Gastronomie: Jedem fünften Betrieb in Hessen droht Pleite noch in diesem Jahr
Gewerkschaft und Arbeitgeberverband berufen sich auf Berechnungen des Informationsdienstleisters Crifbürgel. Demnach liegt der Anteil insolvenzgefährdeter Unternehmen in Hessens Gastronomie aktuell schon bei rund 13 Prozent. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Insolvenzantragspflicht nach wie vor ausgesetzt ist. Laut der Auskunftei Crifbürgel, die unter anderem die Kreditwürdigkeit von Unternehmen prüft, könnte die Zahl der akut von der Pleite bedrohten Gastro-Betriebe im Bundesland noch in diesem Jahr auf rund 20 Prozent ansteigen. Nach Einschätzung der Branchenvertreter sei die Insolvenzgefahr im Beherbergungsgewerbe sogar noch höher. Die Zahl der Gäste-Ankünfte brach zwischen Weser und Odenwald im vergangenen Jahr um 57 Prozent ein, so das Statistische Landesamt.
„Bund und Länder haben zuletzt zwar eine Öffnung der Außengastronomie bei niedrigen Inzidenzen in Aussicht gestellt. Angesichts der Nöte gerade auch der Beschäftigten, die seit Monaten mit dem niedrigen Kurzarbeitergeld über die Runden kommen müssen, reicht das aber nicht aus“, so NGG-Regionalchef Cox.
Jüngst habe der DEHOGA Hessen eine erneute Umfrage unter den Unternehmen zu den aktuellen Beschlüssen durchgeführt. Der Hauptgeschäftsführer des DEHOGA Hessen Julius Wagner ergänzt in diesem Zusammenhang: „Die in Aussicht gestellte Öffnung der Außengastronomie ist keine echte Perspektive. 83,2 Prozent der befragten Betriebe verweisen darauf, dass die Wirtschaftlichkeit ihres Betriebes bei einer alleinigen Öffnung der Außengastronomie nicht gegeben ist.“ Hinzukäme, dass viele Betriebe keinen Außenbereich hätten. „Das ist eine Möhre, die man der Branche vor die Nase hält.“
Gewerkschaftsführer Cox und Arbeitgeberpräsident Kink betonen gemeinsam: Die Politik solle wie auch beim Handel anerkennen, dass das Gastgewerbe bereits im letzten Jahr umfassende Hygienekonzepte vorgelegt habe, die Corona-Ausbrüche in Restaurants und Hotels verhindert hätten. „Niemand will, dass ein Abendessen in der Gaststätte zum Hotspot wird. Aber wenn die Kontaktnachverfolgung über die Luca-App, Abstände und Hygienemaßnahmen strikt befolgt werden, müssen Öffnungen im breiten Umfang auch bald wieder möglich sein“, so Cox.
Verband und Gewerkschaft fordern Öffnung der Hotels auch für Privatgäste
Zuletzt habe das RKI insbesondere der Hotellerie bescheinigt, dass dort nur ein geringes Ansteckungsrisiko bestehe. Diese validierte Erkenntnis fände keinerlei Niederschlag mit Blick auf die aktuellen Lockerungen. „Wenn wir Bau- und Gartenmärkte sowie die Friseure öffnen, so ist die fortdauernde Schließung von Hotels für dieselben Bürgerinnen und Bürger nicht nachvollziehbar.“, so DEHOGA Hessen-Präsident Gerald Kink.
Kink fordert die Landesregierung außerdem zu Nachbesserungen bei den Wirtschaftshilfen auf. „Gastronomen und Hoteliers mussten teils Monate warten, bis die als unbürokratisch und schnell angekündigten Hilfen eintrafen. Die Existenzgefahr vieler Betriebe hat sich damit verschärft.“ Dringend geboten sei die Berücksichtigung des Unternehmerlohns, der in keinem Hilfsprogramm bisher vorgesehen ist. „Die Zahl der Unternehmerinnen und Unternehmer, deren Rücklagen aufgebraucht, die überschuldet sind und am Rande ihrer wirtschaftlichen Belastbarkeit stehen, wächst mit jedem Tag.“
Dies spiegelt auch die aktuelle Branchenbefragung wieder: Die Teilnehmer der DEHOGA-Umfrage melden für den Februar Umsatzeinbußen in Höhe von 77,9 Prozent. Seit 1. März 2020 brach der Umsatz bis heute um insgesamt 63,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein. Infolge der massiven Verluste, der fehlenden Perspektiven und der nicht ausreichenden staatlichen Hilfen bangen 72,2 Prozent der Unternehmer um ihre Existenz.
Laut Statistischem Landesamt sank der Umsatz in der Branche im vergangen Jahr um mehr als 46 Prozent. Im Jahr 2019 hatte der Umsatz der Branche in Hessen nach Informationen des DEHOGA bei knapp 9,5 Milliarden Euro gelegen.
Konkrete Alternativen zum pauschalen Lockdown
Der Perspektivplan des Landes Hessen sei zu wenig konkret und berücksichtige wesentliche Erkenntnisse und Erfahrungen seit Beginn des Umgangs der Betriebe mit der pandemischen Lage nicht. Peter-Matin Cox und Gerald Kink fordern für die rund 185.000 Beschäftigten und 18.0000 Betriebe im hessischen Gastgewerbe die Aufnahme in die Priorisierungsgruppe 3 des Impfplans und damit einhergehend die Zulassung von Impfungen durch die Betriebsärzte und arbeitsmedizinischen Dienste. „Damit kommen wir nicht nur der Herdenimmunität, dem Gesundheitsschutz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch einer Rückkehr zur Arbeit ein wesentliches Stück näher!“, so Kink.
Nach Rücksprache von Gewerkschaft und Verband unterstützte insbesondere die für die Branche zuständige Berufsgenossenschaft (BGN) diese Forderung und ihre Umsetzbarkeit.
Barbara Brendel, die stellvertretende Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Steigenberger Hotels AG ergänzt aus Sicht der NGG: „Die Beschäftigten in Hotellerie und Gastronomie befolgen duldsam alle Regeln auch zum Schutz der Gäste und ihrer Kolleginnen und Kollegen. Es ist richtig, das Personal im Lebensmitteleinzelhandel in der Gruppe 3 zu impfen. Genauso richtig ist das für die Mitarbeitenden des Gastgewerbes.“
Auf dem Weg aus dem pauschalen Lockdown sowohl für Gastronomie, Hotellerie sowie die Messe- und Veranstaltungswirtschaft müssen Schnelltest nunmehr verbindlich Eingang in die Öffnungskonzepte finden. Sowohl Cox als auch Kink machen allerdings deutlich: „Schnelltest in der Gastronomie, egal, ob innen oder außen, sind vollkommen unpraktikabel. Sie können aber die Hochzeit, den runden Geburtstag, die Firmentagung oder auch die Messe selbst bei steigenden Inzidenzen sicher und früher ermöglichen.“ Notwendig dafür sei die Anerkennung im Rahmen der Schutzkonzepte durch die Gesundheitsbehörden. Dazu müsse der Weg auf Landesebene geebnet werden.
Beide Spitzenvertreter des Gastgewerbes vermissen sichtbare Anstrengungen der politischen Entscheidungsträger in Bund und Land alles dafür zu tun, dass die unverschuldet in Not geratenen Betriebe eine Chance zum Überleben haben und keinen Tag länger als gesundheitspolitisch geboten geschlossen bleiben.
Kink: „Wir lassen an vielen neuralgischen Stellen zu, dass Bürokratie und Bedenken – die nicht gesundheitspolitisch motiviert sind – unsere Branche im Lockdown halten. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und wir sind bereit, unseren Beitrag jetzt zu leisten, wie seit Beginn der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Die Politik ist unlängst am Zuge.“ Dazu ergänzt Peter-Martin Cox: „Verantwortungsbewusste Unternehmen und Beschäftigte müssen wieder in eine verantwortbare Lage versetzt werden, ihren Job zu machen. Alles andere ist weder gut für die Arbeit noch für die Menschen.“
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