Laura Poitras. Circles
Die Ausstellung Circles umfasst sechs Werke aus der Serie ANARCHIST (2016), mit der eine Reihe von nachrichtendienstlichen Aktionen beschrieben wird: Die Drohnen- und Satellitenaufnahmen wurden vom britischen Nachrichten- und Sicherheitsdienst Government Communications Headquarter (GCHQ) abgefangen und wiederum von der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) gehackt. Unter den Bildern befinden sich Aufnahmen von bewaffneten israelischen Angriffsdrohnen, deren Existenz Israel stets bestritten hat. Diese Handlungen, an deren Aufdeckung Poitras maßgeblich beteiligt war, repräsentieren ein System der Signalübertragung, dass von nationalstaatlichem Hacking, Überwachung und Gewaltanwendung gekennzeichnet ist.
In der Ausstellung werden ferner erstmals zwei neue Videoinstallationen präsentiert. Terror Contagion (seit 2021) umfasst eine laufende Untersuchung der Rechercheagentur Forensic Architecture sowie einen begleitenden Film von Poitras. Sie setzen sich eingehend mit dem Einsatz der Malware Pegasus des israelischen Cyberwaffenherstellers NSO Group zur Verfolgung von Journalist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen weltweit auseinander. Mit Terror Contagion (2021) dokumentiert Poitras die laufenden Ermittlungen von Forensic Architecture zur NSO Group und interviewt Journalist*innen und Menschenrechtsaktivist*innen, die mit NSO-Software ins Visier genommen wurden.
In Edgelands (2021) – entstanden in Zusammenarbeit mit dem Künstler Sean Vegezzi – setzen Poitras und Vegezzi ihre Untersuchungen dazu fort, wie Staatsapparate Kontrolle über Zivilist*innen ausüben. Anfang 2020 begannen Poitras und Vegezzi damit, geheim gehaltene Orte der Polizei-, Überwachungs- und Strafvollzugs- Infrastruktur in New York City zu erkunden, darunter eine verdeckte Einheit zur Überwachung politischer Aktivitäten und ein riesiges Gefängnisschiff vor der Küste der South Bronx auf dem East River, auf dem sich eine medizinische Krise abzuzeichnen beginnt.
Insgesamt thematisieren die Werke der Ausstellung, wie die Allgegenwart von Überwachungssystemen die materielle Infrastruktur unserer Welt prägt und wie sich Überwachung mit physischer Gewalt und psychischem Terror überschneidet.
Biografisches
Laura Poitras
Laura Poitras (*1964 in Boston, lebt in New York und Berlin) ist Filmemacherin, Künstlerin und Journalistin. Sie lehrte an der Yale University, New Haven/Connecticut, und der Duke University, Durham/North Carolina, und ist Vorstandsmitglied der Freedom of Press Foundation sowie Co-Initiatorin der journalistischen Dokumentarfilmplattform Field of Vision.
Nachdem Poitras vom damals anonymen NSA-Whistleblower Edward Snowden kontaktiert und mit dessen historischen Enthüllungen konfrontiert wurde, berichtete sie in zahlreichen Reportagen über die globale illegale Massenüberwachung durch die NSA, die für das Abfangen, Entschlüsseln, Speichern und Analysieren der Kommunikation von Hunderten von Millionen Menschen auf der ganzen Welt verantwortlich ist, und dokumentierte diese Erkenntnisse in ihrem Film CITIZENFOUR (2014). Im Jahr 2016 berichteten Poitras und ihre Kolleg*innen Henrik Moltke und Cora Currier über weitere Enthüllungen aus dem Snowden-Archiv, die die Operation "Anarchist" offenlegten – ein streng geheimes Programm des britischen Geheimdienstes GCHQ: Von der Spitze des Troodos-Gebirges auf dem Inselstaat Zypern aus fangen zwei Antennen vierundzwanzig Stunden am Tag Signale von Satelliten, Drohnen und Radaren im Mittelmeerraum ab.
Die von Poitras entwickelte Filmsprache ist der Tradition des cinéma vérité sowie dem Bemühen verpflichtet, Strukturen und Konflikte nachzuzeichnen, die das politische und zivile Leben wesentlich prägen, jedoch weitestgehend im Verborgenen liegen. Im Mittelpunkt ihrer Werke stehen jene komplexen Entwicklungen, die als Maßnahmen der Terrorismus-Abwehr die demokratischen Abläufe in den USA und in anderen Staaten umgehen. Mit ihren preisgekrönten filmischen Arbeiten und journalistischen Recherchen hat Poitras maßgeblich zu einem breiteren Verständnis der langfristigen gesellschaftlichen Implikationen des sogenannten War on Terror beigetragen. Ihre Berichterstattung über den NSA-Skandal führte zu einer parlamentarischen Untersuchung der Aktivitäten der NSA in Deutschland.
Das Werk von Poitras ist eng mit Berlin verbunden. 2006 wurde ihr Film über die US-Besetzung des Irak My Country, My Country auf der Berlinale uraufgeführt. Kurz darauf setzte die US-Regierung Poitras auf ihre terrorist watch list, die nächsten sechs Jahre wurde sie bei jedem Grenzübertritt in die USA verhört. 2012 zog Poitras nach Berlin, um ihre Quellen zu schützen. In Berlin wurde sie von Edward Snowden kontaktiert.
Der so entstandene Film CITIZENFOUR (2014) wurde mit dem Oscar sowie dem Deutschen Filmpreis gewürdigt. Für ihr Werk erhielt Poitras zuvor bereits ein MacArthur Fellowship (2012), ein Guggenheim Fellowship (2008) sowie den Peabody Award (2003). Ihre Berichterstattung über die illegalen Massenüberwachungsprogramme der NSA wurde mit dem George Polk Award (2013) und dem angesehenen Pulitzer Preis for Public Service (2014) ausgezeichnet. Poitras‘ Arbeiten waren zuletzt u. a. zu sehen: Onsite Gallery, Toronto (2018); Manifesta 12, Palermo (2018); Whitney Museum, New York (Solo, 2016); Artists Space, New York (2014); Atlanta Contemporary Art Center (2010).
Forensic Architecture
Forensic Architecture (FA, gegr. 2011 in London) mit Sitz an der Goldsmiths University of London ist eine Forschungsagentur, die Menschenrechtsverletzungen untersucht – einschließlich jener Gewalt, die von Staaten, Polizeikräften, Militärs und Unternehmen ausgeht. FA arbeitet mit Institutionen aus der gesamten Zivilgesellschaft zusammen – von an der Basis wirkenden Aktivist*innen über Teams von Anwält*innen bis hin zu internationalen NGOs und Medienorganisationen -, um Untersuchungen mit und im Namen von Gemeinschaften und Einzelpersonen durchzuführen, die von Konflikten, Polizeigewalt, Grenzregimen und Umweltgewalt betroffen sind.
Die Untersuchungen von Forensic Architecture basieren auf der Verwendung bahnbrechender Techniken der räumlichen und architektonischen Analyse, Open-Source-Untersuchungen, digitalen Modellierungen und immersiven Technologien ebenso wie auf dokumentarischer Forschung, situierten Interviews und akademischer Zusammenarbeit. Die Ergebnisse von FA-Untersuchungen wurden in nationalen und internationalen Gerichtssälen, bei parlamentarischen Untersuchungen, in Ausstellungen in einigen der weltweit führenden Kulturinstitutionen, in internationalen Medien sowie in Bürgergerichten und Gemeindeversammlungen präsentiert.
Sean Vegezzi
Sean Vegezzi (*1990 in New York City, lebt und arbeitet ebenda) setzt sich als Künstler seit den Anschlägen vom 11. September 2001 mit der Topografie von New York City auseinander. Vegezzis Projekte in Form von Bildern, Skulpturen, Schriften und Performance-Kunst finden in der Regel in Räumen mit transitorischem Charakter statt, wie z. B. städtischer Infrastruktur, Baustellen, leerstehenden Gewerbeimmobilien und kaum genutzten Wasserwegen.
Vegezzis erster Fotoband IDWGU wurde 2012 im Fourteen Nineteen Verlag veröffentlicht. Diese frühe Zusammenstellung zeigt auf, wie sich Stadtsanierung und Anti-Terror-Maßnahmen auf die Adoleszenz auswirken. In seinen späteren Arbeiten Scott (2015), Joey (2015) und Snow Cab (2016) erweiterte Vegezzi seine Praxis um architektonische, räumliche und performative Eingriffe in den Stadtraum. Eines seiner jüngsten Projekte, DMYCC (2017), erstreckte sich über einen Zeitraum von elf Jahren, in denen Vegezzi und ein Kollektiv von Freunden heimlich einen stillgelegten unterirdischen Raum in Lower Manhattan besetzten, um dort einen privaten Erholungsraum und ein soziales Forum zu errichten und zu betreiben. Mit der Zeit fand die Gruppe einen gemeinschaftlichen Zweck in der Aneignung eines nicht inventarisierten Grundstücks, wobei sie die Grenzen des halb erschlossenen Territoriums austesteten. Vegezzis Praxis untersucht fortgesetzt die Auswirkungen, die sowohl öffentliche als auch private Räume auf das Individuum haben, indem er sich das Konzept einer "Spatial Citizenship" und deren Formen der Sichtbarmachung aneignet. Vegezzi verbindet persönliche Erfahrungen mit Erzählungen über Autonomie, Privatsphäre und Sicherheit und schafft Arbeiten, die alternative Modelle des Lebens in Städten imaginieren, in denen undefinierte Areale Abgeschiedenheit in Aussicht stellen; die engen Grenzen der Stadt-als-Bürokratie aufgehoben werden; der durch Überentwicklung verursachte allumfassende Schaden rückgängig gemacht wird; das Eindringen der Sicherheitsapparate in das Alltagsleben unterminiert, neu konfiguriert oder sogar umgekehrt werden kann.
Yoni Golijov
Yoni Golijov (*1990 in Philadelphia, lebt und arbeitet in New York) ist Produzent bei Praxis Films, der Oscar-prämierten Produktionsfirma von Laura Poitras. Zu den von ihm betreuten Produktionen gehören Poitras‘ Kurzfilm Terror Contagion (2021), ihre Zusammenarbeit mit Sean Vegezzi, Edgelands (2021), ihre Zusammenarbeit mit Forensic Architecture, Triple-Chaser (2019 auf der Whitney Biennale uraufgeführt), ihre Videoinstallation Graduate Film Clinic und ihr Reportageprojekt Signal Flow (2018 auf der Manifesta 12 präsentiert) sowie ihr Spielfilm Risk (2016 auf dem Filmfestival in Cannes uraufgeführt). Golijov arbeitete als Studioleiter für Poitras‘ 2016 im Whitney Museum gezeigte Einzelausstellung Astro Noise und betreute auch das dazugehörige Buch Astro Noise: A Survival Guide for Living Under Total Surveillance. Er war als beratender Creative Producer bei Field of Vision tätig und arbeitete sowohl in kreativen als auch in administrativen Funktionen für Kurzfilme, Serien und das Fellowship-Programm. Er war Co-Produzent für Jonah Greensteins Debütfilm Dedalus (2018) und ist Co-Regisseur und Produzent eines Kurzfilms über den jüngsten Lehrer*innenstreik in Los Angeles, When We Fight.
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