Reform des Dax: Vernünftig, behebt aber nicht die Malaise des deutschen Aktienmarkts
- Die Zahl der Indexmitglieder steigt im September 2021 von 30 auf 40 (dementsprechend wird der Mittelwerte-Index MDax von 60 auf 50 Unternehmen verkleinert).
- Das Auswahlkriterium Börsenumsatz wird durch ein Mindesthandelsvolumen ersetzt.
- Eine neue Profitabilitäts-Anforderung: Unternehmen, die neu in den Index aufrücken wollen, müssen zuvor wenigstens zwei Jahre nacheinander auf operativer Ebene (d.h. EBITDA [1]) profitabel gewesen sein. Dies gilt nicht für Mitglieder, die bereits im Dax sind.
- Neue Corporate-Governance-Anforderungen: Unternehmen müssen einen Prüfungsausschuss im Aufsichtsrat haben und ihre vom Wirtschaftsprüfer bestätigten Jahresergebnisse sowie Quartalsergebnisse innerhalb einer bestimmten Frist veröffentlichen.
Ein größerer Dax ist grundsätzlich sinnvoll. In fast allen anderen Ländern umfasst der Leitindex mehr als 30 Unternehmen – in Frankreich und Italien z.B. 40, in Großbritannien 100 oder in Japan 225. Durch die neuen Mitglieder wird der bisher sehr „alte“ Dax nicht nur diversifizierter, sondern auch etwas jünger (die Zahl der Unternehmen, die jünger als 50 Jahre sind, wird sich nach heutigem Stand verdoppeln, allerdings auf gerade einmal sechs). Das Übergewicht des Verarbeitenden Gewerbes wird jedoch unverändert bestehen bleiben, womit der Dax auch weiterhin nicht repräsentativ sein wird für die deutsche Volkswirtschaft insgesamt. Industrieunternehmen machen momentan (Stand: 25. November) 58% der Dax-Marktkapitalisierung aus, obwohl das Verarbeitende Gewerbe nur für 21% der Bruttowertschöpfung steht. Bei Dienstleistungsunternehmen ist es andersherum, sie machen weniger als 39% bzw. fast 70% aus. Bemerkenswerterweise würde sich an dieser Unwucht auch nach der Dax-Erweiterung um die nächsten zehn der wertvollsten Unternehmen (die auch die sonstigen Anforderungen erfüllen) kaum etwas ändern. Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes würde sich sogar leicht erhöhen, der des Dienstleistungssektors lediglich stagnieren.[2]
Warum hat die Industrie ein derartiges Übergewicht? Zum einen ist die Marktkonzentration in vielen dieser Branchen aufgrund ihres Alters und von Skaleneffekten bereits ziemlich hoch, sodass es relativ wenige, dafür aber große Unternehmen gibt. Zum zweiten bildet der Aktienmarkt die globale Stellung der Unternehmen ab, einschließlich der mit ausländischer Produktion erzielten Umsätze und Gewinne, nicht nur den Anteil an der Wertschöpfung in Deutschland. Und drittens gibt es schlichtweg nur relativ wenige Unternehmen in Deutschland, die überhaupt börsennotiert sind. Ende September waren es 511, verglichen mit 2.336 in Großbritannien und Italien zusammengenommen oder sogar 2.784 in Spanien.[3] Dagegen gibt es in Deutschland besonders viele vergleichsweise große und erfolgreiche Mittelständler, die in Familienbesitz sind.
Das trägt dazu bei, dass Deutschland mit einem Anteil von 4,41% am globalen BIP zwar die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt ist, aber nach Marktkapitalisierung nur auf rund die Hälfte kommt, auf 2,26%. Ein größerer Dax wird nichts daran ändern, dass deutsche Unternehmen, gemessen an ihrem Wert, international nur Zwerge sind. Das teuerste Unternehmen weltweit, Apple, hat einen höheren Börsenwert als der gesamte zukünftige Dax 40 zusammengenommen. An diesem Rückstand kann auch eine Indexreform nichts ändern.
Das neue Profitabilitäts-Kriterium ist dagegen kritisch zu sehen. Es erschwert die Aufnahme junger, aufstrebender Firmen erheblich, z.B. aus dem Technologiesektor, die in der Phase schnellen Wachstums sind. Für sie können die nötigen Investitionen Priorität haben gegenüber dem Erreichen der Gewinnschwelle. Manche dieser Firmen werden trotzdem die Stars von morgen sein. Die Gefahr besteht, dass es der Dax und seine Investoren mit der Neuregelung einmal mehr verpassen, an dem gerade auch in der Frühphase häufig steilen Aufstieg solcher Firmen an der Börse teilzuhaben. Aktienanleger beurteilen nun einmal die Aussichten in der Zukunft, nicht die Ergebnisse in der Vergangenheit. So schneidet auch der MDax fast regelmäßig besser ab als der Dax.
Apropos: Der MDax wird durch die Reform deutlich geschwächt. Er könnte nach aktuellem Stand fast die Hälfte (47%) seiner Marktkapitalisierung verlieren. Das lässt sich aber angesichts des insgesamt eher unterentwickelten deutschen Aktienmarkts kaum verhindern. Diese Schwäche ist auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen – i) Fremdkapital wird gegenüber Eigenkapital steuerlich bevorzugt, ii) dem Rentensystem fehlt eine substanzielle kapitalgedeckte Komponente, iii) viele Privathaushalte sind risikoscheu und meiden immer noch den Aktienmarkt, iv) die Erbschaftsteuer behandelt Anteile an Firmen in Familienbesitz sehr großzügig, v) deutsche Unternehmen werden im internationalen Vergleich mit am höchsten besteuert, was sie für Kapitalanleger unattraktiver macht, usw. Während der Börsenbetreiber also seine Hausaufgaben gemacht hat, ist es unverändert an der Politik, diese grundsätzlichen Themen anzupacken.
[1] Earnings before interest, taxes, depreciation and amortisation = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen.
[2] Vgl. auch Schildbach, Jan (2017). Rekorde am deutschen Aktienmarkt – alles bestens, oder? Deutschland-Monitor. Deutsche Bank Research.
[3] 1.466 Firmen sind an der Euronext notiert, dem gemeinsamen Börsenbetreiber in Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Portugal, Norwegen und Irland.
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