Gedenktafel auf Zollverein für die Opfer der Zwangsarbeit im Ruhrbergbau enthüllt
Zollverein war einst die größte und leistungsstärkste Steinkohlenzeche der Welt, ist ein Meisterwerk der Industriearchitektur. Wer heute diesen imposanten Ort besucht, soll aber auch daran erinnert werden, wer hier arbeitete und unter welchen Bedingungen dies geschah. Es waren nicht nur die Bergarbeiter, die auf Zollverein und auf vielen anderen Zechen des Ruhrgebiets ihre Gesundheit und ihr Leben unter Tage riskierten, sondern auch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg. Es waren mehrere Tausend, Menschen, vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion aber auch aus anderen europäischen Ländern, die während der nationalsozialistischen Herrschaft von Juni 1940 bis April 1945 auf der Zeche und Kokerei Zollverein Zwangsarbeit leisten mussten.
An dem Ort, an dem nun eine Gedenktafel an diese Menschen erinnert, befand sich eins von insgesamt drei Barackenlagern auf Zollverein, in denen vor allem Kriegsgefangene untergebracht waren. Männer und Frauen litten unter den unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen. Ein Viertel aller Zwangsarbeiter im Ruhrbergbau bezahlten diesen Einsatz mit dem Verlust der Arbeitsfähigkeit oder dem Leben.
Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, sagte bei der Enthüllung der Gedenktafel auf Zollverein: "Ich halte es für immens wichtig, auch an diesem Ort an das Schicksal der Menschen zu erinnern, die damals hier im Ruhrbergbau unter unwürdigen Bedingungen als Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden. Es geht um historische Gerechtigkeit. Es geht um das Anerkennen von Unrecht. Und es geht auch um unsere Demokratie. Denn wie und woran wir uns erinnern, das sagt viel darüber aus, wie wir uns als Gesellschaft definieren; welches Bild wir von uns machen und welche Zukunft wir für uns erhoffen. Wer vergangene Schuld eingesteht, ist auch bereit, Verantwortung für Gegenwart und Zukunft zu übernehmen."
Jakub Wawrzyniak, Generalkonsul der Republik Polen und Sprecher des Konsularischen Korps NRW, erklärte: "Mit der neuen Gedenktafel erinnern wir an die vielen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, unter denen auch besonders viele meiner Landsleute waren. Gemeinsam gedenken wir aller, die durch die Hölle von Zwangsarbeit, Erniedrigung und Aushungern im Ruhrbergbau gingen. Als Urenkel eines Auschwitz-Opfers und Enkel einer ehemaligen Zwangsarbeiterin und eines KZ-Dachau-Überlebenden, bewegt es mich auch auf der persönlichen Ebene sehr, heute auf Zollverein symbolisch allen Opfern die Ehre erweisen zu dürfen."
"Die Gedenktafel auf Zollverein erinnert in erste Linie an das Leid der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen. Sie macht gleichzeitig deutlich, dass sich der Steinkohlenbergbau diesem dunklen Kapitel seiner Vergangenheit gestellt hat", erklärte Bärbel Bergerhoff-Wodopia, Mitglied des Vorstands der RAG-Stiftung. "Die eigentlichen Werte des Bergbaus wie Toleranz, Zusammenhalt, Achtsamkeit und Solidarität sind nach wie vor wichtige Bestandteile für ein gutes Miteinander in der Gesellschaft und wertvoller denn je. Lassen Sie uns diese Werte leben, pflegen und uns immer wieder sichtbar dafür einsetzen, damit so etwas wie damals nie wieder passieren kann."
Die Erinnerungen an das Kriegsgefangenenlager auf Zollverein sind bei Heinrich Seidel nicht verblasst. Der heute 83-Jährige wurde in Katernberg geboren und lebte in der Nachbarschaft der Zeche. "Manchmal, wenn ich besonders früh wach war, so gegen 5.30 Uhr am Morgen, konnte ich hören, wie die Gefangenen aus dem Lager in Richtung Schachtanlage 4/5/11 nach Katernberg zur Frühschicht gingen", erzählte Heinrich Seidel während der Enthüllung der Gedenktafel. "Sie trugen Holzschuhe an den Füßen, das monotone Klacken war sehr laut. Ich erinnere mich aber nicht, sie jemals abends gehört zu haben, wenn sie zurückkehrten. War ich dann abgelenkt, haben andere Geräusche sie übertönt? Haben sie solange gearbeitet, dass ich schon längst im Bett war? Das sind Fragen, die ich mir heute stelle."
Weitere Zitate
Julia Jacob, 1. Bürgermeisterin der Stadt Essen:
"Die Ausbeutung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg gehört zu den dunkelsten Kapiteln des Ruhrbergbaus. Auch Zollverein hat im Zweiten Weltkrieg russische Kriegsgefangene und Ostarbeiter beschäftigt. Mit der Enthüllung einer Gedenktafel auf der Kokerei Zollverein erinnert die Stiftung Zollverein heute an die Opfer der Zwangsarbeit. Dem Engagement der Stiftung Zollverein ist es zu verdanken, dass mit dieser Gedenktafel die Zeit des Nationalsozialismus und ihre Opfer nie in Vergessenheit geraten."
Dr. Roman Luckscheiter, Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission:
"Die Besonderheit einer Welterbestätte an heutige und künftige Generationen zu vermitteln heißt auch: sich ihrer Vergangenheit in Gänze zu stellen. Die Deutsche UNESCO-Kommission begrüßt es sehr, dass diese Chance an diesem Ort so konsequent genutzt wird – mit der neuen Gedenkstele als Mahnmal und sichtbarem Element einer Erinnerungskultur, die auch im industriellen Erbe stattfinden muss, und mit dem Kolloquium, das heute in eine neue Phase der Aufarbeitung startet. Es ist eine Aufarbeitung, die nur im Dialog mit unseren internationalen Partnern gelingen kann und heute noch die Chance hat, auch die Zeitzeugen einbeziehen zu können!"
Alexey Dronov, Generalkonsul der Russischen Föderation:
"Das heilige und von unseren deutschen Freunden hier in Essen tüchtig gepflegte Gedenken an die unzähligen Opfer, deren ewiges Schweigen in Massengräbern heute wie eine Sturmglocke uns im Gewissen und Herzen läutet, ruft uns – Menschen verschiedener Nationen und Generationen -einschließlich der, die solch einen Geißel nie erlebt haben – dazu auf, wachsam zu sein. Dabei die Lehren der Geschichte mit aller Sorge und Aufmerksamkeit – bis in die wahren Gründe des geschehenen Desasters – in good faith aufzuarbeiten. Sowie gemeinsam – Schulter an Schulter – den Kampf für den Frieden, Zusammenarbeit und Verständigung zwischen den Völkern zu führen, die ohne Bereitschaft zu einem ehrlichen, gleichberechtigten und auf gegenseitigem Respekt basierenden Dialog nicht vorstellbar ist."
Prof. Dr. Hans-Peter Noll, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zollverein:
"Wir gedenken der Menschen, die in zwei Weltkriegen im deutschen Steinkohlebergbau, darunter auch auf den Zollverein-Schachtanlagen, Zwangsarbeit leisten mussten. Es waren Männer und Frauen, darunter Zivilisten, die aus der Heimat zwangsverschleppt wurden. Und es waren Soldaten, die als Kriegsgefangene in Arbeitslager gezwungen wurden. Am grausamsten traf es eine die KZHäftlinge, die in verschiedenen Außenlagern im Ruhrgebiet, eingesetzt wurden. Alle diese Menschen wurden bis zur Auslöschung ihrer Existenz ausgebeutet. Krankheit, Hunger, Verletzung und Tod wurden von der damaligen Betriebsleitung der Zeche Zollverein bewusst in Kauf genommen."
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