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Der Deutsche Bundestag debattiert heute den Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA)

„Mit der Einsetzung der Unabhängigen Kommission Antiziganismus durch die Bundesregierung im Jahr 2019 wurde eine langjährige Forderung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma umgesetzt. Dass sich die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag heute mit dem Bericht der Kommission und deren Handlungsempfehlungen befassen, ist nach dem Holocaust an den Sinti und Roma, in dem fast 90 % der in Deutschland lebenden Sinti und Roma ermordet wurden, von großer historischer Bedeutung“, so der Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose, heute.

Weiter sagte er: „Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt ausdrücklich die in dem nun vorliegenden Abschlussbericht formulierten Empfehlungen der Kommission, die den Forderungen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma in wesentlichen Punkten folgen. Die Ergebnisse des Berichts der Unabhängigen Expertenkommission Antiziganismus bestätigen weitestgehend die Ergebnisse, die der Zentralrat in seinen Monitoringberichten zur Umsetzung des ‚EU-Rahmens für nationale Strategien zur Integration der Roma‘ in Deutschland bereits vorgelegt hat.“

Die Umsetzung der Empfehlungen zur Bekämpfung des Antiziganismus wird Bund, Länder und Gemeinden ebenso wie die Zivilgesellschaft vor erhebliche Herausforderungen stellen. 

Denn wie die UKA zum einen feststellt, gilt Antiziganismus als Normalität. Ein Bewusstsein und die Wahrnehmung der massiven Diskriminierungen von Sinti und Roma in nahezu allen Lebensbereichen fehlen fast vollständig. Zum anderen zeigen die Empfehlungen des Berichts, dass die Bekämpfung von Antiziganismus kaum auf entsprechende Instrumente, Materialien oder Einrichtungen aufbauen kann. Weder für Schulen noch für die Einrichtungen der politischen Bildungsarbeit gibt es entsprechende Vorgaben.[1]

Antiziganismus war Teil der Grundhaltung vieler Mitarbeiter in einer Reihe von staatlichen Einrichtungen durch die die gesamte Minderheit in Deutschland nach dem Krieg systematisch kriminalisiert und aus der Gesellschaft weitgehend ausgegrenzt worden war. Zu nennen sind hier vor allem das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter.

Der Bericht macht deutlich, dass die institutionelle Bekämpfung des Antiziganismus heute nahezu bei null ansetzen muss. In den vergangenen Jahrzehnten wurde diese Arbeit fast ausschließlich von zivilgesellschaftlichen Akteure wie dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und weiteren Betroffenenverbänden geleistet.

Hervorzuheben sind auch die vielfältigen Forschungsdefizite, auf die der Bericht verweist.  Dies betrifft insbesondere die Bereiche der Entwicklungen der Nachkriegszeit und des Zusammenwirkens von Polizei- und Entschädigungsbehörden. Erst 2017 wurde Antiziganismusforschung überhaupt an einer deutschen Universität etabliert.

Insgesamt können dem Abschlussbericht der UKA viele positive Erkenntnisse entnommen werden: Dazu gehört, dass die Erscheinungsformen des Antiziganismus von den Autoren des Berichts neu ausdifferenziert wurden. Dies ist ein wichtiger Beitrag für die Theoriebildung des Antiziganismus und ein hilfreiches Instrument zur wissenschaftlichen Einordnung antiziganistischer Phänomenbereiche.

Der Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose, führt hierzu ergänzend aus: 

„Ich will festhalten, dass wir vorsichtig sein müssen bei der qualitativen Bestimmung von Antiziganismus. Wir wissen aus der Geschichte, dass es diese Form des spezifischen Rassismus gegen Sinti und Roma seit Jahrhunderten gibt. Der Holocaust aber, der Völkermord der Nazis, dem hunderttausende Sinti und Roma in Europa zum Opfer fielen, brauchte mehr als traditionelle Vorurteile. Der Vernichtungs-Antiziganismus der Nazis baute auf der Pseudo-Verwissenschaftlichung des Rassismus auf, durch die dieser Rassismus zur Grundlage des staatlichen Handelns werden konnte. Das ist, um es in aller Deutlichkeit zu sagen, etwas völlig anderes als ein Streit um ‚Zigeunersoße‘ oder den ‚Zigeunerbaron‘. Ein solcher Streit zieht die Auseinandersetzung mit den oftmals massiven Diskriminierungen ins Lächerliche.“

Die Forderung der Kommission nach Berufung eines Beauftragten gegen Antiziganismus wird vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma voll und ganz unterstützt. Der Beauftragte soll künftig als Teil der Exekutive Maßnahmen zur Überwindung des Antiziganismus und Prävention ressortübergreifend koordinieren Unabdingbar ist dabei, dass dem Beauftragten gegen Antiziganismus ein Arbeitsstab zur Seite gestellt werden muss, dessen Mitglieder ebenfalls eine große Expertise in den Bereichen der Antiziganismusprävention mitbringen. 

Da der größte Teil der Kommissions-Empfehlungen von den Ländern umgesetzt werden muss, ist die Einsetzung einer Bund-Länder-Kommission von größter Wichtigkeit. Hierbei muss klar sein, dass diese Aufgaben zuerst in den staatlichen Kompetenzbereich fallen. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ist deshalb der Auffassung, dass für die Besetzung der Positionen der Antiziganismus-Beauftragten in Bund oder Ländern zuerst die Kompetenz der betreffenden Personen ausschlaggebend sein muss. Die Zugehörigkeit zur Minderheit oder Mehrheit ist hierbei unerheblich. Eine Besetzung solcher Stellen vorrangig mit Angehörigen der Minderheit würde auch bedeuten, dass die Zivilgesellschaft ihre wichtigsten Aufgaben an staatliche Einrichtungen übergibt und sich damit gleichsam überflüssig machen würde. Die Zivilgesellschaft muss aber auf allen Ebenen eingebunden werden in die Arbeit der Antiziganismus-Beauftragten.

Die Forderungen der Kommission nach einer Anerkennung des Grundsatzes der kollektiven Verfolgung aus rassischen Gründen von 1933-1945, der Einrichtung eines Sonderfonds für niederschwellige, einmalige Anerkennungsleistungen für NS-Verfolgte Sinti und Roma und der Einrichtung einer Kommission zur Aufarbeitung des Unrechts nach 1945 werden vom Zentralrat ausdrücklich unterstützt. Ebenso die Anerkennung geflüchteter Roma als besonders schutzwürdige Gruppe sowie die Forderung nach verbesserten Partizipationsstrukturen für Sinti und Roma, insbesondere durch die Entsendung von Minderheitenangehörigen in alle staatlichen Gremien, wie die Rundfunkräte und Landesmedienanstalten.

An die nächste Unabhängige Expertenkommission Antiziganismus, die der kommenden Bundesregierung berichten wird, appellieren wir, die Bereiche Entschädigung und Polizei stärker in den Blick zu nehmen; hier besteht aus Sicht des Zentralrats weiterer Forschungsbedarf. So muss untersucht werden, inwieweit der polizeiliche Begriff „Clankriminalität“ wieder als ein neues Schlupfloch für eine verfassungswidrige Minderheitenkennzeichnung genutzt wird. Auch die Staaten des Westbalkans müssen genauer untersucht werden, da auch der dort existierende Antiziganismus direkt die Verhältnisse in den Staaten der Europäischen Union und somit auch in Deutschland beeinflussen.

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