Ulla Schmidt: Neues Betreuungsrecht muss besser werden
Sigrid Salzmann aus Erlangen hat eine rechtliche Betreuung. Und sie ist sehr unzufrieden damit: „Ich bekomme immer nur Bescheid, dass meine Betreuung verlängert wird. Gefragt werde ich dazu nie. Das darf doch nicht sein! Rechtliche Betreuer dürfen nicht alleine entscheiden, wo man wohnen soll. Sie müssen uns da schon fragen. Rechtliche Betreuer sollten mehr Geld verdienen, damit sie mehr Zeit für uns haben. Meine Betreuerin ist für so viele Leute zuständig.“ Sigrid Salzmann gehörte zu einer Gruppe von Selbstvertreter*innen der Lebenshilfe, die in Berlin dem Bundesjustizministerium aus erster Hand berichtete, was bei der rechtlichen Betreuung schlecht läuft.
Viel zu lange schon warten Menschen mit Behinderung auf die Reform. Sie wollen, dass rechtliche Betreuerinnen und Betreuer nicht mehr an ihrer Stelle entscheiden. Nach dem Motto: „Ich weiß schon, was gut für dich ist“. Rechtliche Betreuer sollen vielmehr ihre Klienten darin unterstützen, Entscheidungen möglichst selbst zu treffen. Der Gesetzgeber muss die Rechte der betreuten Personen noch umfassender stärken, damit der ursprüngliche Paradigmenwechsel – weg von der Bevormundung hin zur rechtlichen Unterstützung – konsequent umgesetzt wird. Hierfür müssen endlich auch die notwendigen finanziellen und zeitlichen Ressourcen bereitgestellt werden.
Der Regierungsentwurf sieht jedoch vor, dass rechtliche Betreuer auch nach der Reform ein unbeschränktes Vertretungsmandat haben. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert dagegen, dass ein Betreuer nur dann stellvertretend für seinen Klienten entscheiden darf, wenn das erforderlich ist, weil die betreute Person sonst nicht rechtlich handeln könnte. Zum Beispiel um Verträge abzuschließen.
Richtschnur der Betreuer und Richter sollen künftig die Wünsche der rechtlich Betreuten sein, nicht mehr ein allgemeines und oft falsch verstandenes Wohl der Betreuten. Diese Änderung im neuen Betreuungsrecht begrüßt die Lebenshilfe ausdrücklich. Damit es aber nicht allein bei schönen Worten bleibt und dieser Perspektivwechsel in der Praxis gelingen kann, drängt die Lebenshilfe darauf, dass die betreute Person an den Berichtspflichten der Betreuer und der gerichtlichen Kontrolle beteiligt wird. In einem Jahresbericht hat der Betreuer seine Tätigkeiten zu dokumentieren, auch seine Unterstützungsleistung bei einer Entscheidungsfindung. Dieser Bericht soll, so verlangt es die Lebenshilfe, der betreuten Person in verständlicher Form übermittelt werden. Überhaupt müsse sichergestellt sein, dass während des gesamten betreuungsrechtlichen Verfahrens so kommuniziert wird, dass es die betreute Person nachvollziehen kann.
Weitere Forderungen der Lebenshilfe sind: In Modellprojekten sollen neue Methoden zur Unterstützung bei der Entscheidungsfindung entwickelt werden, weil es hierfür viel zu wenig Erfahrung und Forschung gibt. Außerdem soll alles dafür getan werden, eine rechtliche Betreuung möglichst zu vermeiden. Die sogenannte „erweiterte Unterstützung“ ist da eine gute Idee des Justizministeriums, die verpflichtend und nicht nur optional in allen Bundesländern eingeführt werden sollte. Überdies sollte eine gegen den Willen der betreuten Person angeordnete und verlängerte rechtliche Betreuung spätestens alle zwei Jahre gerichtlich überprüft werden.
Zudem brauchen betreute Personen niedrigschwellige Beratungs- und Beschwerdestellen. Angehörige, die als ehrenamtliche Betreuer tätig sind, sollen die gleichen Rechte und Pflichten haben wie andere ehrenamtliche Betreuer. Auch sie sollen gestärkt werden – durch die Anbindung an einen Betreuungsverein, wo sie Beratung und Fortbildung erhalten. Mehr Informationen über die Betreuungsrechtsreform und die Kampagne der Lebenshilfe gibt es im Internet unter www.lebenshilfe.de.
Hier der komplette Link zur Kampagnen-Seite #BRR2021 der Lebenshilfe:
https://www.lebenshilfe.de/selbstbestimmung-staerken-betreuung-verbessern/
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. setzt sich seit 1958 als Selbsthilfevereinigung, Eltern- und Fachverband für Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien ein. In rund 500 Orts- und Kreisvereinigungen, 16 Landesverbänden und rund 4370 Einrichtungen der Lebenshilfe sind mehr als 121.000 Mitglieder und zirka 60.000 hauptamtliche Mitarbeiter*innen aktiv. Die Ziele der Lebenshilfe sind umfassende Teilhabe und Inklusion sowie die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in Deutschland. Mehr Informationen im Internet auf: www.lebenshilfe.de
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