Finanzen / Bilanzen

Zweite Corona-Infektionswelle erfasst deutsche Wirtschaft

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– Konjunktur erneut ausgebremst
– Wirtschaftsleistung schrumpft zum Jahresende 
– DIW-Prognose sagt für 2020 Rückgang um gut fünf Prozent voraus 
– Hoffnung auf Erholung im kommenden Jahr 
– Öffentliche Haushalte tief im Minus 
– Konsolidierung der Staatsfinanzen mit Gestaltungsspielraum für kluge Wachstums- und Investitionsimpulse verbinden

Die deutsche Wirtschaft setzt ihre Achterbahnfahrt fort: Nachdem es im Sommer unerwartet stark aufwärts ging und weite Teile der Einbußen aus dem Frühjahr wettgemacht werden konnten, wird die Erholung nun ausgebremst. Das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben ist infolge der zweiten Corona-Infektionswelle erneut lahmgelegt. Zwar sind die Einschränkungen weniger gravierend als im Frühjahr, weil vor allem Schulen, Kitas und der Einzelhandel weiterhin geöffnet sind. Auch die für die deutsche Wirtschaft wichtige Industrie kommt bisher besser durch den zweiten Lockdown, weil sie unter anderem auf potentielle Lieferengpässe besser vorbereitet ist.

Dennoch wird die Wirtschaftsleistung in Deutschland zum Jahresende erneut schrumpfen. Für das Gesamtjahr 2020 rechnen die KonjunkturforscherInnen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) derzeit mit einem Minus von 5,1 Prozent. Im kommenden Jahr könnte das Bruttoinlandsprodukt dann um 5,3 Prozent steigen. Das Vorkrisenniveau wäre dann gegen Ende des Jahres 2021 wieder erreicht. All dies wird allerdings nur dann eintreten, wenn es wie in der Prognose angenommen gelingt, das Infektionsgeschehen im Laufe des Winters wieder unter Kontrolle zu bekommen, die Einschränkungen nach dem Jahreswechsel allmählich zurückgenommen werden und es zu keinen größeren Rückschlägen kommt.

Gelingt dies nicht und ziehen sich die Einschränkungen weit in den Frühling, könnte die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Jahr 2021 um anderthalb Prozentpunkte geringer ausfallen als im optimistischeren Szenario. In der Folge würden möglicherweise viele Unternehmen und sogar Banken in erhebliche Schieflage geraten. Dies könnte eine noch tiefere Wirtschaftskrise nach sich ziehen. Hoffnung machen allerdings die Erfolge in der Entwicklung und Auslieferung von Impfstoffen.

Viele wichtige Handelspartner in noch deutlich größeren Schwierigkeiten

Einiges hängt auch davon ab, wie sich die Situation bei wichtigen Handelspartnern gestaltet: Viele Abnehmerländer von Produkten „Made in Germany“ sind von der Corona-Pandemie noch weitaus stärker betroffen als Deutschland, mit entsprechenden wirtschaftlichen Folgen. Viele dieser Länder, allen voran im Euroraum, kämpften auch vor Ausbruch der Pandemie bereits mit strukturellen Problemen, hoher Arbeitslosigkeit und unsoliden Staatsfinanzen – sie werden jetzt umso härter getroffen, was auch die exportorientierte deutsche Investitionsgüterindustrie zu spüren bekommt. Lediglich die USA, China und Japan sorgen für kleine Lichtblicke im Auslandsgeschäft. Insgesamt wird die globale Produktion in diesem Jahr voraussichtlich um 3,4 Prozent schrumpfen. Findet die Weltwirtschaft im kommenden Jahr auf ihren Erholungspfad zurück, könnte es mit plus 6,3 Prozent im Jahr 2021 und plus 4,4 Prozent im Jahr 2022 dafür aber auch überdurchschnittlich aufwärts gehen.

Rekorddefizit in öffentlichen Haushalten

In Deutschland begegnen viele Unternehmen der sinkenden Wirtschaftsleistung zum Jahresende wie schon im Frühjahr mit Kurzarbeit. In den beiden letzten Monaten dieses Jahres dürften mehrere hunderttausend Personen zusätzlich Kurzarbeit in Anspruch nehmen. Die Beschäftigung sinkt in weitaus geringerem Maße. Auch deshalb ist der private Konsum ein Hoffnungsträger, zumal ein guter Teil der Einkommensverluste durch die Maßnahmen der Bundesregierung stabilisiert werden konnte. Zudem haben die privaten Haushalte im Durchschnitt in nicht unbeträchtlichem Ausmaß Geld auf die hohe Kante gelegt.

Die wirtschaftlichen Hilfen, unter anderem auch die Kompensationen für vom zweiten Lockdown betroffene Unternehmen oder das Kurzarbeitergeld, schlagen sich deutlich in den öffentlichen Haushalten nieder. In diesem Jahr dürfte das Staatsdefizit auf den Rekordwert von 186 Milliarden Euro nach oben schnellen. Nach 146 Milliarden Euro im nächsten Jahr könnte das Defizit mit 78 Milliarden Euro auch im übernächsten Jahr noch beträchtlich sein. Trotzdem ist es wahrscheinlich, dass die Schuldenquote nach der Pandemie deutlich unter dem Niveau nach der globalen Finanzkrise 2010 bleibt.

Investitionspfad sollte konsequent weiterverfolgt werden

Mit Blick auf die künftige Tragfähigkeit der Schulden ist es daher umso wichtiger, die deutsche Wirtschaft zu modernisieren und die Wachstumskräfte zu stärken. In Krisenzeiten wie diesen leidet besonders die private Investitionstätigkeit. Verstärkte öffentliche Investitionen können jedoch private Investitionen nach sich ziehen. Vor allem öffentliche Ausgaben in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Bildung und Infrastruktur versprechen mittelfristig kräftige Wachstumsimpulse. Nach Ansicht der DIW-KonjunkturforscherInnen ist es daher wichtig und richtig, wie im Konjunkturpaket der Bundesregierung angelegt diese Bereiche zu stützen und öffentliche Investitionen zu verstetigen.

Davon sollte man auch angesichts tiefroter öffentlicher Haushalte nicht abweichen. Mit einer schnellen Rückkehr zu den Regelungen der Schuldenbremse wäre eine erhebliche Rückführung der jüngst angeschwollenen Verschuldung verbunden. Ein solcher Konsolidierungspfad würde aber den Spielraum für die notwendige Investitionstätigkeit deutlich schmälern, den Modernisierungsprozess aufhalten und eine in der Erholung befindende Wirtschaft empfindlich schwächen. Für investive Zwecke ist eine Nettokreditaufnahme nach Ansicht der DIW-KonjunkturforscherInnen gut zu rechtfertigen, solange die Rendite der Projekte die Kapitalkosten übersteigt. Im derzeitigen Umfeld niedriger Zinsen und unterausgelasteter Kapazitäten ist dies vielfach der Fall.

Kurz gesagt

Marcel Fratzscher, DIW-Präsident: „Die Hoffnung auf eine moderate zweite Corona-Welle hat sich längst zerschlagen. Die Zahl der Infektionen ist zu hoch und es ist mit den bisherigen Einschränkungen nicht gelungen, die Dynamik zu brechen. Wir müssen der Realität ins Auge blicken und uns eingestehen, dass wir auf dem bisherigen Weg nicht weiterkommen. Die Politik hat zu zögerlich reagiert und läuft Gefahr, die Akzeptanz für ihre Strategie zu verlieren. Ein vorübergehender harter Lockdown ist wohl unausweichlich und wäre die bessere Option sowohl für die Gesundheit der Menschen als auch für die Wirtschaft, denn beides geht Hand in Hand. Andernfalls drohen wir in eine Dauerschleife der bisherigen vermeintlich milderen Einschränkungen zu kommen, die der Wirtschaft noch stärker schaden. Wir laufen Gefahr, die wirtschaftlichen Risiken einer anhaltenden zweiten Infektionswelle massiv zu unterschätzen. Der Winter beginnt gerade erst, das Gröbste könnte uns also noch bevorstehen.“

Claus Michelsen, DIW-Konjunkturchef: „Die deutsche Wirtschaft ist von der Corona-Pandemie erneut ausgebremst worden. Nach dem unerwartet kräftigen Aufholwachstum im dritten Quartal wird sie zum Jahresende voraussichtlich wieder schrumpfen. Einerseits gibt es Hoffnung, dass man die Infektionswelle unter anderem mit den bevorstehenden Impfungen im Laufe des Winters in den Griff bekommt. Dann könnte es im kommenden Jahr relativ bald wieder aufwärts gehen und Ende 2021 das Vorkrisenniveau erreicht sein. Andererseits ist das Risiko, dass es anders kommt, beträchtlich. Wenn die Erholung im Frühjahr ausbleibt, das Virus länger und heftiger grassiert, könnten viele Unternehmen und in der Folge auch Banken erheblich in Schieflage geraten. Die Krise zu verkürzen und die Folgen zu mildern ist auch Aufgabe der Finanzpolitik – dabei sollte nicht der Blick in die Zukunft verloren gehen. Trotz des Rekorddefizits in den öffentlichen Haushalten sollte der eingeschlagene Investitionspfad konsequent weiterverfolgt werden, um das Wachstum in den kommenden Jahren zu stärken und damit die Schuldenlast zu drücken.“

Geraldine Dany-Knedlik, Expertin für die Weltwirtschaft: „Die Weltwirtschaft hat sich im dritten Quartal besser erholt als erwartet. Jedoch verlangsamt die zweite Corona-Welle den Aufschwung. Insgesamt haben wir unsere Prognose für dieses und die beiden kommenden Jahre etwas angehoben – das Vorkrisenniveau wird voraussichtlich aber erst Ende 2022 wieder erreicht. Das Risiko ist zudem groß, dass sich der Pandemieverlauf noch verschärft und die Erholung der globalen Wirtschaft deutlich verlangsamt. Rückenwind kommt schon jetzt aus China, wo die Erholung deutlich schneller voranschreitet als in vielen anderen Ländern. Das neue Handelsabkommen mit asiatischen Partnerländern und die zu erwartende handelspolitische Beruhigung mit den USA dürften den Aufschwung zusätzlich stützen.“

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