Goethe Medienpreis prämiert journalistische „Grenzfälle“
Prämiert werden drei Arbeiten, die 2019 und 2020 im SZ-Magazin der Süddeutschen Zeitung, der Wochenzeitung DIE ZEIT sowie im Norddeutschen Rundfunk publiziert wurden. Ihre Themen berühren Grenzen und Grenzgebiete ganz unterschiedlicher Art:
Für die Süddeutsche Zeitung gehen Patrick Bauer, Patrick Illinger und Till Krause in einer tief schürfenden Recherche dem Fall des Tübinger Professors Nils Bierbaumer nach, der behauptete die Gedanken von unheilbar an der Nervenkrankheit ALS leidender Patienten entschlüsseln zu können. Dabei treten jedoch immer größer werdende Unstimmigkeiten zwischen Datenlage und öffentlichen Erfolgsmeldungen auf. Insbesondere die Daten, auf denen die vermeintlichen Forschungsergebnisse basieren, können bei Nachprüfungen von anderen Experten nicht nachvollzogen werden. Die Jury erkannte dieser auch journalistisch herausragend umgesetzten Arbeit ("Wunschdenken", erschienen am 11.4.2019 im SZ-Magazin) den ersten Preis zu, der mit 4000 ? dotiert ist.
In ein völlig anderes – digitales – Grenzgebiet wagt sich die Journalistin Nele Rößler vor: Sie beschreibt, den drastisch steigenden Einfluss so genannter "Modellierungen" auf politische Entscheidungsprozesse, was öffentlich bisher kaum bekannt ist. Modellierungen sind mathematische Berechnungen, die in verschiedenen Varianten existieren. Sie kommen beispielsweise in der Klimaforschung zum Einsatz auch in der COVID-19-Forschung: Nele Rößler bringt nach einem aufwändigen Rechercheprozess in ihrem Podcast ("Modellierungen – Nerdwissen im Fokus", gesendet am 22.5.2020 im NDR) Licht ins Dunkle dieses Grenzgebiets zwischen digitalem Hintergrundwissen und politischen Entscheidungsstrukturen und erhält dafür von der Jury den mit 1800 ? dotierten zweiten Preis.
Die mit 1000 ? dotierte dritte Preisträgerarbeit von Martina Keller ("Tod wider Willen", erschienen am 10. 6.2020 in DIE ZEIT), führt die Leserinnen und Leser in das Grenzgebiet zwischen Leben und Tod – in diesem Fall in das ambivalente Gebiet der Sterbehilfe in den Niederlanden. Keller schildert auf Basis einer sehr fundierten Recherche das Schicksal einer dementen Patientin, die trotz eines nicht eindeutig artikulierten Willens durch ihre behandelnde Ärztin zu Tode gebracht wird. Sie nimmt diesen Fall zum Anlass, auf der Basis von Expertenmeinungen ein grundsätzliches Panorama von Befürwortern und Gegnern einer Sterbehilfepraxis zu Wort kommen zu lassen. Es zeigt sich, als wie fragil "letzte" Willenserklärungen von Sterbewilligen einzuschätzen sind.
Der Präsident der Goethe-Universität, Prof. Dr. Enrico Schleiff, sagte: "Der Goethe-Medienpreis zeigt, in wie vielfältiger und zum Teil überraschender Weise sich ein hoher Qualitätsanspruch im wissenschafts- und hochschulpolitischen Journalismus realisieren lässt. Die von der Jury ausgewählte Themen sind nicht nur von hoher gesellschaftlicher Relevanz, sondern auch ein Dokument von hoher wissenschaftlicher Selbstreflektion, was zur besseren Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Gesellschaft beiträgt. Damit gehen vom Goethe-Medienpreis immer wieder wertvolle Denkanstöße für Wissenschaft, Gesellschaft und Politik aus. Wir danken unseren Partnern, der FAZIT-Stiftung und dem Deutschen Hochschulverband, für ihr langjähriges Engagement."
Für die Jury erklärte der frühere Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Werner D´Inka: "Die ausgezeichneten Arbeiten sind Musterbeispiele für sorgfältige Recherche, kenntnisreiche Darstellung und für eine Sprache, die ihrem Thema gerecht wird. Wer meint, der nachforschende, nachfragende, nachhakende Journalismus sei von gestern, wer findet, eine flotte Schreibe sei doch lässiger als das Abwägen von Für und Wider, wer glaubt, dem Prinzip "Keine Ahnung, Hauptsache Meinung" gehöre die Zukunft, muss nach Lektüre der Beiträge von Patrick Bauer, Patrick lllinger und Till Krause sowie von Nele Rößler und von Martina Keller ganz kleinlaut werden. Die Jury findet: Das ist Journalismus par excellence, heute und auch noch in hundert Jahren."
Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes (DHV), Prof. Dr. Bernhard Kempen, betonte: "In einer zunehmend ,verwissenschaftlichten‘ Welt sind Journalistinnen und Journalisten nicht nur unverzichtbare Vermittler, die oftmals hochspezialisierte wissenschaftliche Erkenntnisse allgemein verständlich übersetzen helfen. Sie müssen vor allem auch kritische, ja manchmal unbequeme Beobachterinnen und Beobachter sein, die Fehlentwicklungen in der Wissenschaft aufdecken und zu grundlegenden Reflexionen anregen. Mein herzlicher Glückwunsch geht an die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger, die dies in herausragender Weise tun. Sie stehen mit ihren Arbeiten für qualitätsbewussten wissenschafts- und hochschulpolitischen Journalismus, den der Goethe-Medienpreis als bundesweit erste Auszeichnung im zweijährigen Rhythmus seit 2008 prämiert. Angesichts anhaltender redaktioneller Schrumpfkuren ist diese Auszeichnung wichtiger denn je, weil sie den Wert von Qualitätsjournalismus unte
rstreicht."
Der Goethe-Medienpreis ging 2020 in die siebte Ausschreibungsrunde. 2008 auf Initiative der Goethe-Universität gegründet und von der FAZIT-Stiftung sowie dem DHV mitgefördert, ist er bis heute die einzige Auszeichnung im deutschsprachigen Raum, bei der ausschließlich die Arbeiten wissenschafts- und hochschulpolitisch tätiger Journalisten im Fokus stehen. Seit 2008 wurden 18 Preisträgerinnen und Preisträger prämiert und Preisgeldern in Höhe von insgesamt fast 45.000 Euro in den Kategorien Print, Online und Hörfunk vergeben. Die Jury aus renommierten Fachleuten (s.u.) hatte in dieser Zeit die Qual der Wahl zwischen fast 300 Bewerbungen zumeist überregionaler Leitmedien. Damit hat sich der Goethe-Medienpreis als unabhängige Auszeichnung im breiten Feld der mehr als 300 deutschen Journalistenpreise etabliert.
Der Goethe-Medienpreis wird am 31. Mai 2021 im Rahmen der "Gala der Deutschen Wissenschaft" des DHV verliehen. Die Gala, die ausschließlich online stattfinden wird, wird gestreamt.
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