Preissprung im Januar – kommt jetzt die Inflation?
Januar-Preissprung übertrifft alle Erwartungen und schürt neue Inflationssorgen
Aufgrund der Corona-Pandemie, die zumindest vorerst insgesamt die Inflation dämpfte, sowie aufgrund mehrerer Sonderfaktoren (temporäre Mehrwertsteuersenkung, niedrigere Energiepreise) schwächte sich die Verbraucherpreisinflation (VPI) im Jahr 2020 auf lediglich 0,5% (2019: 1,4%) ab. In unserem im Dezember veröffentlichten Ausblick 2021 hatten wir gleich mehrere Gründe angeführt, warum mit einem Anstieg der Inflationsrate in diesem Jahr zu rechnen sei. Vor dem Hintergrund der absehbaren Wirtschaftserholung, der Wiederanhebung der Mehrwertsteuersätze, steigender Energiepreise sowie der Einführung einer CO2-Bepreisung in den Bereichen Verkehr und Wärme gingen wir von einer spürbaren Beschleunigung der Inflationsrate auf immerhin 1,4% im Jahresdurchschnitt 2021 aus.
Obwohl sich aus den vorgenannten Gründen bereits für den Januar 2021 wieder deutlich positive Werte für die Jahresveränderungsrate des VPI abgezeichnet hatten, übertrafen die Januar-Inflationszahlen die Markterwartungen dennoch deutlich. So machte die (Jahres-) Inflationsrate einen gewaltigen Satz: von -0,3% gg. Vj. im Dezember 2020 auf +1,0% im Januar 2021 (bei einer Konsensprognose von +0,7%). Saisonbereinigt schossen die deutschen Verbraucherpreise sogar um 1,3% nach oben. Auch die Kerninflationsrate zog im Jahresvergleich deutlich an: von +0,4% gg. Vj. im Dezember auf +1,4% im Januar (saisonbereinigter Monatsanstieg: +0.9%). Die Energie- und Nahrungsmittelpreise legten im Monatsvergleich sogar saisonbereinigt um 5,4% bzw. 2% zu.
Auch wenn der Januar-Inflationssprung zu einem großen Teil auf temporäre Ereignisse zurückzuführen ist (Wiederanhebung der Mehrwertsteuer, CO2-Bepreisung, Ölpreisanstieg), erklären diese Sonderfaktoren die neu aufgekommene Inflationsdynamik nicht in Gänze. Unseres Erachtens ist vor allem die Preisdynamik bei den in die Kernrate eingehenden Gütern (Waren ohne Energie) eine genauere Betrachtung wert. Denn im Januar schossen die Preise für diese Warengruppe saisonbereinigt um +2,2% gg. Vm. in die Höhe (stärkster Anstieg seit Februar 1995). Die entsprechende Jahresveränderungsrate stieg dadurch von -1% im Dezember auf +1% im Januar an. Mit Besorgnis nehmen wir zu Kenntnis, dass der Januar-Preisanstieg wesentlich stärker ausfiel als die durch die Mehrwertsteuersenkung bedingte Juli-Preissenkung (+2,2% gg. Vm. im Januar 2021, verglichen mit -1,4% gg. Vm. im Juli 2020).
Welche Gründe sprechen für eine künftig höhere Inflationsdynamik?
Insgesamt rechnen wir zwar (noch) nicht mit einer permanent höheren Inflationsrate von deutlich über 2%. Denn es spricht weiterhin viel für eine strukturell geringe Inflationsdynamik, wie z.B. die negative Output-Lücke, die schwierige Arbeitsmarktsituation und damit die schwächere Verhandlungsposition der Gewerkschaften. Dennoch besteht unserer Meinung nach das Risiko einer sich über die Angebotsseite beschleunigenden Inflationsdynamik.
So könnte die Corona-Pandemie nicht nur die gesamtwirtschaftliche Nachfrage (und damit das tatsächliche BIP) dämpfen, sondern auch das gesamtwirtschaftliche Angebot (und damit das Produktionspotenzial) reduzieren. Schätzungen der Output-Lücke (Abweichungen des tatsächlichen BIP vom Produktionspotenzial) müssen daher im Moment mit noch größerer Vorsicht als sonst interpretiert werden. Da es sich bei der Output-Lücke um eine nicht beobachtbare Größe handelt, die z.B. über eine Produktionsfunktion mit den Inputfaktoren Arbeit und Kapital geschätzt werden muss, ist es durchaus möglich, dass die politischen Entscheidungsträger die Unterauslastung der Produktionsmöglichkeiten überschätzen, indem sie dauerhafte Kapazitätsverluste unterschätzen. Angesichts der umfangreichen fiskal- und geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen könnte sich daher die Inflationsdynamik rasch beschleunigen.
Des Weiteren könnte der erwartete Anstieg der Unternehmensinsolvenzen dazu führen, dass die überlebenden Unternehmen eine größere Preissetzungsmacht erlangen. Um ihre von der Pandemie in Mitleidenschaft gezogenen Gewinnmargen zu steigern, könnten sie letztlich zu Preiserhöhungen greifen – insbesondere dann, wenn sich die durch die Pandemie aufgestaute Nachfrage abrupt entlädt. Mittelfristig könnte der Lohn- und Preisdruck auch deshalb zunehmen, weil die rasche Alterung der Bevölkerung zu einem absehbar höheren Arbeitskräftemangel führt. Ebenso dürften höhere Sozialversicherungsbeiträge (für die gesetzliche Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung) in den Jahren 2022/23 die Lohnnebenkosten der Arbeitgeber nach oben treiben und damit zusätzlichen Preisdruck entfachen. Und letztlich könnten auch die leeren Staatskassen zu einer größeren Inflationsbeschleunigung beitragen. Aufgrund der angespannten Finanzsituation der öffentlichen Haushalte könnte es durchaus sein, dass die staatlich administrierten Preise für einige Güter und Dienstleistungen des öffentlichen Bereiches bald deutlich angehoben werden.
Die oben genannten Inflationsrisiken könnten eintreten, wenn die ultraexpansive Geld- und Fiskalpolitik über Gebühr beibehalten wird ("zu lange zu locker"). Sollten sich in einem solchen Szenario die über die letzten Jahre stetig zugenommenen Verflechtungen zwischen Fiskal- und Geldpolitik (Stichwort: "fiskalische Dominanz") tatsächlich als ein Hindernis in der Inflationsbekämpfung erweisen, könnte dies schließlich zu einem Anstieg der Inflationserwartungen in der Bevölkerung und damit auch tatsächlich zu einer dauerhaft höheren Inflationsdynamik führen.
Deutsche Inflationsrate von bis zu 3% gegen Jahresende 2021 möglich
Insgesamt rechnen wir nunmehr damit, dass die VPI-Inflationsrate im Jahresdurchschnitt 2021 auf 2,0% ansteigen dürfte (Dezember-Prognose: 1,4%). Dies liegt zuallererst auch daran, dass die Energiepreise sehr viel höher liegen dürften als bislang gedacht. Denn in der Zwischenzeit haben die Zulassungen von COVID-19-Impfstoffen und die Entscheidung der OPEC, die Ölförderung im Jahr 2021 nur langsam zu erhöhen, den Ölpreisen ordentlich Auftrieb gegeben. Insbesondere im Zeitraum März bis Mai dürfte es zu deutlichen Basiseffekten bei der Inflationsrate kommen. Denn dann dürfte der Ölpreisanstieg (im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreswert und in EUR gerechnet) seinen Hochpunkt erreichen. So rechnen wir damit, dass allein die VPI-Energiepreise die Inflationsrate in diesem Jahr um einen halben Prozentpunkt anschieben. Außerdem dürfte sich der Inflationsbeitrag der Nahrungsmittelpreise weiter erhöhen (auf ca. einen Viertel Prozentpunkt). Und schließlich rechnen wir angesichts der starken Januarzahlen ebenso mit einer leicht höheren Kerninflationsrate von rund 1,5% (Dezember-Prognose: 1,4%).
Sowohl aktuelle Monatsdaten zum Einkaufsmanagerindex (wie z.B. die Input- und Output-Preise sowie die Kapazitätsauslastung im Verarbeitenden Gewerbe) als auch die stark gestiegenen Frachtraten im Schiffsverkehr deuten im Moment auf einen wesentlich stärkeren Preisdruck auf Seiten der Unternehmen hin, der auch die Verbraucherpreise nicht unberührt lassen dürfte. Aufgrund der derzeitigen Preisbewegungen halten wir es nunmehr sogar für möglich, dass die (Jahres-) Inflationsrate zum Jahresende hin mitunter Werte von bis zu 3% erreichen könnte. Sollten die preistreibenden Sonderfaktoren im ersten Quartal 2022 – wie von den Notenbanken in Aussicht gestellt – wieder verschwinden, könnte die Inflationsrate allerdings wieder auf rund 1 ½% zurückgehen und im Gesamtjahr 2022 einen Wert von ca. 1,3% erreichen.
Angesichts der überraschend hohen Januar-Inflationszahlen sehen wir aber für die Zukunft inzwischen mehr Aufwärts- als Abwärtsrisiken. Insbesondere eine über die Angebotsseite in Gang kommende Inflationsdynamik – gepaart mit einer zu zögerlichen bzw. verspäteten Abkehr von der ultra-expansiven Geld- und Fiskalpolitik – stellen unserer Einschätzung nach ein Hauptrisiko für eine künftig höhere Inflationsdynamik dar.
Ein ausführlicher Artikel zu den deutschen Inflationsperspektiven findet sich auch in unserer aktuellen Ausgabe des Ausblicks Deutschland vom 19. Februar 2021.
Original in englischer Sprache erschienen am 25. Februar.
Preissprung im Januar – kommt jetzt die Inflation? (dbresearch.de)
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