Zur Rolle von Kirche und Diakonie in Württemberg bei aktiver Sterbehilfe
Lange war das geschäftsmäßige Angebot zur aktiven Sterbehilfe laut Strafgesetzbuch verboten, bis das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 den Paragraphen 217 als nicht verfassungskonform beurteilt hat. Dieses Urteil hat tiefgreifende Fragen zum Umgang mit dem Lebensende aufgeworfen, die längst nicht beantwortet sind. Wie verhält sich das im Urteil formulierte Freiheitsrecht des Einzelnen zur christlichen Sicht von Menschenwürde und Lebensschutz? Wie soll in Pflegeheimen und Krankenhäusern künftig konkret mit geäußerten Sterbewünschen von Patientinnen und Patienten umgegangen werden?
„Die Autonomie ist ein hohes Gut, sollte aber nicht absolut gesetzt werden. Zur Unantastbarkeit der Menschenwürde gehört auch der Schutz des Lebens, gefragt ist nicht die Hilfe zum Sterben, sondern der Beistand beim Sterben“, so Oberkirchenrat Prof. Dr. Ulrich Heckel vom Dezernat 1 Theologie und weltweite Kirche im Rahmen des Expertengespräches am vergangenen Wochenende.
Die Vertreterinnen und Vertreter von Landeskirche, Diakonie und Akademie Bad Boll haben sich in einem gemeinsamen Diskurs am vergangenen Wochenende intensiv mit dem Thema assistierte Selbsttötung und den möglichen Folgen befasst. Anders als in den letzten Jahren der Diskussion um Sterbehilfe geht es nicht mehr darum, zu diskutieren, ob der Staat Suizidhilfe zulassen oder verbieten sollte – das hat das Bundesverfassungsgericht im Februar eindeutig entschieden. Jetzt geht es um das WIE. Wie kirchliche Institutionen betroffene Menschen zukünftig begleiten wollen. Und darum, wo und wie Kirche, Diakonie und Akademie beteiligt sein werden.
Initiiert wurde die Expertenrunde erstmals von drei Ethik-Beauftragten im Raum der Evangelischen Landeskirche in Württemberg: Kirchenrat Dr. Til Elbe-Seiffart vom Evangelischen Oberkirchenrat, Dr. Christiane Kohler-Weiß vom Diakonischen Werk sowie Studienleiter Dr. Dietmar Merz der Evangelischen Akademie Bad Boll.
Ausgangspunkt der Gespräche stellten Fachreferate aus juristischer und medizinischer Sicht dar, die von Dr. Katarina Weilert (FEST Heidelberg) und Dr. Michael Müller (Universitätsklinik Freiburg) beigetragen wurden. Mit Hilfe eines weiteren Referates von Prof. Dr. Matthias Zeindler (Zürich) wurden die Erfahrungen aus „35 Jahren Freitodbegleitung in der Schweiz“ in die Reflexionen einbezogen.
Im Austausch wurden aktuelle Bedürfnisse von diakonischen und kirchlichen Einrichtungen zusammengetragen und Möglichkeiten der gemeinsamen Weiterarbeit verabredet. Insbesondere steht zukünftig eine breite Beteiligung an der kirchlichen und gesamtgesellschaftlichen Diskussion im Fokus.
Zum Hintergrund
Der Bundestag hatte 2015 nach vielfältigen Expertenanhörungen, unzähligen Debatten und verschiedenen Gesetzesinitiativen geschäftsmäßige Angebote zur assistierten Selbsttötung im genannten Paragraph des Strafgesetzbuches verboten und damit gesetzlich unter Strafe gestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat am 26. Februar 2020 dieses Gesetz als nicht verfassungskonform beurteilt. Entscheidend war die Begründung des Urteils: Paragraph 217, also das Verbot geschäftsmäßiger Angebote einer assistierten Selbsttötung, greife in die Selbstbestimmungsrechte eines jeden Menschen ein und das sei mit der Verfassung nicht vereinbar. Denn: Zur Selbstbestimmung eines Menschen gehöre, so das Gericht, auch selbstbestimmtes Sterben. Die Freiheit zum Tod ist danach eine bindende Norm, die der Gesetzgeber zu beachten habe. Diese Freiheit schließe auch die freiwillige Zuhilfenahme Dritter ein.
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