Managerinnen-Barometer: Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen könnte schleppender Entwicklung Schwung verleihen
Die Frauenanteile in den Spitzengremien großer Unternehmen in Deutschland sind im vergangenen Jahr weiter gestiegen. Vielerorts gewann die Entwicklung aber insbesondere in den Vorständen kaum an Dynamik. Das geht aus dem neuesten Managerinnen-Barometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor. 101 Vorständinnen gab es demnach im Herbst vergangenen Jahres in den 200 umsatzstärksten Unternehmen – sieben mehr als ein Jahr zuvor. Bei insgesamt 878 Vorstandsposten entsprach dies einem Anteil von rund zwölf Prozent und damit einem Plus von gut einem Prozentpunkt. Nachdem es 2019 noch etwas dynamischer aufwärts ging, büßte die Entwicklung wieder ein wenig Tempo ein. Auch in den Vorständen der größten Banken und Versicherungen ist der Frauenanteil zuletzt etwas langsamer gestiegen als im Jahr zuvor. In der Gruppe der DAX-30-Unternehmen stagnierte er sogar. In den Aufsichtsräten der größten Unternehmen in Deutschland ist der Frauenanteil hingegen durchgehend weiter gestiegen.
„Im Gegensatz zu einigen Aufsichtsräten sitzen bei den meisten Vorstandsrunden nach wie vor ganz überwiegend Männer am Tisch“, sagt Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics in der Abteilung Staat am DIW Berlin. Erneut hat sie in der größten Auswertung dieser Art gemeinsam mit Anja Kirsch von der Freien Universität Berlin mehr als 500 Unternehmen unter die Lupe genommen und ausgewertet, inwieweit Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten vertreten sind.
Etwa 30 Unternehmen brauchen mindestens eine Frau für ihren Vorstand
Schwung verleihen könnte der vergleichsweise zähen Entwicklung in Vorständen die zu Jahresbeginn vom Bundeskabinett beschlossene Mindestbeteiligung von Frauen: In ihrer jetzigen Ausgestaltung würde sie für 74 Unternehmen gelten, sofern das Gesetz vom Bundestag verabschiedet wird. Etwa 30 davon erfüllen die Vorgabe von mindestens einer Frau in einem Vorstand ab vier Mitgliedern noch nicht. Tun sie dies künftig, stiege der Anteil der Vorständinnen in den unter die Regelung fallenden Unternehmen von etwa 13 auf 21 Prozent. „Die verbindliche Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen in ein wichtiges gleichstellungspolitisches Signal“, so Wrohlich. „Es wird Zeit, dass sich nach den Aufsichtsräten auch in den Vorständen endlich etwas tut. Das ist auch im Interesse der Unternehmen, denn mehr Geschlechterdiversität wirkt sich meistens äußerst positiv aus.“
Das unterstreichen auch die Aussagen von 60 AufsichtsrätInnen, die im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Freien Universität Berlin interviewt wurden. Anja Kirsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Personalpolitik, befragte dabei jeweils 30 Frauen und Männer mit Aufsichtsratsmandaten in 75 börsennotierten Unternehmen zu den Auswirkungen von mehr Frauen in den Kontrollgremien. Das Ergebnis: Interaktion, Diskussion und Entscheidungsfindung profitieren deutlich. Die Interviewten empfanden eine freundlichere Atmosphäre, mehr Höflichkeit und gegenseitige Wertschätzung. Zudem wurden Diskussionen als umfassender und facettenreicher beschrieben. Die Vorstellung, dass Frauen in Aufsichtsräten besonders risikoscheue, altruistische und ethische Beiträge machen, bestätigte sich hingegen nicht.
„Frauen hinterfragen offenbar eher Vorschläge und Entscheidungen des Vorstands und fordern öfter zusätzliche Informationen“, sagt Kirsch. „Geschlechterdiversität in Aufsichtsräten kann also dazu beitragen, Vorstände effektiver zu kontrollieren.“ Angesichts immer wieder auftretender Fälle von Betrug durch das Top-Management – wie im Fall Wirecard – erscheine eine verbesserte Diskussion und Entscheidungsfindung in Aufsichtsräten enorm wichtig, so die Studienautorinnen. „Die Hoffnung ist, dass in diesem Sinne auch die gesetzliche Vorgabe für eine Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen zusätzliche Impulse bewirkt“, so Kirsch.
Entwicklung in Aufsichtsräten zeigt, dass gesetzliche Vorgaben wirken
Dass verbindliche Vorgaben wirken und den Frauenanteil nachhaltig erhöhen können, zeigt die 2015 beschlossene Geschlechterquote für Aufsichtsräte: Die der Quote unterliegenden Unternehmen haben die vorgeschriebene 30-Prozent-Marke bereits 2017 geknackt und den Anteil ihrer Aufsichtsrätinnen dennoch weiter erhöht – im Herbst 2020 lag er bereits bei rund 36 Prozent.
Ob die Mindestbeteiligung für Vorstände eine ähnliche Entwicklung anstoßen kann, bleibt abzuwarten. Im Gegensatz zu Aufsichtsrätinnen sei der Pool an möglichen Vorständinnen deutlich geringer, so Wrohlich, da Vorstände in der Regel langjährige Managementerfahrungen haben und aus der Hierarchieebene direkt unterhalb des Vorstands rekrutiert werden – und genau dort sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. „Das sollten die Unternehmen dringend ändern, sonst werden sie Probleme bekommen, die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen“, so Wrohlich. Neben neuen Formen der Arbeitsorganisation müssten dafür nicht zuletzt Geschlechterstereotype in der Arbeitswelt und die vielerorts noch immer männlich geprägte Führungskultur aufgebrochen werden.
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