Gegeneinander
Kann es sein, dass die Verhärtung der Fronten mit dem Wahlkampf zu tun hat, in dem sich die Bundesrepublik und einzelne ihrer Länder dieses Jahr befinden? Sicher auch, wie Beobachtungen von Pola Lehmann („Das Ringen um die Lösung“) zeigen: Der Wettbewerb zwischen den Parteien wird vor Wahlen härter, Abgrenzung ist das Gebot der Stunde – während in Zeiten des Regierens der Kompromiss stärker in den Blick gerät. Auf längere Sicht aber ist eine Tendenz zu mehr Polarisierung zwischen Parteien und Wählerschaften festzustellen, nicht bloß im Wahlkampf. Das beschreibt Bernhard Weßels („Politische Drift in Deutschland“), der seine Diagnose mit einer Warnung verbindet: Die Zufriedenheit mit der Demokratie sinkt, um ihre Akzeptanz muss gerungen werden.
Nun besteht die Demokratie nicht nur – und immer weniger – aus Parteien. Manès Weisskircher, Swen Hutter und Endre Borbáth sehen eine „Polarisierung von unten“. In ihrem Artikel analysieren sie die komplexen Beziehungen zwischen Protestbewegungen wie jener gegen Hartz IV oder Pegida und jüngerer Parteien wie der Linken und der AfD. Die sozialen Bewegungen stehen auch im Zentrum der Beobachtung von Sophia Hunger, Teresa Völker und Daniel Saldivia Gonzatti („Der Verlust der Vielfalt“). Sie können zeigen, dass die Proteste gegen die Corona-Politik immer stärker von einer radikalen Minderheit geprägt wurden.
Und so wird das Heft doch fast ein Heft zu Corona. Denn auch die veränderte Rolle der Wissenschaft in der Pandemie ist Gegenstand einer Analyse. Heiko Giebler, Constanza Sanhueza Petrarca und Bernhard Weßels („Rationalität und Populismus“) beschreiben, wie zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit die gesellschaftlichen Grundlagen bedroht.
Viele Analysen im Heft beziehen sich auf die Situation in Deutschland – auf dem Titel prangt ja sogar eine Deutschlandfahne. Doch abgesehen davon, dass viele Thesen auch für andere Länder gelten, finden sich auch explizit Beiträge, die andere Gesellschaften unter die Lupe nehmen. Daniel Ziblatt und Steven Levitsky berichten über die Destabilisierung der US-amerikanischen Demokratie („Die Verzweiflung der alten Mehrheit“), Melisa Ross zeichnet den Siegeszug rechter Kräfte in Lateinamerika nach („Die rosa Welle ist gebrochen“), und Daniel Tuki beschreibt Nigeria als tief gespaltenes Land („Armer Norden, reicher Süden“).
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