Ministerpräsident Dietmar Woidke und Außenminister Heiko Maas erinnern in der Gedenkstätte Sachsenhausen an den 76. Jahrestag der KZ-Befreiung
Ministerpräsident Dietmar Woidke: „Der heutige Gedenktag mahnt zum Innehalten. Wir gedenken der Millionen Toten in den Lagern der Nationalsozialisten in Deutschland und in den besetzten Ländern. Wir erinnern an die Gewaltverbrechen der schlimmsten Terrorherrschaft auf deutschem Boden, an einen beispiellosen Rassen- und Vernichtungskrieg. Mit Blick darauf beschämt es mich zutiefst, dass Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland wieder aufkeimen. Wir stellen uns dieser Entwicklung entschieden entgegen. Sie muss erkannt und benannt werden.
Das Gedenken an die Hunderttausenden Opfer nationalsozialistischer Konzentrationslager bleibt deshalb unabdingbar verbunden mit der Verpflichtung, unsere Werte – Menschenwürde, Demokratie, Toleranz und Rechtsstaat – immer wieder zu verteidigen. Von den Millionen Toten der Konzentrationslager und den weniger werdenden Überlebenden geht die Botschaft aus: ‚Nie wieder!‘ Für die wichtigen Aufgaben Mahnung und Erinnerung sind uns die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen eine große Stütze. Diese Menschen haben in den Lagern unsägliches Leid erfahren müssen. Diese Auftritte der Zeitzeugen, die unserem heutigen Deutschland die Hand reichen, bewundere ich. Sie machen demütig und ich verbeuge mich vor ihnen.“
Außenminister Heiko Maas: „200.000 Menschen wurden im Konzentrationslager Sachsenhausen zwischen 1936 und 1945 inhaftiert, gedemütigt und gefoltert. Heute – am 76. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers – gedenken wir all dieser Opfer. Wir verneigen uns vor ihnen. Und wir schämen uns für die Verbrechen, die an ihnen begangen wurden. Das Gedenken an die nationalsozialistischen Gräueltaten bleibt für unser Land für immer Verpflichtung. Aber das allein reicht nicht. Wir müssen handeln angesichts von Antisemitismus, Rassismus, Intoleranz und Verschwörungstheorien, wie wir sie jetzt auch in der Pandemie leider verstärkt erleben.“
Stiftungsdirektor Axel Drecoll: „Vor 76 Jahren, nach der Befreiung der Häftlinge im KZ Sachsenhausen und auf den Todesmärschen, endete für etwa 35.000 Menschen aus 40 Nationen, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Hand der SS befanden, eine Zeit von brutaler Gewalt, menschenverachtender Diskriminierung und Mord. Wir dürfen das unvorstellbare Leid der Häftlinge nicht vergessen, wir müssen ihre Biografien teilen und ihre Erinnerungen weitergeben. So können aus ihren Geschichten und aus der Beschäftigung mit Geschichte fundamentale Werte des Miteinanders erwachsen. Respekt und Solidarität sind heute Impulse, die auch und gerade von historischen Verbrechenstatorten wie diesem ausgehen müssen. Zigtausend Menschen haben Sachsenhausen nicht überlebt, deren Angehörige verloren die ihnen nahestehenden Menschen. Für alle Angehörigen sind die Folgen der NS-Massenverbrechen wichtiger Teil ihrer Biografie und werden es in Zukunft sein. Auch ihre Geschichten sollten und müssen wir hören, weitertragen und diskutieren.“
Dik de Boef, Generalsekretär des Internationalen Sachsenhausen Komitees: „Immer, wenn ich durch das Lagertor mit der zynischen Inschrift ‚Arbeit macht frei‘ gehe, höre ich die Stimmen der Menschen, die ich kannte und die hier gefangen waren. Das ‚Nie wieder‘ der Überlebenden, die aus vielen Ländern kamen und unterschiedliche weltanschauliche Überzeugungen hatten, bedeutete für jeden einzelnen von ihnen etwas anderes. Aber es wurde von dem allumfassenden Gedanken bestimmt, dass nur gemeinsames Handeln eine Wiederholung verhindern kann. An all diesen erniedrigenden Orten wurde der Grundstein für die Europäische Union gelegt. Rufen wir uns in Erinnerung, dass einige Politiker nach dem Zweiten Weltkrieg über ihren eigenen Schatten gesprungen sind. Dieser Mut ist heute wieder gefordert, nicht nur für Politiker, sondern für uns alle. Wir wollen auch in den kommenden Jahrzehnten in Frieden und Freiheit leben. Dies könnte bedeuten, dass wir einen Schritt zurücktreten müssen, damit alle vom gigantischen Reichtum der Wenigen profitieren können.“
Klaus Reichmuth, der als Jugendlicher 1942 ein halbes Jahr lang im KZ Sachsenhausen inhaftiert war, erklärte in einer Videobotschaft: „Der Grund für meine Verhaftung zusammen mit meinem Freund Klaus Rendtorff von der Schulbank weg war das Verteilen der Predigt des Bischofs Graf von Galen gegen die Tötung der Geisteskranken. Diese als Flugblatt gekürzte Predigt hatten wir Ende September 1941 in die Schule mitgebracht und verteilt. Dafür wurden wir beide im Januar 1942 verhaftet. Die Gestapo Stettin beantragte bei der Zentrale in Berlin für uns beide eine sechsmonatige KZ-Haft. Schon nach drei Monaten in Sachsenhausen war ich durch Hunger und ständigen Durchfall ein richtiger ‚Muselmann‘, wie man die kraftlosen Häftlinge im KZ-Jargon nannte. Der Grund für unser Überleben waren die Gebete der Bekenntnisgemeinden in Pommern und Brandenburg, die unsere Namen schon vom Januar 1942 an auf ihren Fürbittlisten hatten.“
Am 22./23. April 1945 erreichten sowjetische und polnische Soldaten das unmittelbar zuvor von der SS geräumte KZ Sachsenhausen. Die Befreier fanden im Lager rund 3.000 kranke Häftlinge vor. Mehr als 30.000 Häftlinge befanden sich zu diesem Zeitpunkt auf einem Todesmarsch weiterhin in der Gewalt der SS, die in dieser Schlussphase nochmals mit besonderer Brutalität Häftlinge ermordete. Im KZ Sachsenhausen waren zwischen 1936 und 1945 mehr als 200.000 Menschen aus vielen europäischen Ländern inhaftiert. Zehntausende von ihnen wurden Opfer von Mordaktionen der SS oder starben an den unmenschlichen Haftbedingungen.
Online-Programm zum 76. Jahrestag der Befreiung: https://rememberliberation.stiftung-bg.de/
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