Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Die Ausstellung zeigt im ersten Obergeschoss „Eine europäische Geschichte der Zwangsmigrationen“ und im zweiten Obergeschoss „Flucht und Vertreibung der Deutschen“. Beide Bereiche unterscheiden sich in der räumlichen Bildsprache. Verbindend, über die Etagen hinweg, ist eine durchgehende Gestaltung der Grafik und der digitalen Medien sowie die integrative Erschließung aller Bereiche und Inhalte. Hierzu zählen ein Leitsystem für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen, taktile Orientierungsmodelle, Ausstellungsobjekte, die mit mehreren Sinnen erfahrbar sind, eine Audiotour in sechs Sprachen und Erklärfilme, die einen Überblick und Einstieg in die einzelnen Unterthemen der Ausstellung bieten. Texte in leichter Sprache und Deutscher Gebärdensprache begleiten sie. Die Filme, entwickelt von Space Interactive, überzeugen mit stark reduzierten grafischen Animationen. Sie korrespondieren mit der abstrahierten Ausstellungsgestaltung.
Eine monumentale Treppe führt die Gäste des Dokumentationszentrums vom Erdgeschoss ins erste Obergeschoss. Dort begrüßt sie das Forum, ein Ort der Begegnung und Kommunikation. Er lädt ein, sich selbst einzubringen. Jeder Gast kann die eigene Fluchtgeschichte digital hinterlegen und schriftlich auf Fragen antworten, die im Raum stehen: „Was ich nicht zurücklassen würde…“, „Heimat bedeutet für mich…“, „Worüber wir mehr sprechen sollten…“.
Die Ausstellung „Eine europäische Geschichte der Zwangsmigrationen“ versteht sich als Einführung und Überblick vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in unsere Zeit. Ursachen von Zwangsmigration, Phänomene und Diskurse werden anschaulich. Sechs raumbildendende Ausstellungselemente prägen und strukturieren den weitläufigen, stützenlosen Ausstellungsbereich. Sie bestehen aus modularen, filigranen Rahmen, die thematisch unterschiedlich ausgestaltet sind. Großformatige Exponate und Objektinstallationen begleiten die Themen und wecken die Neugier:
Ein übergroßer Fellmantel, den der siebenjährige Eitel Koschorreck bei seiner Flucht aus den Masuren im Winter 1945 trug, ist das Leitexponat des Themenbereichs „Wege und Lager“. Das Bullauge der Wilhelm Gustloff leitet in den Bereich „Erinnerungen und Kontroversen“ ein. Das Schiff wurde im Januar 1945 versenkt und riß mehrere tausend flüchtende Menschen in den Tod. Als taktiles Objekt präsentiert sich im Themenbereich „Krieg und Gewalt“ die Nachbildung einer Mörsergranate. Die Granate belegt ein Kriegsverbrechen. Sie wurde 1994 auf einen Markt in Sarajevo abgefeuert. Weitere Themenbereiche der Ausstellung sind „Nation und Nationalismus“, „Recht und Verantwortung“ sowie „Verlust und Neuanfänge“.
Das zweite Obergeschoss blickt auf Flucht und Vertreibung der Deutschen am Ende des von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkriegs. Drei raumbildende Kuben setzen optische Akzente und strukturieren den Parcours inhaltlich wie chronologisch.
Der Zugang erfolgt über den Ausstellungkubus „Deutsche Expansionspolitik und Zweiter Weltkrieg“. Der begleitende Erklärfilm spricht über die Machtergreifung, den Vernichtungskrieg, den systematischen Massenmord an Jüdinnen und Juden sowie über die Umsiedlungen und Umsiedlungspläne, die mit deutschen Aktionen verbunden waren. Die ausgestellten Objekte befinden sich in Vitrinenschubladen. Werden jene geöffnet treten Hitlers „Mein Kampf“ und das Diagramm „Die Jüdische Auswanderung aus der Ostmark“ als animierte Großprojektionen in den Raum. Sie erhalten übermächtig erdrückenden Ausdruck.
Der zweite Kubus „Neuordnung durch Vertreibungen“ ist als Transit-Pavillon gestaltet. Er bietet einen Überblick über Grenz- und Menschen-Verschiebungen, die im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg auf Beschluss der Alliierten umgesetzt wurden. Im Zentrum, auf einer quadratischen, bodennahen Projektionsfläche, sind diese visualisiert. Mehrere Millionen Deutsche waren von Vertreibung und Zwangsaussiedlung betroffen. Die Wände des Pavillons zeigen Fotos von Fluchtsituationen, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind.
Der dritte Pavillon ist dem neuen Zuhause gewidmet. Er ist offen gestaltet und ermöglicht Ausblicke. Provisorische Gegenstände des häuslichen Bedarfs, darunter eine Gardine aus einem Fischernetz oder ein Kinderbett, ordnen sich, gleichsam von oben hereinschwebend, im Raum an. Dazwischen finden Suchplakate ihren Platz. Der Verbleib unzähliger Menschen ist bis heute ungeklärt.
Der Besucher durchschreitet die Zeit von den 1940er Jahren bis in die Gegenwart, begleitet von langgezogenen Ausstellungsdisplays, die den Weg flankieren. Das letzte Kapitel ist der öffentlichen und privaten Erinnerungskultur gewidmet.
Prägend für das Ausstellungserlebnis sind menschliche Silhouetten, die den gesamten Raum umstellen. Die lebensgroßen Grafiken erscheinen unscharf und entrückt hinter den Displays. Ein emotionaler Zugang zu den Menschen und ihren tiefgreifenden, verlustreichen Erfahrungen entsteht über die Exponate. Das Tagebuch der Charlotte Schmolei spricht beispielsweise von Hunger, schwerer Arbeit und Gewalt, die die junge Frau in ihrer Heimat Ostpreußen erlebte. Sobald der Besucher die Geschichten am Audioguide aufruft, startet eine Projektion: Die grauen Schatten erhalten Gesichtszüge von Menschen, die auf historischen Fotografien überliefert sind. Ein lebendiges Erinnerungsbild entsteht.
Sich Erinnern ist ein lebendiger Prozess. Den Epilog der Ausstellung bildet eine digitale Bildkollage, die kontinuierlich erweitert und ergänzt wird. Sie spiegelt regionale Erinnerungskultur in Mittel- und Osteuropa – einen Prozess, der zu Verständigung und Versöhnung führen kann.
Träger des Dokumentationszentrums ist die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Sie wurde im Jahr 2008 vom Deutschen Bundestag unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums in Berlin gegründet. Das Dokumentationszentrum versteht sich als ein Ort historischer Bildung und lebendiger Debatten im Geiste der Versöhnung.
Der Festakt zur Eröffnung findet am Montag, 21. Juni, 15 bis 16.30 Uhr, in Anwesenheit der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel statt. Er wird online übertragen unter: https://flucht-vertreibung-versoehnung.avepro.io.
Eingebunden in die Übertragung ist ein filmischer Beitrag, der die vielfältigen Angebote des Dokumentationszentrums vorstellt. Zu ihnen zählen, neben der Ausstellung, eine Bibliothek, ein Zeitzeugenarchiv und ein Raum der Stille, der sich im Erdgeschoss des Neubaus befindet.
Die Öffnungszeiten des Dokumentationszentrums sind Dienstag bis Sonntag, jeweils von 10 bis 19 Uhr bei freiem Eintritt. Aktuelle Corona-Auflagen sind auf der Website hinterlegt: www.flucht-vertreibung-versoehnung.de
Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung
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