EPINetz - Informatik und Politikwissenschaft lotsen durch die Informationsflut
Im Interview erklärt Michael Gertz, Professor am Institut für Informatik der Universität Heidelberg, der das Projekt gemeinsam mit Wolf J. Schünemann, Professor am Hildesheimer Institut für Sozialwissenschaften, beantragt hat, wie die Idee entstanden ist. Und was er sich erhofft.
Welche Idee steckt hinter dem EPINetz?
Die Idee ist, zu gesellschaftlich bedeutenden Themen einen Überblick über die relevanten Informationen zu bieten. Wir sehen in den derzeitigen Debatten, dass selbst Profis Schwierigkeiten haben, alle relevanten Fakten zu einem Thema zu erfassen. Wenn einen zum Beispiel der „Pflegenotstand“ interessiert, dann tippen 99 von hundert Menschen das Stichwort in Google ein und erhalten in der Regel ein unübersichtliches und unvollständiges Bild in Form einer Liste von Verweisen auf Dokumente im Netz. Wir legen nun den Fokus auf die Akteure: Wer sagt was, wozu, wo, zu welchem Thema, wann und zu wem?
Wir haben beobachtet, dass es in der Politik mittlerweile viele „Parallelwelten“ gibt: die klassischen Medien wie Zeitungen, das Internet und soziale Medien, aber darüber hinaus noch beispielsweise Anfragen in den Parlamenten, also das politische Geschehen selbst. Die Basis unseres Projektes ist, dass wir Information im Kontext darstellen wollen. Viele kennen sogenannte „Word Clouds“, das sind wolkenartige Gebilde aus Worten, die Bezüge zu einem Begriff grafisch darstellen. Wir erweitern diese Idee um Aussagen, Akteure und ihre Netzwerke. Das ergibt einen wesentlich besseren Überblick. Hinzu kommen noch die Verweise auf die Quellen.
Was fasziniert Sie daran als Informatiker?
Es handelt sich um eine Unmenge an Daten, die hier zusammengetragen und aufbereitet werden. Wir konzentrieren uns dabei auf Gesellschaft und Politik, insbesondere politische Debatten, sonst wird es einfach zu viel. Die Daten verarbeiten wir mithilfe von Methoden des Natural Language Processing sowie neuer Verfahren der Textanalyse, speichern die abgeleiteten und berechneten Informationen in einem Datenmanagementsystem ab und wenden dann unsere Analyse- und Explorations-Tools darauf an.
Welche Nutzerinnen und Nutzer sollen später mit EPINetz arbeiten?
Uns ist es wichtig, dass EPINetz nicht nur der Wissenschaft als Plattform zur Verfügung steht, sondern auch in der Schule im Geschichts-, Politik- oder Ethikunterricht und für alle Interessierten zugänglich ist. Wir sehen das Projekt eingebettet in die Förderung von Medien- und Quellenkompetenz. Man würde beispielsweise einen aktuellen Begriff wie „Ausgangssperre“ eingeben und könnte sehen, wer in der Politik wie darüber redet, wer untereinander verbunden ist und woher die Ansichten jeweils kommen.
Ist das IT-Forschung zum Wohle der Gesellschaft?
Wir setzen am Problem der Informationsüberflutung an und an dem vielfach beschriebenen Phänomen der Filterblasen. Hier wollen wir Orientierung und Objektivierbarkeit bieten. Wir machen sichtbar, welche Communities mit welchen Argumenten welche Meinungen vertreten. Das ermöglicht die Gegenüberstellung verschiedener Perspektiven, was wir für extrem wichtig für die Meinungsbildung halten.
Sie ertüchtigen damit also unser aller Informationskompetenz?
So kann man es sagen. Diese Möglichkeit habe ich sonst nirgends, mir das so zusammenzustellen. Von der Informatik her stecken da sehr komplexe Dinge dahinter, beispielsweise die Frage, was genau man aus den Texten extrahiert oder wie man dynamische Netzwerke von Akteuren aufbaut. Welche Methoden gibt es, um Texte vergleichbar zu machen? Wie identifizieren wir Argumente? Dafür müssen wir mit den Partnern aus der Politikwissenschaft in Hildesheim textanalytische Methoden entwickeln, die auf politische Kommunikation ausgerichtet sind. Die größte Herausforderung für uns als Informatikerinnen und Informatiker ist aber die Menge der sehr verschiedenen Daten und dass wir die gewünschten Informationen auch schnell den Nutzerinnen und Nutzern der Plattform zur Verfügung stellen können. Also sind auch effiziente Algorithmen gefragt.
Es gibt schon eine Webseite, aber bis wann wird EPINetz so richtig funktionstüchtig sein?
Bis Ende des Jahres hoffen wir die erste solide Version zu haben. Die Hildesheimer Politikwissenschaft, wo es sehr viele Informatikaffine gibt, steuert bei, wie man Politikfelder identifiziert, wie man wichtige Akteure erkennt. Dann arbeiten wir noch mit der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und dem Centrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung (CeLeB) in Hildesheim als Praxispartnern und mit Lehrkräften zusammen. Denn wir wollen sehr schnell an die Schulen gehen und schon ab der siebten oder achten Klasse zeigen, wie man mit EPINetz Informationen suchen und finden kann. Wichtige Praxispartner, auch für die außerschulische politische Bildung, sind für uns weiterhin die Bundeszentrale für politische Bildung sowie die beiden Landeszentralen für Politische Bildung in Niedersachen und Baden-Württemberg. Wenn man sich deren Webseiten anschaut, sind das schon hervorragende Informationsquellen, sorgfältig recherchiert, zusammengefasst und aufbereitet. Dies sind meiner Ansicht nach völlig unterschätzte Datenquellen, die wir mit erschließen wollen.
Was hat Sie bewogen, ausgerechnet bei der Klaus Tschira Stiftung diese Idee einzureichen?
Die Universität Heidelberg hat ja schon immer einen engen Bezug zur Stiftung und ich selbst sitze im Mathematikon und war Dekan, als uns dieses Gebäude von der Stiftung übergeben wurde. Ich bin immer wieder beeindruckt, was diese Stiftung zur Förderung von Wissenschaft leistet. Mir war bewusst, dass der Klaus Tschira Stiftung auch gesellschaftlich relevante Themen wichtig sind. Und da uns der Weg in die Öffentlichkeit so wichtig war, haben wir gehofft, hier mit unserem Antrag an der richtigen Adresse zu sein.
Wenn das Projekt in drei Jahren zu Ende und richtig gut gelaufen ist – was ist dann entstanden?
Dann werden wir eine neue Plattform für die breite Bevölkerung haben, auf der Anwenderinnen und Anwender sich über politische und gesellschaftliche Themen informieren können. Ich bin unheimlich froh, dass die Hildesheimer mit an Bord sind. Weil sie aus dem Blick der Politikwissenschaft für die Qualitätskontrolle der Plattform sorgen. Das sind wirklich tolle Synergien, auch für die Studierenden. Schon jetzt entstehen viele Abschlussarbeiten auf beiden Seiten, weil viele vom Anwendungsbezug des Projekts fasziniert sind.
Mehr unter: https://epinetz.de/
Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de
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