Internationale Studie kritisiert G20
Die Studie “Debt Relief for Green and Inclusive Recovery” wird von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Center for Sustainable Finance der SOAS University of London und dem Global Development Policy Center der Boston University herausgegeben. Das Papier schlägt vor, dass Entwicklungs- und Schwellenländer mit erheblicher oder dauerhaft untragbarer Verschuldung in den Genuss umfassender Schuldenerlasse öffentlicher und privater Gläubiger kommen. Private Gläubiger würden ihre alten Schuldenpapiere mit einem Abschlag gegen neue sogenannte “Green Recovery Bonds” eintauschen können. Damit diese Länder weiterhin Zugang zu internationalen Kapitalmärkten haben, könnten neue Schuldpapiere nach dem –den aktuellen Umständen angepassten- Modell der Brady-Bonds abgesichert werden, wenn sie ausschließlich für SDG-orientierte Investitionen verwendet werden.
Die von der Studie vorgeschlagene Initiative „Schuldenschnitt für einen grünen und sozial inklusiven Aufschwung“ ginge deutlich weiter als die vergangenen Freitag von der G20 und dem Pariser Club vereinbarte Schuldenerleichterung: Die Initiative sieht eine verpflichtende Beteiligung privater Gläubige und die Ausweitung auf Schwellenländer mit untragbarer Schuldenlast vor. Zudem zielt die Initiative explizit darauf ab, die Ziele des Pariser Klima-Abkommens und der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung zu erreichen – dazu bietet die G20-Entscheidung vom vergangenen Freitag keine Perspektive.Als Gegenleistung sollten sich die Regierungen betreffender Länder zu Reformen verpflichten, ihre Politiken und Haushalte verbindlich an den Nachhaltigen Entwicklungszielen SDG und den Pariser Klimavereinbarungen auszurichten. Die freiwerdenden Haushaltsmittel sollten für gezielte Investitionen in pandemiebezogene Gesundheits- und Sozialausgaben, Klimaanpassung und Maßnahmen für einen grünen wirtschaftlichen Aufschwung eingesetzt werden.
Gordon Brown, UN-Sondergesandter für globale Bildung und Ehemaliger Premier- und Finanzminister von Großbritannien sagte anlässlich der Studienvorstellung: “Die Studie zeigt, wie wir damit beginnen können, eine ökologisch nachhaltige Zukunft aufzubauen – mitten aus der Covid-19-Krise und einer Welt heraus, die nicht nur durch die Pandemie, sondern auch durch Umweltverschmutzung und Armut entstellt ist. (…) Und ich betone zu diesem Anlass hier ausdrücklich, dass wir mit einer Schuldenerleichterung für die Armen und der Freisetzung von Mitteln zur Bekämpfung des Klimawandels tatsächlich beginnen können, die Welt zu verändern. Wir können mit der Überwindung einer der größten Ungerechtigkeiten unsere Zeit –der zahlreichen Schäden und des Leids verursacht durch unbezahlbare Schulden- zugleich eine der größten Errungenschaften unserer Zeit ermöglichen: Die Verwirklichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele.“
Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, sagte: „Die G-20-Einigung auf einen partiellen Schuldenerlass vom vergangenen Freitag ist ein begrüßenswerter erster Schritt. Doch die ausschließliche Fokussierung auf die ärmsten Länder greift angesichts des Ausmaßes und der Gleichzeitigkeit der globalen Schulden-, sozialen und Klimakrisen in drei Aspekten zu kurz: Gerade auch Schwellenländer brauchen einen entschiedenen Schuldenschnitt – dort leben 80 Prozent der durch die Pandemie in extreme Armut gefallenen Menschen. Zudem dürfen Schwellenländer jetzt nicht auf emissionslastige Konjunkturerholung setzen, sondern müssen dringend neue, sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklungspfade beschreiten. Außerdem müssen private Gläubiger angemessen und verpflichtend am Schuldenschnitt beteiligt werden. Die G-20 haben mit ihrer Entscheidung leider die Chance verpasst, Strategien gegen die sozialen Folgen der Pandemie mit der Lösung der Klima- und Biodiversitätskrise zusammenzudenken.“
Ulrich Volz, Direktor des Centre for Sustainable Finance at SOAS, University of London, stellte fest: “Appelle an Regierungen für einen “besseren Wiederaufbau” und einen grünen Aufschwung sind für Schwellen- und Entwicklungsländer kaum umsetzbar, solange sie unter Schuldenbergen ersticken. Damit Regierungen hochverschuldeter Länder zumindest ansatzweise über Mittel verfügen können, Investitionen in grüne Aufschwungprogramme und die Stärkung von Klimaresilienz zu tätigen, ist ein Schuldenerlass unausweichlich.”
Kevin P. Gallagher, Direktor des Global Development Policy Center und Professor der Pardee School of Global Studies der Boston University sagte: “Es ist von essentieller Bedeutung, dass der Schuldenschnitt über die ärmsten Länder hinaus angewendet wird, eine Pflichtbeteiligung privater Gläubiger vorsieht und auf einen grünen und inklusiven Aufschwung orientiert wird.“
Shamshad Akhtar, ehemalige Zentralbankgouverneurin und Finanzministerin von Pakistan: „Der Schuldenerlass sollte öffentliche und private Gläubiger umfassen, und die dadurch freigesetzten Schuldendienstmittel müssen von den Kreditnehmern klug eingesetzt werden. Neben der sofortigen wirtschaftlichen und sozialen Entlastung ist es Zeit für umfangreiche Investitionen in den Klimaschutz. Denn Klimawandel kennt keine Grenzen und verschärft die wirtschaftliche Verwundbarkeit vieler Staaten. Es ist an der Zeit, die globale Zusammenarbeit im Bereich des Klimawandels durch die Umwandlung von Schulden in ein nachhaltiges Finanzierungsinstrument zu fördern.“
Stephany J. Griffith-Jones, Professorin und Direktorin des Financial Markets Program der Initiative for Policy Dialogue der Columbia University: “Die Geschichte zeigt uns, dass zu späte und unzureichende Schuldenschnitte zu verlorenen Jahrzehnten in der Entwicklung führen können. Deshalb ist unsere Initiative für einen Schuldenschnitt, der Mittel für Schuldenrückzahlungen für einen grünen und sozial inklusiven Aufschwung freisetzt, so entscheidend. Jetzt ist es an der Zeit, zu handeln.”
Der Bericht als download
Mehr zum Projekt und der Initiative: https://drgr.org/
Öffentliche Vorstellung und Debatte der Studie „Debt Relief for Green and Inclusive Recovery“
heute Montag, 16. Nov. 2020, um 15.00 – 16.30 Uhr mit
Hon. Mia Amor Mottley, Premierministerin & Ministerin für Finanzen, Wirtschaft und Investitionen, Barbados und
Gordon Brown, Sondergesandter der Vereinten Nationen für Globales Lernen und ehemaliger Premierminister des Vereinigten Königreichs
via Zoom (Anmeldung hier) oder im Livestream
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