Grüner Wasserstoff als Energieträger: Die Billionen-Euro-Frage
Auf Wasserstoff als Energieträger ruhen große Hoffnungen. Sowohl die Bundesregierung als auch die EU-Kommission hatten im Sommer 2020 Strategien zur energetischen Nutzung von Wasserstoff vorgestellt. Die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) der Bundesregierung spricht davon, dass Wasserstoff „eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung und Vollendung der Energiewende“ bekommt.
Politik priorisiert grünen Wasserstoff als potenzielles Multitalent
Anders als Erdöl, Kohle, Erdgas, Kernbrennstoffe oder Biomasse ist Wasserstoff kein Primärenergieträger und kommt auf der Erde zumeist nur in gebundener Form vor (größtenteils als Wasser sowie in Form von Kohlenwasserstoffen wie Kohle, Öl und Erdgas). Um Wasserstoff energetisch nutzen zu können, muss er also zunächst unter Einsatz von Energie hergestellt werden. Geschieht dies, wie heute ganz überwiegend praktiziert, mittels fossiler Energien, spricht man von „grauem Wasserstoff“. Die NWS priorisiert dagegen eindeutig „grünen“ Wasserstoff, der durch Elektrolyse von Wasser auf Basis von Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. So entstehen flüssige oder gasförmige Folgeprodukte für den energetischen Einsatz (Power-to-X, P2X). Damit soll eine der Lücken bei der Energiewende geschlossen werden. Beispielsweise können einige Bereiche des Verkehrssektors auf absehbare Zeit nicht oder nur zu unverhältnismäßig hohen Kosten direkt mit Strom versorgt werden (z.B. Luftverkehr, Schifffahrt). Zudem ist grüner Wasserstoff in manchen Industriebranchen eine Option, die (prozessbedingten) CO2-Emissionen von industriellen Prozessen zu verringern (z.B. Metallerzeugung, Chemie, Baustoffproduktion). Theoretisch denkbar ist es schließlich, grünen Wasserstoff für die Wärmeerzeugung in Gebäuden einzusetzen.
P2X-Technologien sind nicht nur eine Möglichkeit, Strom aus Erneuerbaren umzuwandeln und in anderen Anwendungsbereichen einzusetzen (Sektorkopplung). Sie sind auch eine Speichermöglichkeit. Mit dem politisch weiter forcierten Ausbau der Stromerzeugung durch wetterabhängige erneuerbare Energien steigt nämlich perspektivisch der Bedarf an Stromspeichern. Abgesehen von Pumpspeicherkraftwerken, die u.a. entsprechende topografische Voraussetzungen benötigen, gibt es aktuell jedoch keine kostengünstigen Stromspeicher im großindustriellen Maßstab. Steigt der Anteil der wetterabhängigen Erneuerbaren am Strommix, kommt es bei günstigen Witterungsverhältnissen immer häufiger zu Zeiten, in denen mehr Strom produziert als aktuell verbraucht wird. Dies führt in Deutschland schon heute immer wieder zu negativen Börsenstrompreisen sowie zu mehr Stromexporten (die übrigens zu einem nennenswerten Teil in Pumpspeicherkraftwerke in Österreich fließen). Wegen der fehlenden Speichermöglichkeiten ist es zugleich aber nur sehr begrenzt möglich, konventionelle Kraftwerkskapazitäten dauerhaft vom Markt zu nehmen, denn diese werden für die Dunkelflauten benötigt, also für jene Zeiten, in denen der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. In der Folge sind die Überkapazitäten bei der installierten Stromerzeugungskapazität in Deutschland in den letzten Jahren stetig gestiegen, was Kosten verursacht. Diese negative Entwicklung soll durch die Produktion von grünem Wasserstoff verlangsamt und bestenfalls gestoppt werden.
Letztlich soll das potenzielle Multitalent grüner Wasserstoff also eine Schlüsselfunktion bei der Sektorkopplung übernehmen und zugleich eine wesentliche Lösung für die Stromspeicherfrage sein.
Bundesregierung verfällt nicht in Euphorie
Soweit die Theorie. Dass es bei der praktischen Umsetzung viele Hürden zu überwinden gilt, ist unwidersprochen. Insofern ist es der NWS der Bundesregierung anzurechnen, dass sie nicht in Aussicht stellt, Wasserstoff könne schon in wenigen Jahren zum „Game Changer“ bei der Energiewende werden. Zudem verweist die NWS darauf, dass Deutschland einen großen Teil seines künftigen Wasserstoffbedarfs aus Ländern importieren wird, wo die Bedingungen für die Produktion von grünem Wasserstoff besser sind. Es wird also kein wesentlicher Beitrag zu einer höheren Energieautarkie erwartet. Schauen wir uns die Herausforderung im Einzelnen an:
- Zu nennen sind die Investitionskosten in die Wasserstoffinfrastruktur. Dazu zählen die Elektrolyseure (also die eigentlichen Erzeugungsanlagen), Anlagen zur Umwandlung von Wasserstoff von einem in den anderen Aggregatzustand sowie die Transport- und Verteilnetze (Konzentrationsüberwachung bei Beimischung, Problem der Wasserstoffversprödung). Falls Wasserstoff nicht über Pipelines, sondern per Schiff (für den Ferntransport) oder Lkw (für die lokale Verteilung) transportiert wird, fallen hier ebenfalls Investitionskosten an. Zudem müssen Fabriken, in denen künftig Wasserstoff genutzt werden soll, umgerüstet werden (z.B. Stahlwerke). Dies gilt in der längeren Frist auch für Fahrzeuge, die mit Wasserstoff angetrieben werden sollen.
- Neben diesen Investitionen sind die Kosten für den laufenden Betrieb hoch. In der Prozesskette fallen bei jedem Schritt Wandlungsverluste an; es geht also immer ein Teil der Energie verloren, die zu Beginn in die Erzeugung von Wasserstoff gesteckt wurde. Das ist kein für Wasserstoff spezifisches Problem. Gleichwohl sind Transport und Lagerung von Wasserstoff wegen seiner physikalischen Eigenschaften besonders aufwändig (geringe Dichte und hohe Flüchtigkeit im gasförmigen Zustand, starke Kühlung für Verflüssigung notwendig). Damit leidet der gesamte Wirkungsgrad stärker als bei anderen Energieträgern und damit auch die ökonomische Rentabilität. Hinzu kommt, dass die Kapazitätsauslastung der Elektrolyseure sehr gering sein dürfte, wenn sie ausschließlich mit wetterabhängigen Erneuerbaren betrieben werden; dies gilt noch mehr, wenn lediglich „Überschussstrom“ verwendet werden soll, was die Durchschnittskosten weiter erhöht, denn solche Anlagen werden eigentlich für den Dauerbetrieb ausgelegt.
- Wegen der genannten Kosten ist die Nutzung von grünem Wasserstoff auf absehbare Zeit noch nicht wirtschaftlich. Daher wird der Staat – wie so oft bei Klimaschutztechnologien – den Einsatz von Wasserstoff subventionieren. Die NWS benennt einige Förderprogramme. Für diese Subventionen, z.B. für den Einsatz von grünem Wasserstoff in Stahlwerken oder der Chemieindustrie, müssen hierfür die beihilferechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Zudem ist zu klären, ob der Strom, der bei der Elek-trolyse eingesetzt wird, aus wettbewerbspolitischer Sicht von der EEG-Umlage befreit werden kann.
- Weitere regulatorische Fragen sind bezüglich der klimapolitischen Einstufung der verschiedenen Erzeugungsformen von Wasserstoff zu klären. Für die Bundesregierung gilt nur grüner Wasserstoff als „auf Dauer nachhaltig“. In einem internationalen Wasserstoffmarkt wird es aber auch „graue“, „blaue“ oder „türkise“ Erzeugungsformen geben, die auch in Deutschland eingesetzt werden. Zur Erläuterung: „Blauer Wasserstoff“ wird auf Basis von fossilen Energien erzeugt, wobei die anfallenden CO2-Emissionen abgeschieden und gespeichert werden (Carbon Capture and Storage, CCS). Bei „türkisem Wasserstoff“ erfolgt unter sehr hohen Temperaturen eine thermische Spaltung von Erdgas (Methan, CH4). Bei dieser Methanpyrolyse entsteht statt CO2 fester Kohlenstoff. Klimafreundlich ist dieser Prozess nur, wenn der Hochtemperaturreaktor mit CO2-armen Energieträgern betrieben wird. Es muss also Regelungen für die Klimabilanz der einzelnen Wasserstoffarten sowie von Mischformen und deren Nutzung geben.
Technischer Fortschritt, aber keine schnellen Lösungen
Es mag bisweilen etwas kontraproduktiv erscheinen, wenn man in der klima- und energiepolitischen Diskussion betont, was alles nicht geht oder welche Hürden zu überwinden sind. Für kluge politische Entscheidungen ist es aber wichtig, die potenziellen Beiträge einzelner Technologien zur Lösung des Klima- und Energieproblems richtig einzuschätzen und dabei nicht nur die grundsätzliche technologische Machbarkeit, sondern auch ökonomische und soziale Folgekosten zu berücksichtigen, damit in der Öffentlichkeit keine unrealistischen Erwartungen geweckt werden.
Auch wenn grüner Wasserstoff vorerst teuer bleibt und nicht viel zu einer klimaverträglichen Energieversorgung beitragen kann, gibt es durchaus Gründe für Optimismus. Es wird auf allen Stufen der Prozesskette technischen Fortschritt geben: Die Kosten für den Betrieb von Elektrolyseuren sinken durch Größenvorteile, für den Transport von Wasserstoff können wohl auch bestehende Pipelines verwendet werden (Thema Beimischung im Erdgasnetz). Für den Ferntransport per Schiff kann statt verflüssigtem Wasserstoff auch Ammoniak (NH3) verwendet werden, was technologisch weniger anspruchsvoll ist. Die Ingenieure und Naturwissenschaftler werden hier Ideen entwickeln. Aber schnelle Lösungen sollte man nicht erwarten. Mehr staatliche Forschungsgelder für Wasserstofftechnologien sind aber in jedem Fall angezeigt, schon alleine um zu vermeiden, dass Technologien sich aufgrund von Subventionen anstatt von Effizienzvorteilen durchsetzen.
Einsatz zunächst vor allem in stationären Anlagen
Wo dürfte grüner Wasserstoff zunächst eingesetzt werden? Angesichts der Probleme bei Transport und Lagerung ist es wahrscheinlich, dass grüner Wasserstoff zunächst vor allem in stationären Großanlagen genutzt und lokal produziert wird. Dadurch lassen sich Skaleneffekte bei den Elektrolyseuren erzielen. Metallerzeugung, Chemie- und Baustoffindustrie könnten also zu den wichtigsten Nachfragern zählen. Kleinteilige Anwendungen dürften sich dagegen vorerst nicht durchsetzen. Das gilt z.B. für Brennstoffzellenheizungen in Gebäuden. Der großflächige Einsatz von Wasserstoff im Pkw-Bereich (Brennstoffzelle oder direkte Verbrennung) wird derzeit auch von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, weil die Reichweiten von batterieelektrischen Autos steigen und die Ladeinfrastruktur (auch aufgrund von staatlicher Förderung) ausgebaut wird. Zudem setzen viele Autohersteller im Pkw-Segment vor allem auf die batterieelektrische Mobilität und weniger auf Wasserstoff. Im Lkw-Segment sind die langfristigen Aussichten wohl etwas besser, aber auch hier gibt es interessante Alternativen (synthetische Biokraftstoffe, Oberleitungen).
Eine weitere wichtige Frage ist, wer künftig zu den großen Produzenten von Wasserstoff zählen wird. In einer aus Klimasicht idealen Welt wären dies vor allem Länder mit guten klimatischen und topografischen Voraussetzungen für die kostengünstige Nutzung von erneuerbaren Energien. Da hohe Investitionen zu leisten sind, dürften zudem vor allem wohlhabende Länder in die Wasserstoffproduktion einsteigen. Viele Staaten, die durch den Export von Erdöl und Gas reich geworden sind, erfüllen beide Kriterien. Zudem verfügen sie über Erdgasvorkommen, sodass die Wasserstoffproduktion nicht allein von Erneuerbaren abhängig ist. Auch in den USA, China oder Teilen von Europa finden sich gut geeignete Standorte für die Wasserstoffproduktion. Schließlich werden manche Länder, darunter die USA oder Japan, in Zukunft auch die Kernenergie als grundlastfähigen und CO2-armen Energieträger nutzen, um Wasserstoff herzustellen. Dies wäre dann „roter Wasserstoff“, um die Farbenlehre abzuschließen. Aus Kostensicht hätte dies den Vorteil, dass die Elektrolyseure im Dauerbetrieb laufen könnten. Damit „roter Wasserstoff“ eine Option wird, bedarf es natürlich einer politischen Akzeptanz der Kernenergie. Innerhalb der EU ist die Sichtweise hierzu nicht einheitlich. Die NWS erwähnt diese Option jedenfalls nicht.
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