Vorbild TraumaNetzwerk: Kliniknetzwerk darf nicht an Ländergrenzen enden
Eine Pandemie und ein Massenanfall von Verletzten, wie etwa bei einem Zugunglück, haben eines gemeinsam: zu viele Patienten für zu wenig Kapazitäten. So gibt es beim Terroranschlag in kürzester Zeit ungewöhnlich viele Patienten, die medizinisch versorgt werden müssen. Bei einer Epidemie oder Pandemie steigen die Zahlen eher langsam, dafür aber über einen längeren Zeitraum unaufhörlich. Anders als bei der organisierten Schwerverletztenversorgung sind viele Krankenhäuser auf einen Massenanfall an Erkrankten im Falle einer Pandemie nur bedingt vorbereitet. Überdurchschnittlich viele Patienten müssen in Kliniken aufgenommen werden, wobei es regional sehr große Unterschiede bei der Erregerausbreitung gibt. Schnell muss klar sein, wer verfügt über freie Betten, freie Intensivkapazitäten und Fachpersonal. Falls regional eine Klinik mit ihren Ressourcen an ihre Grenzen stößt, müssen Patienten frühzeitig in andere Kliniken verlegt und aufgenommen werden. Hier spielt der Zeitpunkt der Verlegung eine entscheidende Rolle. In der Realität scheitert das Vorhaben nicht selten an den föderalen Krankenhausstrukturen, die an Ländergrenzen enden. Bei einer Überlastung ist es dann sehr aufwändig, länderübergreifend Patienten zu verlegen oder überhaupt Krankenhäuser zu finden, die Patienten aufnehmen können. Denn für diesen Fall existieren keine strukturierte Steuerung, etablierte Kommunikationswege und gemeinsam genutzte Telematikstrukturen.
„Länderübergreifende Netzwerkstrukturen wie in unserem Akutnetzwerk bringen für die Patienten einen Riesenvorteil. Denn kein Krankenhaus steht bei einem Massenanfall an Verletzten alleine da. Wenn alle Betten voll sind, ist klar, welche Klinik angefragt werden kann und welche gegenseitigen Aufnahmeverpflichtungen bestehen“, sagt Prof. Dr. Benedikt Friemert, Mitglied der DGU-AG Einsatz-, Katastrophen- und Taktische Chirurgie und DGU-Vizepräsident. „Mit dem Ausrollen der Netzwerkstrukturen von 700 Kliniken, angepasst an die Notwendigkeiten einer Pandemie, auf die insgesamt über 2000 Krankenhäuser, würde beispielsweise eine flächendeckende telemedizinische Vernetzung zwischen allen Kliniken in Deutschland etabliert. Diese könnte auch über die aktuelle Lage hinaus Bestand haben.“ Denn es gibt zwar bereits jetzt schon lokale und regionale Krankenhauskooperationen, aber sie sind unterschiedlich organisiert und haben verschiedene digitale Standards.
Vor mehr als 15 Jahren sah die Situation bei der Schwerverletztenversorgung nicht anders aus: „Ich erinnere mich an eine Zeit, in der nach einem Unfall ein Rettungswagen oder Hubschrauber mehrere Krankenhäuser anfahren bzw. kontaktieren musste, bis die Schwerverletzten von einer Klinik mit entsprechenden Schockraumressourcen, Fachpersonal und freien Betten aufgenommen wurden. Diese Zeitverzögerung ist zum erheblichen Nachteil für die Patienten“, sagt DGU-Generalsekretär Prof. Dr. Dietmar Pennig, einer der Mitbegründer des Akutnetzwerks. Damals schrieben Unfallchirurgen die optimalen Bedingungen für die Versorgung von Schwerverletzten im Weißbuch Schwerverletztenversorgung fest und gründeten die Initiative TraumaNetzwerk DGU® (TNW). Ziel ist es, jedem Schwerverletzten an jedem Ort zu jeder Zeit bestmögliche Überlebenschancen unter standardisierten Qualitätsmaßstäben zu bieten und auch außerhalb der Ballungszentren eine optimale Versorgung zu gewährleisten. Auch die Versorgung von Schwerstverletzten bei Massenanfällen wurde mitbedacht und seitdem weiterentwickelt. Die Kliniken haben sich regional und grenzüberschreitend zu 53 zertifizierten Netzwerken flächendeckend zusammengeschlossen.
Vorteile des TraumaNetzwerk DGU® (TNW):
Netzwerke machen nicht an Ländergrenzen halt
- regionaler Zusammenschluss von mindestens einem überregionalen, zwei regionalen und drei lokalen Traumazentren
- Eine nachträgliche Aufnahme weiterer Kliniken in ein bereits zertifiziertes TraumaNetzwerk ist möglich.
- An der Initiative nehmen gegenwärtig Kliniken aus Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, Belgien und Luxemburg teil.
Verbund von Netzwerken
- Es bestehen Vereinbarungen zur erleichterten Kommunikation inklusive definierter und hinterlegter Notfallnummern sowie Vereinbarungen zur Zusammenarbeit mit anderen TraumaNetzwerken im Katastrophen- und Massenanfall.
- abgestimmte Versorgungsstandards und qualitätsgestützte Kooperation zwischen den Kliniken eines TraumaNetzwerks, insbesondere Absprachen zur Verlegung von Patienten
- Optimierung der Prozess- und Strukturqualität durch eine zertifizierte Vernetzung geprüfter Unfallkliniken (TraumaZentren) einer Region
Nutzung einer gemeinsamen Telematikstruktur
- Es kann auf die etablierte telemedizinische Vernetzung der beteiligten Zentren zur Übermittlung von Befund- und Bilddaten zurückgegriffen werden. Diese ist innerhalb der Netzwerke verpflichtend.
- Fast alle Netzwerke sind an die gemeinsame Telemedizinstruktur TKmed angebunden, die mit Wachstum des Netzes beliebig weiter ausgebaut werden kann.
Optimierte Nutzung gemeinsamer Ressourcen
- enge Kooperation der Netzwerkklinken in den Bereichen Diagnostik, Therapie, Qualitätssicherung und Forschung
- Unterstützung bei der Behandlung von komplexen Verletzungsmustern
- Einbindung in Absprachen mit dem primären und sekundären Schwerverletztentransport
Steuerung von Patientenflüssen
- definierte Kriterien für die Zuweisung eines Schwerverletzten oder Erkrankten in eine Klinik
- Aufnahmegarantie durch die zertifizierten Kliniken
- Regelungen zur Weiterverlegung von Patienten innerhalb des Netzwerks
- garantierte Aufnahme von Schwerverletzen rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr
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