Energie- / Umwelttechnik

Lehren aus Tschernobyl: Verzahnung von Notfall- und Katastrophenschutz

35 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ist Deutschland deutlich besser auf einen radiologischen Notfall vorbereitet als damals. Als Reaktion auf den verheerenden Unfall baute Deutschland unter anderem das Messnetz zur Überwachung der Umweltradioaktivität weiter aus. Damit wurde ein Frühwarnsystem geschaffen, um im Fall eines radiologischen Notfalls rasch und angemessen handeln zu können. Wie wichtig die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in einer Krisensituation ist, zeigt aktuell die Corona-Pandemie. Das BfS spricht sich daher dafür aus, die Zusammenarbeit des radiologischen Notfallschutzes auf Bundesebene mit den Behörden auf Länderebene, insbesondere mit dem Katastrophenschutz weiter voranzutreiben.

Am 26. April 1986 ereignete sich im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl (heute Ukraine) ein schwerwiegender Unfall, bei dem große Mengen Radioaktivität freigesetzt wurden. Diese breiteten sich in den darauffolgenden Tagen auch in Richtung Deutschland aus.

Die Präsidentin des BfS, Inge Paulini, betont: „Deutschland hat aus der Katastrophe von Tschernobyl und auch aus dem Reaktorunglück in Fukushima gelernt. Das Strahlenschutzrecht hat seitdem die Grundlage für ein abgestimmtes einheitliches Vorgehen aller Akteure geschaffen. Die Corona-Pandemie zeigt aber deutlich, wie herausfordernd es ist, bei langanhaltenden Krisen in den bestehenden Strukturen zu belastbaren und für die Bevölkerung nachvollziehbaren Entscheidungen zu kommen. Deshalb wollen wir den Austausch mit den Ländern weiter intensivieren. Dies geschieht beispielsweise schon bei den Notfallplänen, die derzeit überarbeitet und ergänzt werden.“

Auswirkungen der Reaktorkatastrophe auf Deutschland

Die Auswirkungen der Reaktorkatastrophe waren auch in Deutschland deutlich zu erkennen: Im Bayerischen Wald und südlich der Donau wurden beispielsweise wetterbedingt bis zu 100.000 Becquerel radioaktives Cäsium-137 pro Quadratmeter abgelagert, teilweise sogar mehr. In der norddeutschen Tiefebene betrug die Aktivitätsablagerung dieses Radionuklids dagegen selten mehr als 4.000 Becquerel pro Quadratmeter. Neben Cäsium-137 waren auch Cäsium-134, Jod-131 sowie weitere kurzlebige Radionuklide für die Strahlenbelastung verantwortlich. Die zusätzliche Strahlenbelastung einer Durchschnittsperson im Bayerischen Wald und südlich der Donau über ihre Lebenszeit hinweg entspricht etwa der mittleren natürlichen Strahlenbelastung in Deutschland während eines Jahres.

Die radioaktiven Stoffe lagerten sich unter anderem in Wäldern, auf Feldern und Wiesen ab, was damals insbesondere in Süddeutschland zu hohen Jod-131-Konzentrationen in Kuhmilch und erntereifem Blattgemüse führte. Aufgrund fehlender gesetzlicher Vorgaben wurden in Bund und Ländern damals teilweise unterschiedliche Grenzwerte und Maßnahmen empfohlen.

Wesentliche Fortschritte der letzten Jahre

Seitdem ist eine klare Gesetzgebung geschaffen worden. Zusätzlich ist ein gemeinsames Integriertes Mess- und Informationssystems (IMIS) in der Zuständigkeit des Bundes geschaffen worden: Luft, Oberflächengewässer, Lebensmittel, Futtermittel, Böden, Trink- und Grundwasser und Abfälle werden umfassend und schnell beprobt, gemessen und analysiert. Teil dieses Systems ist eine flächendeckende Radioaktivitätsüberwachung rund um die Uhr mithilfe von mehr als 1800 automatischen Sonden.

Mit dem Strahlenschutzgesetz von 2017 wurden die Vorkehrungen für radiologische Notfälle weiter entwickelt. Es sieht unter anderem den Aufbau des Radiologischen Lagezentrums des Bundes (RLZ) unter Leitung des Bundesumweltministeriums vor, in dem in einem radiologischen Notfall Expertise gebündelt wird,  Entscheidungen vorbereitet und Maßnahmen koordiniert werden. Als Teil des RLZ ist das BfS  unter anderem für die Analyse der radiologischen Lage zuständig. Diese Analyse bildet die Grundlage des sogenannten radiologischen Lagebildes des Bundes, welches das RLZ insbesondere für die Länder erstellt. Außerdem koordiniert das BfS alle Messungen und führt alle Daten für das radiologische Lagebild zusammen.

Situation heute

Aufgrund des Zerfalls der radioaktiven Stoffe ist in Deutschland und Mitteleuropa heute nur noch das langlebige Cäsium-137 von Bedeutung. Davon ist seitdem etwas mehr als die Hälfte zerfallen. In landwirtschaftlich erzeugten Lebensmitteln wie Getreide, Fleisch oder Milch sind in Deutschland keine radiologisch relevanten Radioaktivitätsgehalte mehr vorhanden. Allerdings können in einzelnen Speisepilzen und Wildbret auch heute noch in manchen Gebieten in Süddeutschland deutlich erhöhte Cäsium-137-Aktivitäten gemessen werden.

Um auch die Situation in der Ukraine besser bewerten zu können, plant das BfS gemeinsam mit deutschen und ukrainischen Partnerbehörden eine Messkampagne in der Sperrzone von Tschernobyl, die noch in diesem Jahr stattfinden soll.

Über Bundesamt für Strahlenschutz

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) arbeitet für den Schutz des Menschen und der Umwelt vor Schäden durch Strahlung. Das BfS informiert die Bevölkerung und berät die Bundesregierung in allen Fragen des Strahlenschutzes. Die über 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewerten Strahlenrisiken, überwachen die Umweltradioaktivität, unterstützen aktiv im radiologischen Notfallschutz und nehmen hoheitliche Aufgaben wahr, darunter im medizinischen und beruflichen Strahlenschutz. Ultraviolette Strahlung und strahlenrelevante Aspekte der Digitalisierung und Energiewende sind weitere Arbeitsfelder. Als wissenschaftlich-technische Bundesoberbehörde betreibt das BfS Forschung und ist mit nationalen und internationalen Fachleuten vernetzt. Weitere Informationen unter www.bfs.de.

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