VCD: 10 Jahre nach der Schlichtung zu Stuttgart 21 – was wurde aus dem Schlichterspruch?
„Tatsächlich wurden seither viele Punkte umgesetzt, allerdings außerhalb des Budgets von Stuttgart 21. Diese Ergänzungen waren und sind für die Funktionsfähigkeit von Stuttgart 21 auch dringend notwendig“, erklärt VCD-Landesvorsitzender Matthias Lieb, der damals auch zeitweise Teilnehmer der Schlichtung war. Dazu zählten die zweigleisige Wendlinger Kurve, die Ergänzungen beim Flughafen und der Rohrer Kurve, die Einführung von ETCS und der geplante zusätzliche Nordzulauf. Die konstruktive Kritik, die damals vom VCD in die Schlichtungsgespräche eingebracht worden war, hatte Heiner Geißler in seinem Schlichterspruch aufgegriffen. Betrachte man in Summe die Kosten von Stuttgart 21 und den Ergänzungen, die bislang vereinbart oder geplant seien, so ergäben sich neben den offiziellen Baukosten von inzwischen 8,2 Mrd. € noch weitere rund 3 Mrd. € für Nachbesserungen, so dass die Gesamtkosten bei mindestens rund 11,2 Mrd. € lägen, rechnet der VCD vor. Die Kosten für die Schnellfahrstrecke Wendlingen – Ulm seien dabei nicht eingerechnet. „Bei diesen Gesamtkosten stellt sich wirklich die Frage, ob es nicht sinnvollere Alternativen gegeben hätte, zumal der Tiefbahnhof dauerhaft ein Nadelöhr für die Fahrplangestaltung und den Betrieb bleibt“, kommentiert Matthias Lieb die Kostenentwicklung.
Zwei Punkte des Schlichterspruches seien aus VCD-Sicht weiterhin offen, aber wichtig: Die Einbindung der Gäubahn-Panoramastrecke in den Tiefbahnhof und eine Erweiterung des Tiefbahnhofs um ein 9. und 10. Gleis. Matthias Lieb: „Der Tiefbahnhof kann zwar nicht mehr um zwei Gleise erweitert werden, aber der Ergänzungsbahnhof könnte die Fahrplaneinschränkungen im Tiefbahnhof auflösen. Denn der bisher fehlende Nachweis gleicher Sicherheit im Tiefbahnhof hinsichtlich der Gleisneigung von 15‰ (sechsfach über dem Grenzwert) wird zu Restriktionen führen. Außerdem kann mit dem Ergänzungsbahnhof ein Metropolexpress Stuttgart – Leonberg – Renningen – Calw umgesetzt werden. Mit der Einbindung der Panoramastrecke in den Tiefbahnhof wird der Nutzen des Regionalbahnhofs Stuttgart-Vaihingen als Verkehrsdrehscheibe dauerhaft gesichert.“
Überhaupt dürfe aus Sicht des VCD die Gäubahn bis zur Fertigstellung einer anderen Anbindung nicht vom bestehenden Hauptbahnhof gekappt werden. Vielmehr müsse die Verbindung zum heutigen Kopfbahnhof im Interesse von knapp 10.000 betroffenen täglichen Fahrgästen erhalten bleiben. Der VCD hat dazu ein Positionspapier erstellt.
Gerade die Untersuchungen des Verkehrswissenschaftlichen Instituts (VWI) zum Regionalbahnhof
Stuttgart-Vaihingen hätten aufgezeigt, dass die Zahl der Fahrgäste von der Gäubahn zum Flughafen verschwindend gering im Vergleich zum Ziel Hauptbahnhof seien – diese Erkenntnisse und die weiteren unbefriedigenden Lösungen am Flughafen erfordern aus Sicht des VCD einen neuen Dialog zu den offenen Punkten. Der VCD könne Darstellungen nicht nachvollziehen, dass ein Ergänzungsbahnhof mit Städte- und Wohnungsbau nicht vereinbar sei. Die Symbiose könne allerdings nur dann gelingen, wenn entsprechende Optionen von Anfang an einbezogen würden -selbst wenn sie erst später zur Realisierung kommen sollten. Es könne nicht so weitergehen, dass der Projektpartner Stadt Stuttgart seine Einzelinteressen in den Mittelpunkt stelle und die Fahrgäste im Land darunter leiden müssten. Dabei trage die Stadt Stuttgart nur rund 5% der Gesamtkosten. „Der neue Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, der am Sonntag gewählt wird, muss diesen Dialog anstoßen und führen, um eine zukunftsfähige Eisenbahninfrastruktur gleichberechtigt zur Stadtentwicklung zu gestalten. „Nur so können die Verkehrsprobleme der Region Stuttgart zusammen mit dem Umland nachhaltig gelöst werden“, erklärt VCD-Landesvorsitzender Matthias Lieb.
Hintergrund:
Vor 10 Jahren, vom 22. Oktober bis zum 30. November 2010, fand die „Schlichtung zu Stuttgart 21“ mit dem Schlichter Heiner Geißler statt, der am 30. November 2010 seinen Schlichterspruch verkündete.
Zwar unterstützte er die Fortführung des Baus von Stuttgart 21, formulierte aber notwendige Ergänzungen in Form eines „Stuttgart 21 PLUS“.
Der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus hatte anschließend zugesichert, die geforderten Nachbesserungen transparent abzuarbeiten.
Schlichterspruch im Wortlaut:
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