CHE Studie: Familienorientierung als Top-Priorität auf Leitungsebene hilft Hochschulen während und nach der Corona-Pandemie
Viele deutsche Hochschulen haben die Notwendigkeit der Familienorientierung bereits erkannt. Rund sieben Prozent aller Studierenden haben ein oder mehrere Kinder. Aber auch die Beschäftigten am Campus, ob in Hochschulmanagement, Forschung, Lehre oder Verwaltung haben familiäre Verpflichtungen. Laut einer aktuellen Untersuchung aus dem Jahr 2020 haben beispielsweise an der Universität Potsdam rund die Hälfte der befragten Mitarbeitenden aus Technik und Verwaltung Kinder, sechs Prozent pflegen Angehörige. Neun von zehn Mitarbeitenden mit familiären Pflege- oder Betreuungsaufgaben fühlten sich während der Corona-Pandemie stärker bzw. sehr viel stärker belastet. Auch beim Lehrpersonal der Universität Potsdam liegt die Quote an Mitarbeiter*innen mit Kindern bei 44 Prozent.
„Die aktuelle Corona-Situation zeigt, unter welchem Druck eine Vielzahl der Mitarbeitenden und Studierenden unserer Hochschulen stehen. Vor allem Frauen leisten nach wie vor den Großteil der Care-Arbeit und erreichen derzeit etwa durch geschlossene Kitas und Schulen zunehmend ihre Belastungsgrenzen“ erläutert Sarah Wenz vom Vorstand Familie in der Hochschule e.V. „Was wir brauchen, ist eine noch stärkere Familienorientierung und schnelle, wirksame, aber auch langfristige Maßnahmen zur Entlastung insbesondere der weiblichen Hochschulangehörigen, um einer Benachteiligung und möglichen Gefährdung ihrer beruflichen Karriere vorzubeugen“, so Wenz, die beim Karlsruher Institut für Technologie die Geschäftsstelle Chancengleichheit leitet.
Der Verein Familie in der Hochschule hat gemeinsam mit dem CHE die aktuelle Pandemie-Situation zum Anlass genommen, die Familienorientierung an Hochschulen auf den Prüfstand zu stellen und Verbesserungsvorschläge zu ermitteln. Hierzu befragten die Autor*innen der Untersuchung im Sommer 2020 Familienverantwortliche deutscher Hochschulen. Im Fokus standen dabei familienorientierte Strukturen, die sich während der Pandemie an den Hochschulen besonders bewährt haben oder in dieser Zeit neu entwickelt wurden.
Bemerkenswert war dabei, dass diejenigen Hochschulen während der Corona-Pandemie einen Vorteil hatten, bei denen das Thema Familiengerechtigkeit bereits gut strukturell verankert war. Dies bedeutet, dass etwa neben eigenen Service-Stellen und Familienbüros das Thema auch auf Leitungsebene, etwa in einem Prorektorat, personell verortet ist. Für solche Hochschulen war es leichter, ad hoc neue Unterstützungsinstrumente zu schaffen oder bestehende Maßnahmen, wie die Arbeit im Homeoffice, auszubauen.
„Hochschulen bei denen das Thema Familienorientierung bereits vor Corona an oberster Stelle Priorität war, konnten im Krisenmanagement punkten und wertvolle Zeit gewinnen“ benennt Frank Ziegele eine Quintessenz der Untersuchung. Das Thema sollte deshalb auch nach der Krise flächendeckend an allen Hochschulen auf Leitungsebene personell verankert werden, um familienfreundliche Entwicklungen am Campus zu beschleunigen, fordert der Geschäftsführer des CHE Centrum für Hochschulentwicklung. „Mit jedem Kind, das gerade in einer Videokonferenz der Eltern im Bild erscheint, wird der tägliche Spagat zwischen beruflichen und familiären Verpflichtungen für alle Beteiligten sichtbar. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt sicherzustellen, dass der Faktor Familienorientierung auch langfristig und auf jedem Campus mitgedacht wird“, so Ziegele.
Eine weitere Erkenntnis der Pandemie ist, dass eine Flexibilisierung auch in der Hochschulverwaltung in deutlich stärkerem Maße möglich ist als bisher angenommen. Angesichts der Studienergebnisse erscheint die bisherige Annahme, dass für Verwaltungstätigkeit im Gegensatz zu wissenschaftlicher Arbeit Präsenz erforderlich ist, überholt. In beiden Bereichen kann es konkrete Tätigkeiten geben, die am Arbeitsort besser funktionieren, aber in beiden Tätigkeitsfeldern ist Arbeit im Homeoffice möglich. Die Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice birgt ein großes Potential für die Freisetzung von Zeitressourcen, die den Familienalltag erleichtern können. Sie sollte daher von allen Mitarbeitenden – dort wo es möglich ist – gleichermaßen genutzt werden können.
Die Karriereförderung und Personalentwicklung ist ein Bereich, in dem während der Pandemie Missstände und Entwicklungsbedarfe besonders deutlich ins Blickfeld gerückt sind. So wurde die bereits bestehende Benachteiligung von Professorinnen und weiblichem wissenschaftlichem Nachwuchs durch die Doppelbelastung während der Pandemie besonders offenkundig, da die sogenannte Care-Arbeit, also Pflegetätigkeiten oder Kinderbetreuung, in dieser Zeit vermehrt von Frauen aufgefangen wurde.
„Die Corona-Pandemie hat für alle sichtbar gemacht, welche enorme logistische Leistung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit familiären Verpflichtungen neben ihren Veröffentlichungen vollbringen“, so Frank Ziegele. „Die Honorierung von Care- und Gremienarbeit, wie sie an einigen Hochschulen bereits für den Bereich Leistungsbeurteilung diskutiert wird, sollte deshalb auch in Berufungs- und Einstellungsverfahren praktiziert werden“, fordert der CHE Geschäftsführer.
Über diese Studie:
Grundlage der Untersuchung ist eine Befragung von Familienverantwortlichen an sechs deutschen sowie einer österreichischen Hochschule im Zeitraum Juni bis September 2020. Alle Hochschulen gehören zum Netzwerk „Familie in der Hochschule“. Die Charta „Familie in der Hochschule“ wurde im Januar 2014 veröffentlicht. Sie wird als Strategieentwicklung zu einer nachhaltigen Chancengerechtigkeit und Familienorientierung in der Wissenschaft unterstützt vom CHE Centrum für Hochschulentwicklung, das sich auch als Wissenschaftsorganisation zu den Zielen der Charta verpflichtet. Autorinnen und Autoren der Analyse „Der Weg zur familienorientierten Hochschule – Lessons Learnt aus der Corona-Pandemie“ sind Lisa Mordhorst, Caroline Friedhoff, Nina Horstmann und Frank Ziegele.
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