Finanzen / Bilanzen

Mehr gesunder Menschenverstand für die Marktwirtschaft

Je erfolgreicher die Marktwirtschaft für den Wohlstand der Weltbevölkerung ist, desto mehr scheint sie um ihren Bestand bangen zu müssen. Zweifelsohne haben es dank Marktwirtschaft und Globalisierung Hunderte Millionen aus der Armut geschafft – behauptet wird aber oft das Gegenteil.

„Der Aktienmarkt scheint einer der letzten Märkte zu sein, der sich nach realwirtschaftlichen Aspekten im gewissen Rahmen rational, also marktwirtschaftlich, verhält. Auch erfüllt er im Wesentlichen die Lenkungsfunktion, das bedeutet das Unternehmen erhält am meisten Geld durch die Anleger, welches es wertschöpfend einsetzen kann“, erklärt Thomas Böckelmann, leitender Portfoliomanager der Vermögensmanagement Euroswitch. Diese Lenkungsfunktion werde aber zunehmend politisch beeinflusst. „Insbesondere die Dekarbonisierungs-Ziele der Regierungen finden ihren Weg in Anlagevorschriften und Anlageempfehlungen, die ungeachtet betriebswirtschaftlicher Effizienz immer mehr Anlagegelder in Unternehmen spült, die zwar ‚grün‘ sind, aber nicht zwingend erfolgreich und damit wertschöpfend“, wundert sich Böckelmann. Die Kursentwicklungen mancher grüner Aktien erinnern an die von Kryptowährungen und die Technologieblase 2000 – Enttäuschungen seien daher vorprogrammiert. Da der Zinsmarkt beginnend mit der Finanzkrise 2008 und verstärkt seit der Pandemie kaum mehr eine Marktfunktion übernimmt, da faktisch Interventionen der Notenbanken den maximalen Zins bestimmen und nicht mehr die eigentlichen Risiken der Geldanlage, bleibt der Aktienmarkt trotz jüngster Entwicklungen ohne Alternative. „Es kommt darauf an, die wirklich wichtigen Informationen zu filtern, zu bewerten und selektiv in hohe Qualität zu investieren“, ist Böckelmann überzeugt.

Politik hinkt in vielerlei Hinsicht hinterher

Fehlentwicklungen werden oft dem Markt oder der Wirtschaft zugeschrieben, obwohl politische Fehlentscheidungen wesentlich für ausbleibende Wunschergebnisse verantwortlich sein dürften. Sei es in Fragen zu wenigen Wohnraums, wo Bauverordnungen und Mieterschutzgesetze bis zu Mietdeckeln Neubauten verhindern oder sei es in der aktuellen Impfdebatte, in der man trotz eigener Fehler gerne auf Unternehmen als Schuldige zeigt. „Eigentlich muss man der Marktwirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dankbar sein, dass diese in zehn Monaten Impfstoffe entwickeln, wofür man sonst zehn Jahre benötigt. Statt die Hersteller zu beschimpfen, sollte man jetzt eher an Lösungen arbeiten“, sagt Böckelmann. Neben fehlenden Mengen scheinen auch prinzipiell politisch verursachte Probleme in der Logistik vorzuherrschen. „Es tut gut, dass nach Tagen der Debatte unser Finanzminister am Donnerstag im US-Fernsehsender CNBC erstmals zugab, zu spät Impfstoff bestellt zu haben. Insofern scheint Einsicht der schnellste Weg zur Besserung“, erläutert Böckelmann.

Neues Phänomen: Aufstand der Kleinanleger

Was sich zum Jahresende bereits andeutete, scheint daher Realität zu werden. „Die Impfstoffprogramme dauern schlichtweg zu lange, damit die Weltwirtschaft schnell und stark genug anziehen kann, um die jüngsten Aktienkursanstiege rechtfertigen zu können“, sagt Böckelmann. Mit dieser Erkenntnis nahmen die Kursschwankungen im Monatsverlauf signifikant zu, jedes präsentierte Jahresendergebnis der Unternehmen wurde noch mehr als sonst kritisch hinterfragt. Verstärkt wurden die Marktunsicherheiten auch durch Aktivitäten von Kleinanlegern, die sich über Internetplattformen verabredeten, um gezielt durch starke Hebelung ihrer Geldeinsätze gegen die Positionen von Finanzinstitutionen zu spekulieren. „Dass hinter jeder Aktie ein Unternehmen mit Mitarbeitern steht, dass die Märkte eng miteinander verbunden und Kettenreaktionen nicht auszuschließen sind, scheint den handelnden Akteuren entweder nicht bewusst oder völlig egal“, fasst Böckelmann zusammen. Bei den Aktionen ging es nicht nur um kleinere Aktientitel. Selbst Nokia, einer der fünfzig größten Aktientitel Europas, erlebte Kursschwankungen von 30 % binnen weniger Minuten. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Kapitalmärkte strengere Regulierungen erfahren, um solchen Ereignissen Einhalt zu gebieten“, so Böckelmann.

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