Wasserkraft – Ein unverzichtbarer Teil der sicheren Stromversorgung in Europa
Ein Frequenzabfall bedingt durch die Auslösung eines Überstromschutzschalters in einem Umspannwerk in Kroatien am 8. Januar 2021 führte beinahe zu einem großflächigen Blackout im europäischen Stromnetz. Als Folge der Schalterauslösung führte eine Kaskade von Ausfällen von Stromleitungen und Schaltanlagen in Südosteuropa zu einer krisenhaften Entwicklung des Betriebszustandes im europäischen Stromnetz, was zur automatischen Trennung des südöstlichen vom nordwestlichen Netzteil führte. Da vor Eintritt der Störung Strom von Ost nach West exportiert wurde, führten der Erzeugungsüberschuss im Ostteil zu einem Frequenzanstieg auf 50,6 Hz und das Erzeugungsdefizit im Westteil zu einer Unterfrequenz von 49,74 Hz. Da das europäische Hochspannungsstromnetz normalerweise auf 50 Hz synchronisiert wird, können Frequenzabweichungen zu Abtrennungen und Abschaltungen von Teilnetzen und somit auch zu Stromausfällen führen.
Durch rechtzeitig und zielgerichtet eingeleitete Gegenmaßnahmen konnte jedoch ein Blackout vermieden werden. Angesichts der Unterfrequenz im nordwestlichen Teilnetz glichen Großkraftwerke aller Erzeugungsarten nach dem ersten Abfangen durch die Schwungmassen der rotierenden Maschinensätze (Synchronous Inertia) mit rascher Leistungssteigerung das Erzeugungsdefizit aus. Des Weiteren wurden dafür vertraglich vorgesehene Lasten in Form von Industrieverbrauchern mit einer Leistung von insgesamt 1,7 GW vor allem in Frankreich und Italien vom Netz genommen. Auch im südöstlichen Teilnetz wurden aufgrund der erhöhten Frequenz automatische und manuelle Gegenmaßnahmen aktiviert. So wurde der Leistungsüberschuss einerseits mit Hilfe der Rücknahme von Erzeugung und der Abschaltung von Erzeugungsanlagen reduziert, und es wurde andererseits ein forcierter Pumpeinsatz in Pumpspeicherkraftwerken für diese Region eingeleitet, um Energie aus dem System zu nehmen.
Der Dekarbonisierungsprozess des europäischen Stromsystems, verbunden mit dem teilweisen Atomausstieg schreitet rasch voran und wird zur Erreichung der nunmehr verschärften EU-Klimaziele in den kommenden Jahren weiter intensiviert. Gemeinsam mit der Wasserkraft bilden derzeit die großen thermischen Erzeugungseinheiten das Rückgrat für die Systemflexibilität in allen Zeitbereichen (präqualifizierte Reserveleistung am Beispiel Deutschland siehe Abbildung 1).
Mit dem Ausscheiden großer thermischer Einheiten geht dem System schrittweise ein wesentlicher Teil seiner flexiblen Leistungen (Flexibility Facilities) samt Inertia verloren. Die Bedeutung der Wasserkraft, hier vor allem die der hochflexiblen Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke, wird daher weiter steigen. Dieses Thema liegt im Fokus des ordnungspolitischen Rechtsrahmens der EU (z.B. TEN-E Regulation) bzw. der strategischen Planungspapiere der ENTSO-E (Zehnjahresnetzentwicklungsplan TYNDP 2020 samt Begleitdokumenten), damit das hohe Maß der Stabilität des europäischen Stromnetzes weiterhin sicher gestellt wird.
Wo vorhanden, sind Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke integrativer Bestandteil des technischen Krisenmanagements im Netzbetrieb. Wäre es zu einem Blackout gekommen, wäre das europäische Verbundsystem im Extremfall in mehrere Teilnetze zerfallen und Erzeugung sowie Lasten weitreichend vom Netz entkoppelt worden. In einem solchen Fall werden vor allem mit Hilfe schwarzstartfähiger Wasserkraftanlagen nach definierten Prozessschritten der Reihe nach Netzinseln aufgebaut, nach Möglichkeit mit Pumpen das Lastverhalten stabilisiert, schrittweise konventionelle Lasten und weitere Kraftwerke in der Insel herangeführt und in weiterer Folge die Teilnetze wieder zum Systemverbund synchronisiert. Ohne externe Stromversorgung können schwarzstartfähige Anlagen selbst stabil hochfahren, Spannung vorgeben, den Blindleistungshaushalt ausgleichen und bei Inselbetriebsfähigkeit die Netzinsel stabil betreiben. Große Wasserkraftwerke sind infolge ihrer großen Schwungmassen und hohen Regelfähigkeit besonders für diesen Zweck geeignet.
Auch für den Normalbetrieb ist die Rolle der Wasserkraft zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit und Netzstabilität äußerst weitreichend. Je nach Standort und technischer Ausrüstung variieren die von den Wasserkraftwerken zusätzlich erbrachten Netzdienstleistungen. Bezüglich der möglichen Netz- und Systemdienstleistungen (Ancillary Services) lassen sich drei verschiedene Arten unterscheiden.
Im Detail offeriert die Wasserkraft eine Fülle von Dienstleistungen zur europäischen Netzstabilisierung und zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit.
Der jüngste Vorfall vom 8. Januar 2021 wird unter Branchenexperten als Warnsignal und weiteres Indiz für das steigende Risiko eines Blackouts gesehen. Auch Krisenvorsorgeexperten, prognostizieren schon jetzt, dass binnen der nächsten 5 Jahre mit einem europaweiten Blackout zu rechnen ist, sofern nicht umgehend weitere koordinierte Maßnahmen vorgenommen werden.
Auch die Schweiz agiert sicherheitsorientiert: In der jüngsten Risikogesamtanalyse für die Schweiz wird ein Blackout als eines der am höchsten angesiedelten Gefährdungspotenziale erkannt. Zur Dämpfung eines nationalen Blackout-Risikos und zur Überbrückung der zu erwartenden Winterlücke infolge des forcierten PV- und Windkraftausbauprogramms wurde der geförderte Ausbau von 2 TWh Großspeicherkraft beschlossen und wird 2021 gesetzlich verankert werden.
Neben dem Aus- und Umbau des Versorgungsnetzes ist eine weitere intelligente Kombination von Stromerzeugern und -verbrauchern im Netz erforderlich. In diesem Zusammenhang kommt der Wasserkraft als Teil der „erneuerbaren Familie“ insbesondere wegen ihrer hohen Effizienz, Zuverlässigkeit, Flexibilität und Speicherbarkeit eine Schlüsselrolle als Dienstleister für die Versorgungssicherheit und Netzstabilität zu. Daher bleibt die Wasserkraft eine unverzichtbare erneuerbare Energiequelle, die im Rahmen einer ehrgeizigen Energie- und Klimapolitik weiterzuentwickeln und zu bewahren ist.
Der Bericht wurde in Kooperation mit den Mitgliedern des VGB PowerTech Ι Hydro erstellt.
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