Hämophilie A: Epidemiologische Herausforderungen und Empfehlungen für die Zukunft
Dank moderner Forschung werden im Laufe der Zeit immer wieder innovative Medikamente zur Verbesserung der Therapie entwickelt, auch wenn bereits Therapeutika verfügbar sind. Gleichzeitig verändern sich auch die Konzepte von klinischen Prüfungen. Das stellt eine nicht unerhebliche Herausforderung für die translationale Wissenschaft dar, denn aufgrund der sich in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelten Wirksamkeitsstudien und der darin betrachteten, mitunter unterschiedlichen Parameter, lassen sich in der Vergangenheit zugelassene Präparate in ihrer Wirksamkeit nur schwer mit vor kurzem entwickelten Medikamenten vergleichen.
Hämophilie A (HA) ist eine seltene X-chromosomale Blutungsstörung, die durch eine Mutation im Gen entsteht, das für den Gerinnungsfaktor VIII (FVIII) kodiert. Jährlich wird in Europa bei etwa 250 Neugeborenen die schwere Form der HA diagnostiziert, die durch eine sehr geringe Restaktivität des FVIII von weniger als einem Prozent gekennzeichnet ist. Diese Patientinnen und Patienten benötigen eine Behandlung mit exogenem, aus Blutplasma gereinigtem sogenanntem plasma-derived FVIII (pdFVIII) oder eine Behandlung mit biotechnologisch hergestelltem rekombinantem FVIII (rFVIII).
Es gibt inzwischen eine große Bandbreite von Gerinnungsfaktorprodukten, die in Deutschland für die Behandlung der HA zugelassen sind. Seit der Einführung rekombinanter Gerinnungsfaktor-VIII-Produkte wird intensiv diskutiert, ob es einen Unterschied in der Arzneimittelsicherheit zwischen rekombinanten und aus Blutplasma gewonnenen Faktorprodukten gibt. Insbesondere wird dies im Hinblick auf die Entwicklung der Inhibitoren gegen die Gerinnungsfaktoren untersucht. Etwa 30 Prozent der zuvor unbehandelten Patientinnen und Patienten entwickeln im Verlauf der Behandlung inhibitorische Antikörper (Inhibitoren) gegen FVIII.
In der Analyse des Expertenteams um Dr. Christine Keipert und Dr. Anneliese Hilger, Leiterin der Abteilung Hämatologie und Transfusionsmedizin, im Verbund mit Wissenschaftlerinnen der Abteilung Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukte am Paul-Ehrlich-Institut, wurden die zentralen Probleme beim Vergleich solcher Studien über einen langen Zeitraum adressiert, darunter epidemiologische Herausforderungen und Studienverzerrungen, mögliche Überschneidungen einzelner Studien und die Weiterentwicklung von Therapie und Methoden im Laufe der Zeit. Die Analyse schloss 38 Studien ein, deren Ergebnisse zwischen 1990 und 2018 veröffentlicht wurden. Davon entsprachen drei Studien den Standards der klinischen Leitlinie von 2016.
"Ein Problem für die Bewertung besteht darin, dass bei seltenen Krankheiten die Zahl der Patientinnen und Patienten, die in klinischen Studien rekrutiert werden können, begrenzt ist, von daher sind randomisierte, klinische Studien für einzelne Produkte eine Herausforderung", erklärt Dr. Christine Keipert. Das Auffinden einer ausreichenden Anzahl von Patientinnen und Patienten, die für eine robuste statistische Analyse benötigt wird, kann sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. In der Zwischenzeit können sich sowohl die Laborstandards als auch das Detailwissen über die Krankheit weiterentwickeln, was letztlich zu Ergebnissen führen kann, die am Ende der Studie nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen. Zudem können zusätzliche Parameter, die nicht im Rahmen der Studie erhoben wurden, relevant werden.
Aber wie lässt sich diese Herausforderung, die der rasanten, wissenschaftlichen Entwicklung geschuldet ist, meistern? Eine wichtige Möglichkeit ist die Etablierung eines Netzwerks von gut geführten Patientenregistern. Diese ließe die Überwachung und Untersuchung derjenigen Präparate zu, die tatsächlich in den jeweiligen Patientengruppen eingesetzt werden. Um dies zu erreichen, ist eine gut geplante Zusammenarbeit von Registerbetreibern, Behörden unter Einbeziehung von Patientinnen und Patientinnen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und eine vorherige Festlegung und Definition der regulatorischen Maßnahmen notwendig. Ein solches Register ist das am Paul-Ehrlich-Institut angesiedelte Deutsche Hämophilieregister (DHR). Eine weitere wichtige Erkenntnis: Für eine optimale Behandlung insbesondere von seltenen Erkrankungen ist eine engagierte Zusammenarbeit von Patientinnen und Patienten, Medizinerinnen und Medizinern sowie regulatorischen Expertinnen und Experten unerlässlich.
Originalpublikation
Keipert C, Drechsel-Bäuerle U, Oberle D, Müller-Olling M, Hilger A (2021): Epidemiological Challenges in Rare Bleeding Disorders: FVIII Inhibitor Incidence in Haemophilia A Patients – A Known Issue of Unknown Origin.
Int J Environ Res Public Health 18: 225.
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