2,8 Billionen Euro – Bonds, die nicht wirklich bindend sind — Amundi Research — Cross Asset Investment Strategy, November 2020
„Sollten die Staats- und weitere Anleihen, die sich in Höhe von mittlerweile 2.800 Milliarden Euro in der Bilanz der Europäischen Zentralbank befinden, genauso behandelt werden wie alle anderen Anleihen? Diese Frage, die in den letzten Monaten regelmäßig gestellt wurde, ist bei weitem nicht nur von akademischem Interesse. Sie ist vielmehr symptomatisch für den Wunsch, einen Teil der öffentlichen Schulden, die zur Bewältigung der Covid-19-Krise aufgenommen wurden, zu erlassen. Es wäre eine Lösung für die Finanzmärkte, diese Schulden vorläufig als virtuell zu betrachten und sie vorübergehend aus den öffentlichen Schuldenquoten herauszunehmen.
Die Notfallausgaben und die wirtschaftlichen Unterstützungspläne in diesem Jahr haben die Staatsverschuldung in vielen Ländern des Euroraums stark steigen lassen. Sie hat besorgniserregende Ausmaße angenommen. Die meisten der neu emittierten Anleihen werden jedoch von der EZB aufgekauft; der Markt nimmt nur wenig mehr als gewöhnlich ab. Staatliche Schuldner und die EZB haben wiederholt erklärt, dass solche Schulden nicht erlassen werden können und eines Tages zurückgezahlt werden müssen. Das ist natürlich auch im öffentlichen Interesse, da andernfalls alle europäischen Schulden insgesamt abgewertet würden.
Wie sollten die Finanzmärkte also damit umgehen? Ändern sich die Eigenschaften eines finanziellen Vermögenswertes, wenn er den Eigentümer wechselt? Aus rein rechtlicher Sicht ist die offensichtliche Antwort nein. Es ist ein grundlegendes Prinzip, das die Gleichbehandlung von Anleihegläubigern, Aktionären oder Gläubigern gewährleistet. Aber wenn die in einem Finanzinstrument eingebetteten Rechte oder Pflichten nie ausgeübt werden, kann man sie dann eher als virtuell denn als real betrachten? Bei Anleihen können zum Beispiel Anleihegläubiger ausgeschlossen werden, die sich in einem Interessenkonflikt mit anderen befinden könnten.
Im Sonderfall der europäischen und der US-amerikanischen Staatsverschuldung gilt ein zusätzlicher Aspekt – Anleiheemittent und Anleihegläubiger sind gleichartig, also öffentliche, nicht gewinnorientierte Institutionen. Die Reaktionen der Fed auf das Emissionsprogramm des US-Finanzministeriums oder die Einführung des PEPP Programms zur Bekämpfung der Pandemie durch die EZB zeugen von einer engen Koordinierung zwischen Finanz- und Geldpolitik. Ganz zu schweigen von der Monetarisierung der Staatsverschuldung: Ein impliziter Pakt bindet den staatlichen Schuldner an seinen Zentralbankgläubiger. Die Zentralbank hat sich verpflichtet, ihre Anleihen auf Dauer nicht auf dem Markt zu verkaufen und sich darüber hinaus systematisch an der Refinanzierung fälliger Schulden zu beteiligen, es sei denn, dies ist durch die finanziellen Bedingungen gerechtfertigt.
Weisen also von der EZB oder der Fed gehaltene Schulden die gleichen Merkmale wie Schulden, die in den Bilanzen privater Investoren stehen, auf? Die Antwort lautet wahrscheinlich nein. Denn wenn der Emittent sicher ist, dass der Anleihegläubiger über einen Anlagehorizont verfügt, der über die Laufzeit seiner Anleihe hinausgeht, diese nie verkaufen wird und bei Fälligkeit unabhängig vom Kurs eine Neuemission zeichnen wird, handelt es sich offenbar nicht um irgendeine Anleihe. Wenn man davon ausgeht, dass der Staat ewig besteht, kann er auf die Tilgung seiner Schulden verzichten und sie stattdessen refinanzieren oder prolongieren. Die Zentralbank kann Anleihen unterdessen im Rahmen ihres geldpolitischen Auftrags ewig weiterkaufen.
Bei den Staatsanleihen des Euroraums ist die Frage der Legitimität noch dringender, da die Ankaufprogramme der EZB im Wesentlichen auf der Ebene der nationalen Zentralbanken durchgeführt werden. Kann die Banque de France eine beträchtliche Menge an OATs (Obligations assimilables du Trésor // Schatzanleihen) ohne die Zustimmung des französischen Staates verkaufen? Theoretisch ja, praktisch nein.
Wie bei anderen Vermögenswerten sollten die Märkte Staatsschulden, die sich in den Bilanzen der Zentralbanken befinden, legitimerweise von der Berechnung der Verbindlichkeiten des Staates ausschließen. Ein solcher Ausschluss ist so virtuell wie die Verschuldung, und ebenso vorübergehend… aber für eine sehr lange Zeit.“
Quelleninformationen und weitere Informationen finden Sie im aktuellen Amundi Cross Asset Investment Strategy Paper und im Amundi Research Center.
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