Krankheitsverlauf bei kindlichen Tumoren: Verlängerung der Chromosomenenden begünstigt Rückfälle
Das „Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg“ (KiTZ) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und der Universität Heidelberg (Uni HD).
Neuroblastome sind nach Hirntumoren die häufigsten soliden Tumoren bei Kindern. Die Tumoren entstehen aus unreifen Vorläuferzellen des Nervensystems und treten entweder im Bereich der Nebennieren auf oder entlang der Wirbelsäule im Hals, Brustkorb oder Bauchbereich. In einigen Fällen bilden sich Neuroblastome ohne jegliche Therapie komplett zurück. Bei etwa der Hälfte der Patienten kann jedoch auch eine hochintensive Therapie das Wachstum nicht verhindern.
Zellen bösartiger Neuroblastome nutzen einen Trick, um unendlich teilungsaktiv zu bleiben: Sie verlängern ihre Chromosomenenden, die sogenannten Telomere. In gesunden Körperzellen werden die Chromosomenenden bei jeder Zellteilung verkürzt. Wird eine kritische Länge unterschritten, führt der Telomer-Schwund zum Wachstumsstopp oder zum Zelltod. In Stammzellen und den meisten Krebszellen dagegen wird die Länge der Chromosomenenden durch Telomer-Verlängerungsmechanismen oberhalb der kritischen Schwelle erhalten, so dass die Zellen quasi „unsterblich“ sind.
„Auf molekularer Ebene tun die Krebszellen das auf zwei Wegen“, erklärt Sabine Hartlieb, eine der beiden Erstautorinnen der Studie von KiTZ, DKFZ und der Universität Heidelberg. „Sie überaktivieren das Enzym Telomerase, das beispielsweise auch in gesunden Stammzellen die Telomerlänge bei der Zellteilung möglichst konstant hält. Oder sie verlängern die verkürzten Chromosomenenden durch Neuanordnung ihrer Telomerabschnitte.“ Letzteres bezeichnen Wissenschaftler als alternativen Mechanismus für die Telomerverlängerung. „Tumoren, bei denen die Telomer-Verlängerung auf die eine oder die andere Weise aktiviert ist, haben alle eine schlechte Prognose“, sagt Frank Westermann, Leiter der Studie am KiTZ und am DKFZ.
Das bestätigten auch die Daten von 760 Neuroblastom-Patienten der vorliegenden Studie. Bei fast der Hälfte der Patienten mit einem Rückfall war jedoch nicht die Überaktivierung der Telomerase, sondern der alternative Mechanismus für die Telomerverlängerung verantwortlich.
Durch Integration genetischer sowie epigenetischer Daten und der bislang ersten Analyse aller im Tumor vorhandenen Proteine untersuchten die Wissenschaftler, welche molekularen Prozesse diesen speziellen Verlängerungsmechanismus begünstigen. „Tumoren mit diesem Mechanismus der Telomerverlängerung unterscheiden sich deutlich von anderen Neuroblastom-Untergruppen durch bestimmte Mutationen, Proteinkomplexe und epigenetische Signale“, fasst Lina Sieverling, eine der beiden Erstautorinnen vom DKFZ und Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, die Ergebnisse zusammen. Beispielsweise heften bösartige Neuroblastomzellen im Bereich ihrer Telomere Methylierungssignale an das Protein Histon 3, das die DNA in Chromosomen verpackt, so das Ergebnis der Studie. Dadurch erhalten sie eine besonders kompakte und stabile Struktur. Zahlreiche weitere Proteine dieser Tumoren zeigten zudem charakteristische Veränderungen, die auf genetischer Ebene nicht oder nur teilweise erkennbar waren. Seit längerem ist bekannt, dass Veränderungen des Gens ATRX mit dem alternativen Mechanismus assoziiert sind. Die Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass der ATRX/DAXX Proteinkomplex in allen Tumoren dieser Untergruppe verändert ist, auch wenn keine erkennbare genetische Mutation vorlag.
„Diese deutlichen molekularen Unterschiede spiegeln sich auch im unterschiedlichen klinischen Verlauf dieser Patientengruppe wieder“, betont Frank Westermann. „Bislang werden alle diese jungen Patienten mit den gleichen Chemotherapie-Protokollen behandelt. Diese Therapien greifen vor allem schnell wachsende Krebszellen an. Krebszellen mit dem alternativen Mechanismus wachsen aber eher langsam, dafür unendlich und sind extrem widerstandsfähig. Wir haben es hier mit immer wiederkehrenden Tumoren zu tun, die mit diesen Standardtherapien sehr wahrscheinlich nicht optimal behandelt werden“, sagt Westermann. „Im nächsten Schritt werden wir daran arbeiten, eine spezifische Therapie für diese Tumoren zu entwickeln, weil diese Kinder ganz dringend neue Behandlungskonzepte brauchen. Solche Konzepte könnten vermutlich auch bei anderen Krebsarten, die diesen speziellen Telomer-Verlängerungsmechanismus nutzen, zum Einsatz kommen.“
Originalpublikation:
L.S. A. Hartlieb, L. Sieverling et al. Alternative lengthening of telomeres in childhood neuroblastoma from genome to proteome. In: Nature Communications (Online Publikation 24. Februar 2021). DOI: 10.1038/s41467-021-21247-8
Das Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ)
Das „Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg“ (KiTZ) ist eine kinderonkologische Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums, des Universitätsklinikums Heidelberg und der Universität Heidelberg. Wie das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, das sich auf Erwachsenenonkologie konzentriert, orientiert sich das KiTZ in Art und Aufbau am US-amerikanischen Vorbild der so genannten "Comprehensive Cancer Centers" (CCC). Das KiTZ ist gleichzeitig Therapie- und Forschungszentrum für onkologische und hämatologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Es verfolgt das Ziel, die Biologie kindlicher Krebs- und schwerer Bluterkrankungen wissenschaftlich zu ergründen und vielversprechende Forschungsansätze eng mit der Patientenversorgung zu verknüpfen – von der Diagnose über die Behandlung bis hin zur Nachsorge. Krebskranke Kinder, gerade auch diejenigen, für die keine etablierten Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen, bekommen im KiTZ einen individuellen Therapieplan, den Experten verschiedener Disziplinen in Tumorkonferenzen gemeinsam erstellen. Viele junge Patienten können an klinischen Studien teilnehmen und erhalten damit Zugang zu neuen Therapieoptionen. Beim Übertragen von Forschungserkenntnissen aus dem Labor in die Klinik übernimmt das KiTZ damit Vorbildfunktion.
Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg: Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang
Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit fast 2.000 Betten werden jährlich rund 65.000 Patienten vollstationär, 56.000 mal Patienten teilstationär und mehr als 1.000.000 mal Patienten ambulant behandelt. Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der Deutschen Krebshilfe hat das Universitätsklinikum Heidelberg das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg etabliert, das führende onkologische Spitzenzentrum in Deutschland. Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit studieren ca. 3.700 angehende Ärztinnen und Ärzte in Heidelberg. www.klinikum-heidelberg.de
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD), der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg und der Deutschen Krebshilfe (DKH). Ziel des NCT ist es, vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung möglichst schnell in die Klinik zu übertragen und damit den Patienten zugutekommen zu lassen. Dies gilt sowohl für die Diagnose als auch die Behandlung, in der Nachsorge oder der Prävention. Die Tumorambulanz ist das Herzstück des NCT. Hier profitieren die Patienten von einem individuellen Therapieplan, den fachübergreifende Expertenrunden, die sogenannten Tumorboards, erstellen. Die Teilnahme an klinischen Studien eröffnet den Zugang zu innovativen Therapien. Das NCT ist somit eine richtungsweisende Plattform zur Übertragung neuer Forschungsergebnisse aus dem Labor in die Klinik. Das NCT kooperiert mit Selbsthilfegruppen und unterstützt diese in ihrer Arbeit. Seit 2015 hat das NCT Heidelberg in Dresden einen Partnerstandort. In Heidelberg wurde 2017 das Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) gegründet. Die Kinderonkologen am KiTZ arbeiten in gemeinsamen Strukturen mit dem NCT Heidelberg zusammen.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
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