Logistik

Einzelhändler befürchten Pleitewelle

Während vor allem Onlinehändler und Supermärkte während der Corona-Krise über gute Geschäfte berichten, sieht die Lage im stationären Einzelhandel, vor allem in den Innenstädten, düster aus.                                                                                                       

Menschenleere Schmuck- und Uhrengeschäfte und Modeläden, in denen die Kleidung wie Blei in den Regalen liegt. Mehr als jeder dritte Einzelhändler außerhalb der Lebensmittelbranche sieht sich wegen der Virus-Pandemie in seiner Existenz bedroht. Nach wie vor kommen deutlich weniger Kunden als vor der Coronakrise in die Geschäfte, stellt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes HDE, fest.

Schon Ende März ging der deutsche Modekonzern Esprit in die Schutzschirm-Insolvenz, Anfang Juni meldet eine Tochterfirma der Hamburger Tom Tailor Holding Insolvenz an, Ende Juni war es die deutsche Tochter der Modekette Gina Tricot, die Insolvenz anmeldete. Es sind nur drei der bekanntesten, größten Namen, die seit Beginn der Coronakrise in finanzielle Schieflage gerieten. Dabei sind die Modehändler, die von einer Insolvenzwelle erfasst werden, nur eine Sparte des Einzelhandels, bei dem wohl unzählige Unternehmen ums Überleben kämpfen. Denn im Bereich des Nicht-Lebensmittelhandel hält der Handelsverband Deutschland (HDE) Insolvenzen im Bereich von 10.000 bis zum Jahresende für möglich.

Nach jahrelangem Umsatzwachstum droht dem deutschen Einzelhandel durch die Coronakrise der stärkste wirtschaftliche Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Der HDE rechnet für dieses Jahr mit einem Rückgang der Erlöse von 40 Milliarden Euro im Bereich außerhalb des Lebensmittelhandels und insgesamt einem Umsatzminus von vier Prozent für den Einzelhandel.

Insolvenzwelle Ende des Jahres

Unter Verweis auf die wegen der Pandemiefolgen bis Ende September ausgesetzte Pflicht zum Antrag auf Insolvenz sagte der HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth: „Wir müssen leider davon ausgehen, dass eine Insolvenzwelle erst später zu erwarten ist – also letztendlich zum Jahresende.“

Eine bundesweite Umfrage unter 400 Unternehmen zeige, dass die Hälfte der Nicht-Lebensmittelhändler aktuell weniger als 75 Prozent des Vorjahresumsatzes erzielten. Ein Drittel der Befragten gebe an, dass im Vergleich zum Vorjahr maximal halb so viele Kunden zum Shopping unterwegs seien.

Vor allem der Blick nach vorne mache dem Verband Sorgen, so Genth. Für die Zukunft sehen knapp 80 Prozent der Händler schwarz. Sie rechnen damit, dass es als Folge der Corona-Krise eine Insolvenzwelle in der Branche geben und sich damit das Bild der Innenstädte verändern wird. Der Verband fordert, die von der Bundesregierung angekündigten Überbrückungshilfen für Unternehmen müssten so rasch wie möglich beschlossen und umgesetzt werden.

Gleichzeitig warnt Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing vor „Zombieunternehmen“. „Wenn jedes sechste Unternehmen in Deutschland durch Rettungsgelder und faktisch ausgesetzte Insolvenz- meldungen ein Zombie wird, dann hat das gravierende Auswirkungen auf die Produktivität unserer Volkswirtschaft.“ Der Hintergrund seiner Aussage: Firmen, die eigentlich pleite sind, dürfen jetzt auf einen Insolvenzantrag verzichten. Mitarbeiter, die keine Arbeit haben, bleiben dank verlängertem Kurzarbeitergeld zwei Jahre auf der Gehaltsliste. So entstehen Zombieunternehmen, die aufgrund eines unprofitablen Geschäftsbetriebes nicht in der Lage sind, ihre Zinsen zu zahlen. Die Geldhäuser rechnen mit einer instabilen Situation über Jahre: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Wirtschaft in einigen Bereichen nur mit 90, 80 oder gar 70 Prozent ihrer Kapazität läuft“, erklärte der Chef von Deutschlands größtem Geldhaus.

Je länger Kurzarbeitergeld „verabreicht wird, desto eher drohen unliebsame Nebenwirkungen, weil zunehmend Betriebe mit Kurzarbeitergeld finanziert werden, die nicht mehr marktfähig sind“, meint auch das Institut für Weltwirtschaft Kiel.

Und die Auskunftei Creditreform schätzt die Zahl der verdeckt überschuldeten Unternehmen auf 550.000. Sollte die Anmeldepflicht weiter ausgesetzt bleiben, dürfte die Zahl auf 700.000 bis 800.000 Firmen steigen. „Die Insolvenzen werden derzeit nur verschoben. Dadurch könnten viele derzeit noch gesunde Firmen mit in den Abgrund gerissen werden“, ist Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter Wirtschaftsforschung bei der Auskunftei Creditreform, überzeugt.

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