Was tun, wenn Unrecht geschieht?
Zum ersten Mal führt Katharina Brankatschk, Spielleiterin am Thalia Theater Halle, Regie in Heilbronn. Für die Ausstattung ist Anja Kreher verantwortlich. Zu dieser Inszenierung gibt es ein umfangreiches theaterpädagogisches Begleitprogramm.
Zum Inhalt
Vor vielen Jahren gab es mal einen Zoo auf einem Berg. Um den Zoo herum lebten sehr, sehr viele Menschen in gestreiften Anzügen in hässlichen kleinen Häusern. Einige Menschen wohnten in schönen Häusern, sie hatten schwarze, lackglänzende Stiefel an. Zwischen dem Zoo und den Menschen stand ein summender, brummender Zaun mit Stacheldraht und Wachtürmen. Dieser Zaun war aber nicht wegen der Tiere da.
Im Zoo wohnte ein Nashorn aus Bengalen, das ganz plötzlich starb. Hatte es Heimweh? Vielleicht. Aber vor allem hat es sich in Dinge eingemischt, die es nichts angingen, erklärte Papa Pavian den anderen Zoobewohnern. Und die hatten etwas damit zu tun, was das Nashorn auf der anderen Seite des Zaunes sah.
Im Frühling bekommt der Zoo einen neuen Bewohner, einen jungen Bären, der in Sibirien eingefangen wurde. Er kommt mit dem Zug und hat eine schwere Kette um den Hals. Der Bär wundert sich über die Zweibeiner, die mit ihm zusammen aus dem Zug steigen – dürr wie Winterzweige, gestreift wie Zebras, mehr tot als lebendig. Der neue Zoobewohner stellt Fragen: Warum heizt man den Schornstein auf der anderen Seite des Zauns auch, wenn es draußen warm ist? Und weshalb gibt es keine Vögel in der Luft?
Mit seinen Fragen provoziert der junge Bär den Ärger von Papa Pavian, der sowas ist wie der Chef unter den Zoobewohnern. Der rät ihm, lieber keine Fragen zu stellen und die »Gestiefelten« und deren Kinder mit Kunststücken zu erfreuen. Denn egal, was die
»Gestiefelten« auch immer mit den »Gestreiften« anstellen, solange sie gut zu den Tieren sind, sollte man sich da lieber nicht einmischen. Aber das kann der Bär nicht.
Wie verhält man sich? Ist man Bär, also ein Mitfühlender, Denkender, den das Unglück anderer nicht kalt lässt? Oder Pavian, der Prototyp eines Egoisten, der wegschaut, solange es ihm selbst gut geht?
»Es ist kein Stück über das Konzentrationslager Buchenwald – darüber lässt sich womöglich gar kein Stück schreiben –, sondern ein Stück über die Frage: Bär oder Pavian?« (Jens Raschke)Kindgerechtes Plädoyer für Zivilcourage
Ab wann kann man Kindern vom Nationalsozialismus erzählen? In Schulen ist der Holocaust oft ab der neunten Klasse Thema. Viele Kinder fragen aber viel früher nach. »Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung«, schrieb Theodor W. Adorno in »Erziehung nach Auschwitz«. Im Weiteren schreibt er: »Spreche ich von der Erziehung nach Auschwitz, so meine ich zwei Bereiche: einmal Erziehung in der Kindheit, zumal der frühen; dann allgemeine Aufklärung, die ein geistig kulturelles und gesellschaftliches Klima schafft, das eine Wiederholung nicht zulässt, ein Klima also, in dem die Motive, die zu dem Grauen geführt haben, einigermaßen bewusst werden.«
Regisseurin Katharina Brankatschk meint, dass der Autor Jens Raschke genau die richtigen Worte und Mittel findet, um Kinder mit diesem Thema zu konfrontieren, sie aber nicht zu überfordern. Die Geschichte in eine Fabel zu kleiden, macht es möglich, hinzuschauen und sich nicht herauszuhalten. »Das Stück ist ein Plädoyer für Zivilcourage und gegen das Vergessen«, sagt Katharina Brankatschk. Zusammen mit ihrer Ausstatterin Anja Kreher hat sie die KZ-Gedenkstätte Buchenwald und den 1994 wieder freigelegten Zoo besucht. Das Bühnenbild ist von der ehemaligen Bärenburg inspiriert, von der man direkt auf das Gelände des Krematoriums blicken konnte.
Aus der Laudatio zur Verleihung des Deutschen Kindertheaterpreises an Jens Raschke 2014
»Dem Autor gelingt mit seinem Stück sowohl die überzeugende literarisch-szenisch Gestaltung eines brisanten historischen Stoffs, als auch eine Parabel auf unsere Gesellschaft, die mithilfe der Medien über den europäischen Zaun auf grausame Geschehnisse weltweit schaut und dabei ähnliche Strategien entwickelt, wie die Tiere im Zoo.Die Jury würdigt mit dem Deutschen Kindertheaterpreis 2014 ein Stück über die Folgen des Totalitarismus und über ein Dilemma unserer, von globaler Medienberichterstattung geprägten Welt. Kinder und Erwachsene werden tagtäglich mit Krieg, Tod, Folter, Flucht und Vertreibung konfrontiert. Das Stück lässt uns alle darüber nachdenken, was wir tun können, wenn auf der anderen Seite des Zauns die Menschenwürde mit Füßen getreten wird.Für das Kunststück, einen historischen Stoff in einer fiktive Geschichte zu erzählen, die unterhaltsam, lehrreich und allgemeingültig ist und dabei Mut macht hinzuschauen und sich nicht rauszuhalten, vergibt die Jury den Deutschen Kindertheaterpreis 2014 an Jens Raschke.« (Laudatio Deutscher Kindertheaterpreis 2014)
Katharina Brankatschk wurde 1981 in Bautzen geboren und wuchs in Leipzig auf. Sie studierte von 2003 bis 2007 Schauspiel an der Folkwang-Hochschule Essen. In dieser Zeit gastierte sie am Schauspiel Essen, am Düsseldorfer Schauspielhaus sowie am Theater Aachen. Anschließend gehörte sie von 2007 bis 2011 zum Ensemble des Theaters Magdeburg, wo sie u. a. mit den Regisseuren Kay Voges, Tobias Wellemeyer und Jan Jochymski zusammenarbeitete. 2010 erhielt sie den Nachwuchspreis des Fördervereins des Theaters Magdeburg. Neben ihrer Tätigkeit als Schauspielerin erarbeitete sie mehrere Inszenierungen des Magdeburger Jugendclubs. 2011 ging sie als Hausregisseurin ans Junge Theater Göttingen. Seit 2013 ist sie Spielleiterin am Thalia Theater Halle, hier inszenierte sie u. a. Sibylle Bergs »Mein ziemlich seltsamer Freund Walter«, das 2017 zum »Augenblick mal!«-Festival in Berlin eingeladen wurde und beim »Wildwechsel«-Festival in Dresden mit dem Fachjury- und dem Kinderjurypreis ausgezeichnet wurde. Jens Raschkes »Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute« ist Katharina Brankatschks erste Arbeit am Theater Heilbronn.
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