Finanzen / Bilanzen

Lieber vor der Haustür produzieren?

Die Corona-Pandemie zeigt, wie schnell Lieferketten unterbrochen werde können. Um Risiken zu begrenzen, werden Unternehmen versuchen, ihre Bezugsquellen zu diversifizieren. „Es ist zwar nicht zu erwarten, dass China seine Position als globaler Lieferant verlieren wird, aber den mittel- und osteuropäischen Ländern könnten sich Chancen auf einen höheren Anteil an globalen Lieferketten eröffnen“, meint Grzegorz Sielewicz, Volkswirt beim Kreditversicherer Coface für Mittel- und Osteuropa (MOE).

Mit gut ausgebildeten Arbeitskräften, der Nähe zu Westeuropa, niedrigen Arbeitskosten, einer relativ guten Infrastruktur und einem stabilen Geschäftsumfeld hat die MOE-Region bereits seit Jahren Investitionen aus dem Ausland angezogen. Jetzt versuchen etliche Länder, nicht in der unteren Wertschöpfungskette der Produktion zu bleiben. „Weitere Automatisierung und Digitalisierung sind Schlüsselthemen, um bei gesteigerter Produktivität wettbewerbsfähig zu bleiben“, erklärt Grzegorz Sielewicz.

Die MOE-Länder könnten nicht nur von der verarbeitenden Industrie – vor allem der Automobilindustrie – profitieren, sobald diese den Corona-Schock und die konjunkturellen Schwächen überwunden hat. „Mittelfristig werden die MOE-Automobilunternehmen von ihrer Wettbewerbsfähigkeit, den in den Vorjahren getätigten Investitionen und Produktionskapazitäten profitieren“, erwartet der Coface-Volkswirt, „insbesondere dann, wenn sie sich an die strukturellen Veränderungen in der Branche anpassen.“ Die Länder wären aber auch in der Lage, die Verlagerung anderer Industrien anzuziehen. „Dazu könnte die Produktion von Elektro- und Elektronikgeräten gehören. Potenzial besteht auch bei Maschinen, Chemikalien sowie bei Transport und Lagerung“, listet Grzegorz Sielewicz einige Branchen auf. Er ist sicher, dass sich die Region rasch an die Nachfrage anpassen könnte. Wenn die Länder weiter in Digitalisierung investieren, könnten auch die Dienstleistungssektoren, insbesondere im Baltikum und in den am weitesten entwickelten MOE-Ländern einschließlich Tschechien, Ungarn, Polen, Slowakei und Slowenien profitieren.

Insgesamt, heißt es in einer aktuellen Studie von Coface, bleibe die MOE-Region wettbewerbsfähig. Die Produktionsanlagen seien relativ modern oder wurden vor kurzem modernisiert. Durch die Kofinanzierung aus EU-Mitteln werde die Infrastruktur unterstützt. „Eine höhere Produktivität bei gleichzeitiger Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit dürfte weitere Zuflüsse ausländischer Investitionen nach MOE fördern und die Entscheidungen über potenzielle Produktionsverlagerungen in die Region unterstützen“, sagt Grzegorz Sielewicz. Während die MOE-Kernländer bereit seien, Investitionen anzuziehen, die sie in der Wertschöpfung nach oben bringen könnten, könnten die Balkanländer von Sektoren mit geringerer Wertschöpfung ausgewählt werden, darunter die Agrar- und Ernährungswirtschaft, die Textilindustrie oder im weiteren Sinne die Montage von Produkten aus importierten Komponenten.

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