Klimaneutralität in Deutschland bereits 2045 möglich
Rainer Baake, Direktor der Stiftung-Klimaneutralität: „Klimaneutralität ist ein Rennen gegen die Zeit. Inzwischen sind immer häufigere Extremwetterlagen von einer bedrohlichen Prognose zur bedrückenden Realität geworden. Der einschneidende Kurswechsel in den Vereinigten Staaten verdeutlicht die wachsende Dynamik bei der Klimaambition. Vor diesem Hintergrund liegt die Frage auf der Hand, ob auch wir in Deutschland beim Klimaschutz schneller werden können. Die Antwort ist ein klares ‚Ja‘. Was wir jetzt brauchen, ist der politische Wille, das auch umzusetzen.“
Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende: „Die globalen Leitmärkte in Nord-Amerika, Europa und Asien orientieren sich jetzt alle am Leitbild der Klimaneutralität. Wenn die deutsche Industrie der Technologielieferant für die Welt in Sachen Klimaneutralität sein will, muss sie der Entwicklung in anderen Ländern immer ein Stück voraus sein. Klimaneutralität 2045 bedeutet allein in Deutschland einen Markt für Erneuerbare Energien von etwa 30 Gigawatt pro Jahr, eine Sanierungsrate von 1,75 Prozent pro Jahr und einen schnellen Hochlauf der Wasserstoff-Technologie. Ja, das ist ambitioniert. Aber machbar. Und vor allem: Es ist gut für den Standort Deutschland und das Klima.“
Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende: „Mehr Tempo auf dem Weg zur Klimaneutralität bedeutet in diesem Szenario für den Verkehr vor allem mehr Tempo bei der Antriebswende. E-Pkw sowie Lkw mit batterieelektrischem, Oberleitungs- oder Brennstoffzellenantrieb müssten noch schneller auf den Markt kommen, um Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren bereits bis 2045 nahezu vollständig zu ersetzen. Das ist eine große Herausforderung, wenn der dafür nötige Strukturwandel ökonomisch und sozial gelingen soll. Und wie schon im Szenario für 2050 geht der technologische Wandel einher mit einem Wandel im Mobilitätsverständnis: mit weniger privaten Pkw und mehr öffentlichen und geteilten Verkehrsmitteln.“
Klimaschutztechnologien als ökonomische Erfolgsstrategie
Ein Minderungsziel von 65 Prozent bis 2030 – wie es auch in der Vorgängerstudie Klimaneutrales Deutschland 2050 zu Grunde gelegt wurde – ist als Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 geeignet und kann die Voraussetzungen für eine beschleunigte Transformation nach 2030 schaffen. Insgesamt werden Klimaschutztechnologien, die sich bereits im Markt befinden oder bis 2030 im Markt angelaufen sind, in den Folgejahren schneller hochgefahren. Dabei wirddavon ausgegangen, dass einmal getätigte Investitionen nicht vorzeitig abgeschrieben werden müssen. Verhaltensänderungen aufgrund eines steigenden Bewusstseins für die Dringlichkeit des Klimaproblems in der Bevölkerung sind zwar plausibel und wünschenswert, wurden jedoch ganz bewusst in dieser Analyse nicht unterstellt, um zu zeigen, welche Minderungen durch ökonomische-technische Strategien möglich sind.
Die Studie zeigt deutlich, dass die Weichen heute richtig gestellt werden müssen, wenn der Übergang zur Klimaneutralität in allen Sektoren gelingen und sogar beschleunigt werden soll. Die drei Klimaschutzorganisationen appellieren gemeinsam an die Politik: „Wer den Strukturwandel erfolgreich gestalten will, der muss in der kommenden Legislaturperiode konsequent Kurs auf Klimaneutralität nehmen. Dann wird auch Klimaneutralität bis 2045 zu einer ökonomischen Erfolgsgeschichte und Deutschland könnte zum Leitmarkt und Leitanbieter für Klimaschutztechnologien werden. Die Bundestagswahl im Herbst wird damit zu einer entscheidenden Wegmarke für den Klimaschutz.“
Für die wichtigsten Wirtschaftssektoren bedeutet das Szenario im Einzelnen:
In der Energiewirtschaft werden Erneuerbare Energien stärker und schneller ausgebaut. Der Stromverbrauch wächst von 2030 bis 2045 um knapp 60 Prozent auf etwa 1.000 Terawattstunden – vor allem durch die weitere Elektrifizierung sowie die steigende inländische Herstellung von Wasserstoff. Der Fokus des Zubaus an Erneuerbaren Energien nach 2030 liegt weiter auf der Windenergie und der Photovoltaik. Wasserstoff gewinnt zunehmend an Bedeutung und löst nach 2040 Erdgas als wichtigsten Energieträger für die regelbare Stromerzeugung ab – in Zeiten, wo weder ausreichend Sonnen- noch Windenergie zur Verfügung stehen.
Die im Jahr 2045 benötigte installierte Leistung von Photovoltaikanlagen beträgt 385 Gigawatt. Gegenüber dem Vergleichsjahr in der Studie Klimaneutrales Deutschland 2050 bedeutet dies eine Steigerung um 70 Gigawatt. Auch für die Windkraft sind nochmals höhere Ausbaukorridore notwendig. Für Windenergie an Land ist im Jahr 2045 eine Erzeugungskapazität von 145 Gigawatt erforderlich, und der Ausbau von Windenergie auf See auf 70 Gigawatt muss auf das Jahr 2045 vorgezogen werden. Gegenüber der Studie Klimaneutrales Deutschland 2050 bedeutet dies für das Jahr 2045 Erhöhungen der installierten Leistung von 17 Gigawatt an Land und 9 Gigawatt auf See.
In der Industrie setzt sich der Trend hin zu Strom und Wasserstoff sowie teilweise Biomasse als Energieträger fort, sodass die Industrie bis zum Jahr 2040 weitestgehend klimaneutral ist. Auch die chemischen Rohstoffe (Feedstocks) werden schon ab 2030 sukzessive durch chemisches Recycling und synthetische, auf nicht-fossilem CO₂ beruhende Einsatzstoffe ersetzt.
Im Gebäudebereich wird nach 2030 die Sanierungsaktivität beschleunigt. Die auf den Gesamtwohnungsbestand bezogene mittlere jährliche Sanierungsrate steigt im Zeitraum 2030 bis 2045 auf annähernd 1,75 Prozent. Diese liegt etwas höher als die 1,6 Prozent, die im Szenario „Klimaneutrales Deutschland 2050“ für den Zeitraum 2030 bis 2050 unterstellt wurden. Gleichzeitig werden die Marktdurchdringung von Wärmepumpen und der Ausbau der Fernwärme gegenüber dem Szenario „Klimaneutrales Deutschland 2050“ für den Zeitraum nach 2030 weiter beschleunigt.
Im Verkehr betreffen die Veränderungen gegenüber dem 2050er-Szenario vor allem die Geschwindigkeit bei der Elektrifizierung. Bereits ab dem Jahr 2032 werden keine Pkw mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen. Bis zum Jahr 2045 werden dann auch im Pkw-Bestand nahezu alle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor durch E-Pkw ersetzt. Auch der Straßengüterverkehr wird bereits ab 2045 fast ausschließlich mit batterieelektrischen, Oberleitungs- und Brennstoffzellenfahrzeugen betrieben, ebenso wie Bus und Bahn. Insgesamt verbleibt die Personenverkehrsleistung dabei in etwa auf dem heutigen Niveau, die Güterverkehrsleistung steigt aufgrund des Wirtschaftswachstums weiter an.
In der Landwirtschaftwerden bis 2045 wesentliche Minderungen über den Umbau der Tierbestände und die Vergärung hoher Wirtschaftsdüngeranteile in Biogasanlagen erreicht. Die wichtigste Änderunggegenüber dem Szenario Klimaneutrales Deutschland 2050 liegt in der konsequenten Fortschreibung aktueller Trends hin zu einer steigenden Nachfrage nach pflanzlichen und synthetischen Ersatzprodukten für Fleisch und Milch. Diese steigt ab dem Jahr 2030 bis zum Jahr 2045 auf einen Anteil von 15 Prozent am gesamten Verbrauch. Für dieses Marktsegment lässt sich bereits heute eine dynamische Entwicklung beobachten (wenn auch auf niedrigem Niveau), sodass eine solche Steigerungsrate eher in der Mitte des Spektrums der zu erwartenden Entwicklungen liegt.
Weitere Informationen
Die Zusammenfassung mit Ergebnissen und Szenario-Annahmen steht auf den Websites der drei Klimaschutzorganisationen unter folgenden Links zum kostenfreien Download bereit:
www.stiftung-klima.de
www.agora-energiewende.de und
www.agora-verkehrswende.de
Die Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ wurde im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende von der Prognos AG, dem Öko-Institut und dem Wuppertal Institut erstellt. Die ausführliche Version der Studie mit Ergebnissen für alle Sektoren, Modellierungsvarianten und Methodenteil wird im Juni veröffentlicht.
Über die Stiftung Klimaneutralität
Die Stiftung Klimaneutralität hat im Juli 2020 in Berlin ihre Arbeit aufgenommen. Ihr Ziel ist es, Wege zur Klimaneutralität aufzuzeigen. Sie entwickelt in enger Kooperation mit anderen Denkfabriken sektorübergreifende Strategien für ein klimagerechtes Deutschland. Auf der Basis von guter Forschung will die Stiftung informieren und beraten – jenseits von Einzelinteressen.
Agora Energiewende und Agora Verkehrswende erarbeiten wissenschaftlich fundierte und politisch umsetzbare Wege, damit die Energiewende sowohl im Strom- als auch im Verkehrssektor gelingt. Die Organisationen agieren unabhängig von wirtschaftlichen und parteipolitischen Interessen und sind ausschließlich dem Klimaschutz verpflichtet.
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