reuschle in einem anderen Daimler-Verfahren für befangen erklärt. Im vergangenen Jahr war es bereits VW gelungen, Reuschle von VW-Verfahren abziehen zu lassen, in dem sie ihn für befangen haben erklären lassen – unter anderem deshalb, weil seine Frau im Diesel-Abgasskandal gegen VW juristisch vorgeht. Darauf bezog sich unter anderem auch das OLG Stuttgart.
Doch zurück zu den 21 Reuschle-Verfahren. In der Kammer, die über die Befangenheitsanträge der Daimler-Anwälte entscheiden sollte, saß ein Jurist, der vor seiner Zeit als Richter für die Kanzlei Gleiss Lutz tätig war, die Daimler aktuell in einigen der Reuschle-Verfahren vertritt. Der daraufhin von der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer gestellte Befangenheitsantrag gegen diesen Richter ist in erster Instanz mit einer unglaublichen Begründung abgelehnt worden. Die Verbraucher-Kanzlei hat dabei den Eindruck gewonnen, dass am Landgericht Stuttgart eine Nähe zwischen Richtern und Lobbyisten-Kanzlei gewachsen ist, die über das hinausgeht, was ein Rechtsstaat ertragen kann. Wörtlich heißt es: „Bei der Größe des Konzerns und der Kanzlei, der gemeinsamen juristischen Ausbildung von Richtern und Anwälten, der gewünschten „Durchlässigkeit" der Berufszweige und der erforderlichen Zusammenarbeit der Organe der Rechtspflege sind persönliche Kontakte aller Richter des Landgerichts Stuttgart zu Mitarbeitern der Beklagten auf privater Ebene und zu Anwälten aus der Kanzlei Gleiss Lutz auf professioneller Ebene eher die Regel als die zu einer Befangenheit führende Ausnahme.“
Sorge um die Unabhängigkeit der Justiz wächst weiter an
Der Justiz-Skandal in Stuttgart passt sich nahtlos in eine ganze Reihe von Ungereimtheiten rund um den Diesel-Abgasskandal. Der Eindruck, dass sich Lobbyisten nicht nur in der Politik, sondern auch in der Justiz breitmachen, ist kaum noch von der Hand zu weisen. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer fasst einige Beispiele zusammen, die die Befürchtungen leider unterstreichen.
- Der Fall Häfner: Der Präsident des Oberlandesgerichts Dresden Gilbert Häfner hat am 9. April 2020 in einem Schreiben seinen Behördenkollegen der zweiten Instanz empfohlen, VW-Verfahren „zurückzustellen“ und Kanzleien, die versuchen, Verbrauchern zu ihrem Recht zu verhelfen, indirekt kritisiert. Auch rät er dazu, eine ablehnende Haltung gegenüber einer „Chance der vollen Rückzahlung des Kaufpreises ohne jeden Abzug für eine – auch jahrelange – Nutzung des Fahrzeugs“ deutlich zum Ausdruck zu bringen. Gerade der Hinweis auf das Nutzungsentgelt zeugt nicht von Unabhängigkeit. Hier denkt Häfner eher an das Wohl von VW-Aktionären, Vorständen und Aufsichtsräten.
Im Übrigen spielt es keine Rolle, dass das Schreiben Häfners im Vorfeld des ersten VW-Verfahrens vor dem BGH verschickt wurde. Natürlich türmen sich die Verfahren gegen VW an deutschen Gerichten. Natürlich warteten alle Instanzen auf eine erste Entscheidung. Der BGH ächzt unter einer Flut von Revisionen. Aber die Klagen werden nicht aus Jux und Tollerei eingereicht, sondern weil Verbraucher betrogen worden sind. Hier steht der Rechtsstaat beim Bürger in der Pflicht – und zwar zu handeln und nicht zu warten. Für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH ist das Schreiben von Häfner völlig inakzeptabel. Die Kanzlei lehnt daher alle Richter am OLG Dresden in Diesel-Verfahren wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der entsprechende Antrag ging am 26. Juni 2020 ans OLG (Az. 9 U 2390/19).
- Richter Martin Borowsky zweifelt an BGH-Urteil: Der Fall des Präsidenten Gilbert Häfner vom Oberlandesgericht Dresden ist durch den Richter am Landgericht Erfurt, Martin Borowsky, ans Tageslicht der Öffentlichkeit gekommen. Borowsky hatte seine Bedenken über Entwicklungen in der deutschen Justiz in einem Beschluss vom 15. Juni 2020 zum Ausdruck gebracht (Az. 8 O 1045/18). Zum einen lässt der Erfurter Richter das erste VW-Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. VI ZR 252/19) vom Europäischen Gerichtshof auf dessen europarechtliche Konformität überprüfen. Borowsky hält den vom BGH gewährten sogenannten Vorteilsausgleich (Nutzungsentschädigung für VW) für europarechtswidrig. Ein solcher Ausgleich bedeute in letzter Konsequenz, dass VW umso weniger Sanktionen zu befürchten habe, je länger sich der Rechtsstreit hinziehe. "Mithin könnte ein starker Anreiz entstehen, die Rechtsverletzung gleichwohl zu begehen und die Anspruchserfüllung ungehörig zu verzögern", fasst der Richter seine Bedenken zusammen. Das verstoße gegen den Effektivitätsgrundsatz und die EU-Grundrechtecharta.
- Wie unabhängig ist die Justiz: Zum anderen verlangt der Erfurter Landrichter Martin Borowsky durch den EuGH die Klärung, ob es sich bei dem vorlegenden Gericht um ein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne der Charta der Grundrechte der Europäischen Union handle. Er zweifelt also seine eigene Unabhängigkeit an. In Deutschland seien Richter und Gerichte nicht vollständig sicher vor politischer Einflussnahme, wird Borowsky im Verfassungsblog von Maximilian Steinbeis zitiert. Über juristische Karrieren werde politisch entschieden, genauso über Planstellen und deren finanzielle und personelle Ausstattung. „Die aus vordemokratischer Zeit stammende Justizstruktur setzt einer politischen Instrumentalisierung keine ausreichenden Hindernisse entgegen.“
- Im Dieselskandal ist der Staat direkt involviert. VW gehört zu großen Teilen dem Land Niedersachsen. Da ist es nicht verwunderlich, dass an den Gerichten in Braunschweig (Gerichtsstandort von Volkswagen) eine Haftung von VW stets verneint worden ist. Erst vor wenigen Tagen hat das Landgericht Braunschweig zähneknirschend und uneinsichtig seine Position Der BGH hatte in seinem ersten VW-Urteil die Argumente aus Braunschweig mit keiner Silbe erwähnt. Ein Armutszeugnis für die dortigen Juristen. Ende Juli werden zwei VW-Verfahren aus Braunschweig in Karlsruhe verhandelt. Das könnte bitter für die VW-affinen Richter enden.
- Auch die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer kann die Befürchtungen des Erfurter Richters nur unterstreichen. Die Kanzlei-Inhaber haben für den Verbraucherzentrale Bundesverband vzbv die Musterfeststellungsklage (MFK) gegen VW mit angeführt. Natürlich fanden die Verhandlungen am Oberlandesgericht Braunschweig statt. Gerichtsstandort ist nach dem Gesetz zur Musterfeststellungsklage stets der der Beklagten. Die Regelung kann ebenfalls als Indiz gewertet werden, wie weitreichend der Einfluss der Wirtschaft auf die Gesetzgebung ist. Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Braunschweig, Michael Neef, der auch schon ans niedersächsische Justizministerium abgeordnet gewesen und für Strafsachen zuständig war, zwang VW am zweiten Verhandlungstermin über die MFK in Vergleichsverhandlungen – und das obwohl das Gericht für seine VW-freundlichen Urteile bekannt war. Woher kam der Sinneswandel? Auf den Fluren des Bundestages erzählt man sich, dass der Wunsch nach Vergleichsverhandlungen von ganz oben gekommen sein soll.
Die schwierigen und einmal bereits gescheiterten Vergleichsverhandlungen mündeten in einer Mediation, die der Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig leitete. Hier konnten sich die an den Verhandlungen beteiligten Inhaber von Dr. Stoll & Sauer nicht des Eindrucks erwehren, dass der Gerichtspräsident Wolfgang Scheibel mehr VW-Fürsprecher als unabhängiger Mediator war.
- Ein weiteres Beispiel für Einflussnahme auf Gerichte zeigt das Thema Daimler und die Kosten von Gutachten über die Funktionsweise von Dieselmotoren. Der Bundesgerichtshof rügte in einem Beschluss vom 28. Januar 2020 (Az. VIII ZR 57/19), dass das Oberlandesgericht Celle (Az. 7 U 263/18) kein Gutachten eingeholt hat, um zu klären, ob die Daimler AG das Abgaskontrollsystem im Motor OM 651 mit einer Abschalteinrichtung manipuliert hat. Der Beschluss kann jetzt zur Folge haben, dass in Diesel-Verfahren vermehrt Gutachten eingeholt werden müssen, um die Vorwürfe der Verbraucher gegen die Daimler AG zu überprüfen. Doch was kostet ein solches Gutachten?
Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat die Erfahrung gemacht, dass an Landgerichten außerhalb Baden-Württembergs der Kläger 5000 Euro vorstrecken muss. In Baden-Württemberg sind am Landgericht Stuttgart in einem Fall 80.000 Euro und am Landgericht Heidelberg 30.000 Euro aufgerufen worden. Je näher man an den Daimler-Standort Stuttgart herankommt, desto teurer wird es. Auf diese Weise erhöht sich das Kostenrisiko für die Kläger und deren Rechtsschutzversicherungen enorm. Das Gutachten kommt so kaum zustande. Dabei bleibt das Recht auf der Strecke und die Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz wachsen an.
Für die Dr. Stoll & Kollegen Rechtsanwaltsgesellschaft mbH sind 14 Rechtsanwälte auf dem Gebiet des Bankrechts, des Kapitalmarkrechts und hiermit eng verknüpfter Rechtsgebiete tätig. Diese Spezialisierung wird auch durch Fachanwaltschaften dokumentiert. Kanzleigründer und Geschäftsführer Dr. Ralf Stoll sowie weitere Rechtsanwälte sind Fachanwälte für Bank- und Kapitalmarktrecht. Geschäftsführer und Rechtsanwalt Ralph Sauer ist als Insolvenzverwalter sowie Treuhänder tätig und ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht. Die Kanzlei wird auch von Diplomvolkswirt und Steuerberater Alfred Himmelsbach beratend unterstützt, welcher über langjährige Erfahrung in der Beratung von mittelständischen Betrieben und Weltkonzernen verfügt.
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